| # taz.de -- Belästigung bei Konzerten: Hallo, hört mich jemand? | |
| > Rapper Drake hat bei einem Auftritt einem Belästiger die Meinung gesagt. | |
| > Ich hätte auch gern einen Drake, denn selber komme ich nicht durch. | |
| Bild: Deine Aktion sollte ein Vorbild sein, lieber Drake! | |
| „Wenn du nicht aufhörst, Mädchen anzufassen, komme ich runter und fuck dich | |
| ab!“ So legte sich am Mittwoch der ḱanadische Rapper Drake während eines | |
| Auftritts in Sydney mit einem Mann im Publikum an. Der Mann soll dort | |
| Frauen sexuell belästigt haben. Drake brach daraufhin seinen Song ab – | |
| [1][und setzte damit ein klares, wichtiges Zeichen]. | |
| Ein solches Bewusstsein für sexuelle Belästigung ist in Clubs, Bars, auf | |
| Parties und Konzerten leider nicht selbstverständlich. Das musste ich | |
| selbst vor paar Wochen feststellen. Im Oktober war ich in einem Club in dem | |
| Berliner Stadtteil Wedding, wo ein Rap-Auftritt stattfinden sollte. Peti | |
| Free, eine Band aus Köln, und Hip-Hop-Produzent Figub Brazlevič waren zu | |
| Gast. Ich hatte einen Mann dabei, wir tranken und tanzten. Es war ganz | |
| nett, bis es irgendwann weniger nett wurde. | |
| Meine Begleitung ist irgendwann Bier holen gegangen, und gleich landete ein | |
| Typ neben mir und tanzte mich an. Ich habe ihn nicht mal angeschaut, habe | |
| mit meiner Körpersprache klar gemacht, dass ich kein Interesse für | |
| Interaktion mit ihm habe. Er hat das ignoriert. | |
| Der Typ blieb, bis meine männliche Begleitung wieder zurückkam. Dass ich | |
| kein Interesse gezeigt hatte, hat ihm nicht ausgereicht. Die Existenz eines | |
| anderen Mannes war für ihn wichtiger. Dabei wusste er ja noch nicht einmal, | |
| wie wir zueinander stehen – meine Begleitung hätte mein Mitbewohner sein | |
| können, mein Bruder, mein Cousin. Egal, offenbar hat der Antanzer diesen | |
| Mann für „meinen Besitzer“ gehalten, und so ist er zur nächsten Frau | |
| gegangen. | |
| Ich habe ihn nicht aus dem Auge verloren: Er tanzt sie an. Sie, so wie ich, | |
| schaut ihn nicht mal an. Auch bei ihr klar: kein Interesse. Ihm ist es | |
| egal. Er tanzt die Frau solange an, bis sie keine Lust mehr hat, da zu | |
| sein. Sie ist „leider“ alleine, hat keinen Mann dabei, der diesen Antanzer | |
| wegscheucht. Sie verlässt den Raum, geht einfach weg – und ich finde es | |
| überhaupt nicht lustig. | |
| ## Ist sexuelle Belästigung wirklich schlimm? | |
| Ich bin schon angetrunken und stinksauer auf den Mann. Die Band auf der | |
| Bühne rappt vor allem „für den Frieden“. Und sie sagt böse Sachen über … | |
| Polizei, die ich gar nicht so schlecht finde. Es sind People of Color, | |
| möglicherweise kennen sie Unterdrückung, insbesondere den institutionellen | |
| Rassismus und die Polizeigewalt. Ich fühle mich wohl bei ihnen. Als der | |
| Song endet, gehe ich zur Bühne und frage den einen Rapper, ob ich kurz auf | |
| die Bühne darf. Er sagt ja, und gibt mir ein Mikro. | |
| Ich will sagen, dass eine Frau wegen sexueller Belästigung den Raum | |
| verlassen musste. Dass sie eingeengt wurde. Auf das Konzert ist sie | |
| sicherlich nicht dafür gekommen, um von einem antanzenden Mann zu flüchten. | |
| Nein, sie ist für die Musik da, zu tanzen, um sich zu entspannen. Aber ihr | |
| wurde der Raum entnommen, der ihr zur Verfügung steht. Wir diskutieren seit | |
| Wochen über sexualisierte Gewalt – in diesem Land, in dieser Welt. Die | |
| Sache ist doch ganz klar. Sie kennen Unterdrückung. Ich kann die Leute | |
| erreichen, die Zeit ist reif. | |
| Ich fange an: „Hallo, mein Name ist Sibel, ich bin Feministin. Wir | |
| diskutieren seit Tagen über sexualisierte Gewalt…“ und werde sofort | |
| stillgelegt. Von etwa sieben Männern, die auf der Bühne stehen. Sie sind | |
