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# taz.de -- Portrait Monika Grütters: Ein anarchisches Reservoir
> Die Staatsministerin für Kultur und Medien sieht sich als „oberste
> Lobbyistin der Freiheit der Kunst“. Sie macht ihren Job unverkrampft.
Bild: Monika Grütters hat nie Politikerin werden wollen
Es ist wahrhaftig eine Vogelperspektive, die Krähen fliegen auf Augenhöhe.
Ganz weit unten geht die Kanzlerin ihren Empfangspflichten nach.
Staatsbesuch, der polnische Präsident ist zu Gast. Eine Militärkapelle
spielt, die Fahnen – nein, die Fahnen klirren nicht im Winde. Aber wenn ich
es sagen würde, wüsste meine Gesprächspartnerin, die sich locker an das
Geländer der Dachterrasse lehnt, welches Zitat mir beim Betrachten der
Szene durch den Kopf ging: Hölderlin fällt in ihr Fach. Als die
Nationalhymne im Hof erklingt, verändert sich unwillkürlich ihre Haltung.
Nicht dass sie strammstehen würde, aber es ist offenkundig, dass sie die
Töne dazu bringen, sich anders hin-, anders zur Welt zu stellen. Monika
Grütters ist nicht nur ganz oben, in der höchsten Etage des Kanzleramts
angekommen. Sie repräsentiert, wo immer sie steht, Deutschland.
Die „Staatsministerin für Kultur und Medien“ ist nun seit anderthalb Jahren
im Amt. Sie übt es auf eine unaufgeregte, selbstverständliche Art aus. So
„unverkrampft“ wie Exbundespräsident Herzog es einmal als Haltung forderte.
Das ist mehr als 20 Jahre her. Damals gehörte es fast zwingend zur
politischen Reflexologie, dass der seinerzeit amtierende SPD-Vorsitzende
dahinter Geschichtsvergessenheit witterte.
Niemand könnte auf die Idee kommen, dass Monika Grütters’ Pflege der
Gegenwartskultur die intensive Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit
ausschließen würde. Gut ein Viertel der Arbeit ihres Hauses gilt diesem
Thema. Sie selbst hat ihre persönliche „kulturpolitische Philosophie immer
mit diesem Aspekt grundiert“, sagt sie sachlich, aber mit Nachdruck.
Deshalb besteht sie auch auf dem Terminus „Erinnerungskultur“. Die
gründliche Aufarbeitung der Vergangenheit sei wesentlich dafür
verantwortlich, dass Deutschland wieder zu einem auch moralisch geachteten
Partner in der Welt geworden sei. Auch dass Berlin heute ein bevorzugter
Ort für Künstler aus aller Welt ist, sei nicht zuletzt darauf
zurückzuführen.
Die Welt der Künstler und all jener, die aktiv am Kunstleben teilhaben, ist
Grütters’ zweite Heimat. Sie bewegt sich darin mit der einladenden Geste an
jede(n), daran teilzuhaben. Der elitäre Touch eines Kultursnobismus ist der
studierten Germanistin und Kunsthistorikerin fremd. Es ist kein Zufall,
dass sie sich intensiv um die künstlerische Avantgarde und Alternativszene
kümmert. In ihrer Kulturfamilie ist Platz für viele.
## Familie, die erste Heimat
Monika Grütters’ Talent, auf Menschen zuzugehen, hängt zweifellos mit ihrer
ersten Heimat zusammen, ihrer Familie. Sie ist „der Glücksfall meines
Lebens“. Weil die gläubige Katholikin als ältestes von fünf Kindern in
Münster, der Stadt der revolutionären protestantischen Wiedertäufer,
geboren wurde, vermutet sie ein „anarchisches Reservoir“ in ihrem
genetischen Code. Sie lacht. Vielleicht hat der Scherz mehr Tiefgang, als
sie meint. Denn immer wieder ging es in ihrem Leben darum, etwas gegen den
Strich zu bürsten, Gegensätze unter einen Hut zu bringen oder
unterschiedliche Ziele und Fähigkeiten auszubalancieren.
Der ursprüngliche Berufswunsch war weit von ihrem heutigen Arbeitsfeld
entfernt. Sie wollte, in der Spur des Vaters, Ärztin werden. Es waren die
Eltern, die ihr nahelegten, stattdessen ihre Neigung zu Literatur, Theater
und Kunst zu pflegen. Dass sich dann einer ihrer Brüder als Nachfolger für
die Arztpraxis fand, passt zum Bild, das sie von der Familie zeichnet: eine
beneidenswert heile Welt.
Eltern und Geschwister sind auch heute noch die Menschen, die ihr am
nächsten stehen: Der Zusammenhalt ist ungebrochen stark. Man besucht sich,
verbringt teilweise die Ferien miteinander. Monika Grütters ist mehrfache
Patentante. Gemessen an dieser familiären Idylle, bleibt die Tatsache, dass
sie keine eigene Familie gegründet hat, ein Schmerzpunkt. Er ist fühlbar.
