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# taz.de -- US-HipHop-Almanach 2016: Harte Hunde, weiche Seiten
> Es tut sich was im US-HipHop: Die Rollenmodelle bröckeln und Trumps
> Wahlsieg führte zur Politisierung. Wer kann davon künstlerisch
> profitieren?
Bild: Blondschöpfe mit Geschäftssinn: Donald Trump und Kanye West in New York
Man nennt sie auch „Murder Capital“, Chicago, drittgrößte Stadt der USA,
hatte im vergangenen Jahr 750 Morde und insgesamt 3.500 Schießereien zu
erdulden. Die meisten Gewalttaten geschahen in afro- und
hispanoamerikanisch geprägten Stadtbezirken im Süden und Westen der Stadt.
Von dort kommt auch Vic Mensa, dessen Hals ein Tattoo mit dem Namen seines
Bezirks umspannt. Der 23-Jährige ist ein Beispiel dafür, dass in Chicago
alle Stränge des aktuellen HipHop-Geschehens zusammenlaufen.
Im August baumeln Mensas Dreadlocks gerade trotzig gen Handykamera, als er,
auf dem Bürgersteig sitzend, seinen Ärger via Snapchat in die Welt streamt.
„Ich habe mir nur YSL-Boots gekauft, verdammt!“, blafft der Rapper. Die
Polizei verdächtigte ihn, bei der Kaufhauskette Barney’s Ware im Wert von
umgerechnet 4.000 Euro gestohlen zu haben. „Die wissen nicht mal, was ich
geklaut haben soll!“ Alltägliche Erfahrungen eines schwarzen Teenagers.
## Ungezügelte Wut
Mensas mit sieben Tracks bestückte EP heißt „There’s a lot going on“. I…
umtreibt da angesichts des verseuchten Wassers in Flint, Michigan, die Wut.
In einem Song verarbeitet er den Tod seines Freundes Laquan McDonald, der
mit 16 Schüssen von einem Polizisten getötet wurde. Mensa spuckt seine
Reime ins Mikro.
Die EP spendiert er gratis für alle, die sich ins Wahlregister eintragen
lassen. Das kann sich Mensa leisten, da er für die Kokomposition von Kanye
Wests Song „Wolves“ eine Grammynominierung eingeheimst hatte. Nun steht er
bei Jay-Zs Label Roc Nation unter Vertrag und trat in der zugehörigen
Kampagne der Modemarke Balmain auf. Es war sein Jahr.
In dem jungen Chicagoer kondensierte sich das, was für US-HipHop im
Wahljahr 2016 ohnehin galt: Es war politischer als sonst. Nicht nur die
üblichen Verdächtigen wie Common (ebenfalls aus Chicago) und Kendrick Lamar
meldeten sich auf Albumlänge zu Wort, auch Rapper, die sonst nicht für
Aktivismus bekannt sind. So ließ YG die Eloquenz auf seinem vielbeachteten
Song „FTD (Fuck Donald Trump)“ zu Hause in Compton und marschierte mit
Featuregast Nipsey Hussle durch die Straßen.
Ein Großereignis war auch das Mixtape „Jeffery“ des Künstlers Young Thug
aus Atlanta, gerade weil dessen leiernder, assoziativer Südstaaten-Sound
stets die Hörer spaltet. Aufsehen erregte das Cover: Dort zeigte sich der
Schmuckfetischist in einem ausladenden, hellblauen Kleid. Klar, dass
darüber gesprochen wird. Ist Young Thug schwul? Bi? Trans? Oder ist das
vielleicht egal? Zumindest emotional dürfen mittlerweile auch die harten
Hunde im Game ihre weichen Seiten zeigen, so wie dies der Kanadier Drake
einmal mehr auf seinem vielseitigen Album „Views“ zeigte.
Künstlerische Wege aus der heteronormativen Matrix sind 2016 auch
Rapperinnen geglückt. Die aus Brooklyn stammende queere Young M. A.
startete im vierten Jahr ihrer Karriere endlich durch und rappte auf ihren
zigmillionenfach angeklickten Tracks auf YouTube alles kurz und klein –
ganz ohne Pinkfimmel à la Nicki Minaj, die 2016 übrigens kein Album
herausbrachte. An Young M.A.s Seite stehen neben der Chicagoerin Dreezy,
der aus New Jersey stammenden Shake 070 und der New Yorkerin Princess Nokia
gleich eine ganze Riege an interessanten Rapperinnen.
Nur weil das Gender-Bild an einigen Stellen bröckelte, bedeutete das nicht,
dass an anderer Stelle im Mainstream nicht alte Klischees betont wurden –
zum Beispiel auf NxWorries’Album „Yes Lawd“, das leider nur musikalisch
überzeugte. Trotzdem scheint es, als bewege sich im HipHop endlich auch
etwas anderes als nur Frauenhintern.
## Das Jahr der Comebacks
Denn 2016 war auch ein Jahr der Comebacks. Im September veröffentlichten De
La Soul ihr entspanntes, crowdfinanziertes Projekt „And the anonymous
nobody“. Im Dezember huldigten A Tribe Called Quest dann auf „Thank you 4
your service … We got it from here“ ihrem legendären Bandmitglied Phife
Dawg (der im März verstorben war). Passend dazu gab es eine umfangreiche
Geschichtsstunde: Baz Luhrmans verspielte Musical-Serie „The Get Down“, die
Netflix-Doku „Evolution of HipHop“ oder auch Macklemores Zusammenarbeit mit
den HipHop-Mitbegründern Grandmaster Kaz, Melle Mel und Kool Moe Dee wiesen
alle in Richtung Ursprünge des Genres.
Und was bringt die Zukunft? Die führt wieder über Chicago: Zum einen ist da
Chance the Rapper, der mit „Coloring Book“ ein unglaublich kräftiges, vor
Gospel strotzendes Album veröffentlicht hat. Zum anderen der Superstar
Kanye West. Sein neues Werk „The Life of Pablo“ ächzte fast unter seinem
bombastischen Gospel-Sound und den wortgewaltigen Reimen.
West sampelte sich selbst und er veröffentlichte das Album exklusiv auf
einer Streamingplattform, auch das charakteristisch für 2016. Erscheinen
ist hier nicht wörtlich zu nehmen, denn sein Album blieb über Wochen eine
Baustelle und glich eher einer Playlist. Immer wieder fügte West im Netz
Schnipsel hinzu. Trotzdem führte er das unvollendete Werk im ausverkauften
New Yorker Madison Square Garden vor, und zwar per Aux-Kabel seines
iPhones.
Im Dezember traf sich Kanye West schließlich mit Donald Trump. Um
„kulturelle Angelegenheiten“ sei es bei dem Gespräch in einem der oberen 58
Stockwerke des Trump-Towers gegangen, lautete Wests wolkige Erklärung.
PR-Kungelei mit dem Teufel, oder West als Fürsprecher schwarzer Menschen?
In der US-HipHop-Szene reichten die Reaktionen von zustimmend bis bitter
enttäuscht. Bleibt zu hoffen, dass Kanye West dabei eins nicht vergessen
hat: Auf den Bordsteinen sitzen junge Schwarze wie Vic Mensa, die die
Polizei kontrolliert, weil sie teuer eingekauft haben.
8 Jan 2017
## AUTOREN
Yannick Ramsel
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