# taz.de -- Portrait der Grünen-Chefin Simone Peter: „Ich arbeite daran“ | |
> Als Kind aß sie in der Parlamentskantine, denn schon Simone Peters Eltern | |
> machten Politik. Sie ist ein Profi – und bleibt auch im Gespräch einer. | |
Bild: Simone Peter, Bundesvorsitzende der Grünen, 2016 | |
Ob es so etwas wie ein Politik-Gen gibt? Früher nannte man jene, deren | |
politischer Auftritt von ihrer Person, ja ihrer Existenz nicht zu trennen | |
war, „Vollblutpolitiker“ – die, klagen die Medien, fast ausgestorben seie… | |
Wer heute von einer schicksalhaften Neigung zum Beruf des Politikers | |
spricht, greift zu anderen Metaphern. Das politische Talent liegt nicht | |
mehr „im Blut“, sondern „in den Genen“. Eine problematische Vorstellung: | |
Wäre das so, wäre der Weg ins politische Leben mehr Zwang als freie | |
Entscheidung. | |
Solch skurrile Gedanken wandern durch meinen Kopf, als ich in der | |
Grünen-Zentrale auf die Parteivorsitzende warte, Simone Peter. Meine | |
Grübeleien haben ihren Ursprung in Peters Internet-Selbstdarstellung, in | |
der sie auf ihr politisch aktives Elternhaus verweist und so den Gedanken | |
einer Erbschaft nahelegt. | |
Sie, Diplombiologin, kommt mir freundlich lächelnd entgegen. Das Lächeln | |
wird während großer Teile des Gesprächs nicht von ihrer Miene weichen, auch | |
nicht, wenn es um unersprießliche Seiten des Lebens geht. Ihr Büro liegt im | |
dritten Stock des Altbaus, die Stufen knarren. Ich schaue in eine | |
holzverkleidete Einbauküche. Alles wirkt etwas hausbacken, nicht so zeit- | |
und gesichtslos schick wie in anderen Parteizentralen. Das Chefzimmer | |
erinnert mich an das Asta-Büro meiner Studienzeit: Ein Hauch 70er Jahre – | |
Vollblutpolitikerzeit – liegt in der Luft. | |
Wer sich mit Peters Familiengeschichte vertraut macht, kommt indes kaum um | |
die Frage herum, ob es tatsächlich so etwas wie ein Genom gibt. | |
## Grüne Sozialisation in einer SPD-Familie | |
Ihre Mutter war 20 Jahre lang SPD-Landtagsabgeordnete im Saarland, | |
Ministerin für Arbeit und Soziales unter Oskar Lafontaine und zeitweilig | |
stellvertretende Ministerpräsidentin. Als Kind, erzählt mir ihre Tochter, | |
sei sie oft in der Landtagskantine essen gewesen. Das Lächeln eskortiert | |
diese Erinnerung, aber es hat hier einen etwas maskenhaften Zug. | |
Peters Vater, ebenfalls aktiver Sozialdemokrat, leitete das ISO-Institut | |
für Sozialforschung und Sozialwirtschaft, gründete die Zukunftswerkstatt | |
Saar und war ein Grüner avant la lettre. Für die Förderung der Solarenergie | |
setzte er sich schon ein, als das noch Zukunftsmusik war. Noch heute ist | |
die Grünen-Vorsitzende mit ihm im politischen Gespräch. Er ist ein Vorbild. | |
Ihre Brüder, acht und zehn Jahre älter als Simone Peter, engagierten sich | |
bei den Jusos. | |
Mit ein bisschen Sinn für Ironie könnte man feststellen: Die grüne | |
Parteigründung kam für sie genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn nur hier, in | |
der Partei, in deren Gründungs- und Frühphase sich heimatlose Linke und | |
Umweltschützer, ehemalige K-Gruppen-Leute, Anti-AKW-Aktivisten und von der | |
SPD enttäuschte Sozialdemokraten trafen, konnte sich ihre familiäre Mitgift | |
voll entfalten. Links und grün, ein Studium der Biologie samt Promotion | |
über Probleme der Gewässerverunreinigung – die politische Karriere der | |
Grünen-Chefin scheint wie programmiert. Mir rutscht, als ich es anspreche, | |
das Wort „Engführung“ heraus. | |
„Als ‚Engführung‘ würde ich das nicht bezeichnen“, widerspricht Peter, | |
sondern als „grünen Faden“ ihrer Sozialisation. Mit Eltern und Brüdern auf | |
Demos gegen das französische AKW Cattenom oder bei der großen Kundgebung im | |
Bonner Hofgarten dabei zu sein, das sei prägend gewesen. Sie lächelt auch | |
dabei, jedoch vermisse ich das charakteristische Lachen am Ende des Satzes, | |
das unser Gespräch treu begleitet. Mir kommt es wie eine Art | |
Wiedergutmachungs-Affekt vor, denn alles, was Peter sagt, klingt wie eine | |
gut gedrechselte, jederzeit zitationsfähige Erklärung für die | |
Öffentlichkeit. Selbst, wenn es um Persönliches geht. Es ist nicht leicht, | |
sie aus dem Reich der Verlautbarung herauszulocken. Ein-, zweimal während | |
des Gesprächs habe ich das Gefühl, sie wäre gern von der Last des | |
Pressesprechertons erlöst. Aber vielleicht missdeute ich nur ihre Mimik, | |
die, trotz des Dauerlächelns, etwas verzweifelt wirkt. | |
## Jobben im Fahrradladen | |
Zyniker würden sagen: Kein Wunder. Denn Simone Peter leidet an der grünen | |