| panisch, wollen, dass ich verschwinde, dass ich die Klappe halte. Das sagen | |
| sie auch, und ich lehne ab, möchte es unbedingt loswerden. „Nein, lasst | |
| mich reden. Ich will unbedingt reden.“ Wenn ich einmal erzählen kann, was | |
| passiert ist, verstehen sie mich, denke ich. „Frauen wollen nicht ständig | |
| daran erinnert werden, dass sie ein Geschlecht haben“ möchte ich sagen. | |
| „Wenn sie Lust haben, sieht man ihnen das an. Wenn sie euch ignorieren, | |
| dürfen sie nicht mehr angetanzt werden.“ Ich kann aber nicht, weil sie mein | |
| Mikro ausschalten. Wie naiv ich manchmal sein kann. | |
| Zwei junge Frauen kommen sofort zu mir: „Also wir denken auch so wie du, | |
| aber wie du es gemacht hast…“ Dabei konnte ich mich nicht mal ausdrücken. | |
| Ich durfte ja nicht. Sie wussten also gar nicht, was ich sagen wollte, | |
| worum es ging. Als das Ganze passiert ist, hat sich meine Begleitung | |
| überfordert die Decke des Clubs angeschaut, und dabei Bier getrunken. | |
| ## „Nimm es doch als Kompliment“ | |
| Nach dem Auftritt kommen die Rapper von der Bühne zu mir: Was war das, was | |
| du sagen wolltest, fragen sie. Ich fange an zu erzählen, und werde gleich | |
| unterbrochen: „Nimm das doch als Kompliment an. Du bist doch so 'ne heiße | |
| Frau.“ Ich sage „Warte, lass mich mal aussprechen.“ Ich erzähle weiter, | |
| obwohl die Niederlage feststeht: Menschen, deren erster Instinkt ist, den | |
| belästigenden Mann zu verteidigen, sind nicht zu erreichen. Ich erzähle | |
| trotzdem zu Ende, und ähnliche Kommentare folgen: „Du bist doch hübsch, | |
| nimm es doch nicht böse an.“ Und dann aber auch: „Ihn fandest du | |
| respektlos, aber dass du auf die Bühne springst, ist okay, oder wie?“ | |
| Eine hilflose Aktion, um auf sexuelle Belästigung hinzuweisen, und bisschen | |
| Gerechtigkeit für die Frau zu fordern, die gehen musste, wird mit sexueller | |
| Belästigung gleichgesetzt. Ich sage „Klar hätte ich das anders machen | |
| können, aber ich bin wütend.“ Ein Rapper sagt: „Nur wegen dem einen Typen | |
| oder was?“ Er fühlt sich beleidigt, sie sind alle beleidigt. Und ich stehe | |
| da, und versuche ihnen zu erklären, dass sexuelle Belästigung keine gute | |
| Sache ist. Sie erwarten, dass ich ihnen sage, dass doch nicht sie die bösen | |
| sind. Dass sie anders sind. Dass da nur der eine blöde Typ war. | |
| Ich verliere langsam die Geduld. Bei dem einen Mann, der sagt | |
| „Körperkontakt gehört zum Tanzen“ explodiere ich. Ich sage ihm, dass es | |
| unsinnig ist, dass es einfach nicht stimmt. Frage ihn, wie er das fände, | |
| wenn ich an seinen Körper rumfummeln würde. Er sagt ich wäre ein Nazi, weil | |
| ich ihn nicht reden lasse. Das reicht mir, ich verlasse den Raum. | |
| Auf dem Rückweg zieht meine Begleitung einen Vergleich: Meine Erfahrung sei | |
| so ähnlich, wie wenn er von seinem Arbeitgeber aufgrund seiner | |
| Tätowierungen blöd angeguckt wird. „Ich verstehe dich,“ sagt er. Ich kann | |
| nicht fassen, wie realitätsfern sein Kommentar ist. Das muss seine | |
| schlimmste Diskriminierungserfahrung sein. Der arme. | |
| Hätte Drake auf dieser Bühne gestanden, wäre es vielleicht anders gelaufen. | |
| Ich wäre vielleicht zu Wort gekommen und losgeworden, was ich loswerden | |
| wollte. Ich glaube, wir werden es nie wissen, aber alleine die | |
| Wahrscheinlichkeit erleichtert mich. Danke Drake, weiter so, ich hoffe | |
| deine Aktion wird ein Vorbild für alle. Und Männer: Hört endlich damit auf, | |
| Frauen zu belästigen. | |
| 16 Nov 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.vice.com/de/article/mb3wn8/drake-hat-sich-mit-einem-fan-angeleg… | |
| ## AUTOREN | |
| Sibel Schick | |
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