Krankheit. Wie viele ihrer Parteigänger lebt auch sie in einem politischen | |
Über-Ich-Kosmos. Etwas vom offiziellen Parteicredo Abweichendes zu sagen, | |
scheint ihr nicht möglich, ohne in einen Identitätskonflikt zu geraten. | |
Offenbar lebt der Ursprung der Grünen als weltverändernde, ja -rettende | |
Weltanschauungspartei in diesem moralisch getönten Konflikt fort: Der | |
innere Wächter achtet streng darauf, wie das richtige Leben zu leben und | |
darüber zu sprechen sei. Das am Schluss der Sätze aufklingende Lachen wirkt | |
dagegen wie eine Augenblicksbefreiung – bevor der volle Ernst des | |
„Programms“ wieder die offizielle Textversion diktiert. | |
Ich versuche in anderes Fahrwasser zu kommen und frage, ob es denn | |
Alternativen zum Biologiestudium gegeben habe. Peters Antwort bringt die | |
erste Überraschung. Nach dem Abitur hat sie ein volles Jahr ausgesetzt, um | |
sich auszuprobieren. Gern wollte sie etwas „mit den Händen machen“ – und | |
arbeitete in einem „selbst verwalteten Fahrradladen“, der „von der Idee h… | |
auch ein Kind meines Papas“ war. Dort gab es eine „freiwillige Rotation | |
zwischen Reparatur, Verkauf und Buchhaltung“. Sie habe sich wohlgefühlt in | |
diesem Ambiente. In derselben Zeit bemühte sie sich um eine Lehre als | |
Designerin in „progressiven Schmuckläden“. | |
Als sie von dieser Zeit spricht, verschwindet die verzweifelte Lächelmaske, | |
ihre Stimme wird weicher, die Intonation lebendiger. Aber es bleibt ein | |
Schlenker. Danach geht es im Eilmarsch durch die biografischen Stationen: | |
weder Schmuck noch Fahrrad, sondern doch das Biologiestudium, | |
Parteieintritt, Promotion. Sie wird energiepolitische Sprecherin der | |
Saar-Grünen, geht beruflich nach Bonn zur von Hermann Scheer – Freund von | |
Papa – gegründeten „Eurosolar“, anschließend nach Berlin, wo sie die | |
„Agentur für Erneuerbare Energien“ aufbaut und leitet. Ein konsequenter | |
Lebensweg, der 2009 eine erste Krönung erfährt: Sie wird saarländische | |
Umweltministerin; 2013 dann Parteivorsitzende der Bundesgrünen. | |
Wie würde Simone Peter als Goldschmiedin oder Managerin des | |
Fahrradkollektivs leben? Nur eines scheint mir klar: Auch in diesen | |
Alternativleben wäre nur eine Führungsposition infrage gekommen. Eines | |
ihrer Lieblingswörter heißt „Herausforderung“: Das ist, was sie sucht und | |
zum Anlass nimmt, „an sich zu arbeiten“ – eine weitere ihrer | |
Lieblingswendungen. | |
## Sie zuckt die Achseln | |
Manche Kritiken träfen sie, sagt sie, aber auch das sei nur ein weiterer | |
Anlass, an sich zu arbeiten. Nervig sei für sie etwa die Dauerfrage | |
gewesen, wie sie den Berliner Spitzenjob mit der noch im Saarland lebenden | |
Familie – Mann und Sohn – unter einen Hut kriege. Dass sie einen Tag pro | |
Woche zu Hause bleibe, führte seinerzeit zu kritischen Stellungnahmen. Sie | |
zuckt die Achseln. Wäre sie ein Mann, hätten die Kommentare gelautet: Er | |
nimmt sich einen ganzen Tag für die Familie, sagt sie. | |
Wie intensiv sie die politische Arbeit beschäftigt, merke ich daran, dass | |
neben ihr und der Familie wenig Platz bleibt. Meine Fragen nach | |
Lieblingsbüchern, -musiken oder -filmen erbringen entweder Genreantworten | |
(Biografien mit politischem Bezug, französische Filme) oder | |
Jugenderinnerungen („Neue deutsche Welle“). Die private Person bleibt in | |
ihrem Gehäuse. | |
Ganz am Ende bricht das Gespräch überraschenderweise auf, als sie einen | |
Witz erzählt, den sie von ihrem Sohn gehört hat: Das gemeinsame Lachen | |
verjagt den inneren Pressesprecher. Schade, sage ich, dass es ihr nicht | |
gelinge, diese zwanglose Art in ihre öffentlichen Auftritte zu bringen. Die | |
Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Ich arbeite daran.“ Ich | |
schlucke. „Es fällt mir selber auch auf, nervt mich auch total“, sagt sie. | |
„Das muss man erlernen, das ist auch eine Herausforderung zur | |
Professionalisierung gerade in dem Job, dass das eine mit dem anderen zu | |
verbinden ist.“ | |
Es ist ein Moment, in dem die Gegensätze sich berühren, um explosiv wieder | |
auseinanderzustreben. Die gerade gewonnene Leichtigkeit mutiert zur | |
Arbeitsanforderung und schafft sich damit ab. Wirklich schade, denke ich. | |
Vielleicht war es ja das, was die alten Vollblutpolitiker ausmachte: Sie | |
dachten nicht über ihren Auftritt nach, sie machten ihn einfach. | |
18 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Schneider | |
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