Aber sie redet es nicht schön, empfindet es als „hohen Preis“ für das von
ihr gewählte Lebensmodell – und versucht ein Lächeln.
Die scharfe, teilweise unter die Gürtellinie gehende Kritik von Galeristen
und Sammlern an dem von ihr vorangetriebenen „Kulturgutschutzgesetz“ hat
sie getroffen, weil die Attacke aus ihrer „zweiten“, der Kulturfamilie kam.
Das schmerzt, aber es wird sie nicht in ihrem Vorhaben beirren, national
wertvolles Kulturgut zu schützen und den Verkauf bestimmter Kunstwerke ins
Ausland Ausfuhrregeln zu unterwerfen. Auch wenn sich Monika Grütters als
„harmoniebedürftig“ bezeichnet, ist sie alles andere als konfliktscheu:
„Wenn ich es selbst managen kann, wenn ich selber die bin, von der es
abhängt, dann werde ich lieber den Stier bei den Hörnern packen.“ Schwierig
werde es immer dann, wenn sie nicht selbst Herrin des Verfahrens, sondern
von anderen abhängig sei.
## Unabhängigkeit und Freiheit
Sie hat nie Politikerin werden wollen, obwohl sie schon als Jugendliche im
heimischen Stadtrat tätig war, und, als drittes Fach, auch noch
Politikwissenschaften in Bonn studiert hat. Im traditionell linken Milieu
dieses Fachbereichs war sie als CDU-Frau verschrien, achtete aber auch hier
auf ihre Autonomie: Nicht der christdemokratischen Studentenorganisation,
dem RCDS, trat sie bei, sondern gründete ihren eigenen Zirkel, die
„Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Germanisten“.
Unabhängigkeit, Freiheit – das sind Grütters’ große Themen. Heute nennt …
sich schlicht die „oberste Lobbyistin der Freiheit der Kunst“. Es ist mehr
als ein Bonmot, denn es bezeichnet das scheinbare Paradoxon, dass selbst
die Freiheit, wenn sie nicht zum Passepartoutwort von Sonntagsreden
verkommen soll, der professionellen Interessenvertretung bedarf. Ein
Widerspruch?
Monika Grütters hat sich im Leben wie in der Politik wohl kaum jemals der
Illusion hingegeben, Wunsch und Wirklichkeit seien bruchlos und
konfliktfrei zusammenzubringen. Ihr Talent ist die Balance, das Austarieren
von Widersprüchen, die Fähigkeit, Realitäten anzuerkennen, ohne sie mit dem
Ideal zu verwechseln oder schönzureden. Man könnte das Pragmatismus nennen.
Aber es ist ein Pragmatismus, der sich nicht im Dauerkompromiss verliert,
sondern die Utopie von Kunst und Kultur im Auge behält. Deren oberstes
Versprechen ist das des Glücks – was nicht mit einem Anspruch darauf zu
verwechseln ist.
Als sie auf ihre germanistische Examensarbeit zu sprechen kommt, wird mir
deutlich, wie nah diese literaturwissenschaftliche Exegese einer
Selbstthematisierung kommt. Die junge Germanistin Grütters hat die
berühmten „Idyllen“ Jean Pauls untersucht, die er selbst als „Darstellung
des Vollglücks in der Beschränkung“ verstand. Ihre Analyse ergab indes,
dass diese Idyllen nicht realisierbar sind. An ihrem Ende steht meist der
Tod des Helden.
## Treue
Als Monika Grütters davon mit beinahe jugendlichem Eifer erzählt, frage ich
mich, was diese Einsicht für jemanden bedeutet haben mochte, der – wie die
meisten in diesem Alter – das Leben noch als realisierbares Idyll erträumt.
Jean Paul hatte eine Antwort: „Der Traum des Lebens wird ja auf einem zu
harten Bett geträumt“, lässt der Autor seinen Helden Siebenkäs im Finale
des gleichnamigen Romans sagen, als der Protagonist vor seiner eigenen
Grabstätte einer alten Vertrauten begegnet. Es ist ein Augenblick der
Koinzidenz von Tod und Treue.
Treue ist ein Begriff, der unbedingt zu Monika Grütters passt. Gegen Ende
des Gesprächs erzählt sie vom vor Jahren erneuerten Kontakt zu ihrer alten
Deutschlehrerin. Seither tauschen sie die jeweiligen Lieblingslektüren aus.
Es klingt nicht sentimental. Nur ungewöhnlich, fast wie aus einer anderen
Zeit. Mir kommt das Bild wieder, wie sie ihre Haltung veränderte, als die
Nationalhymne ertönte. Für einen Moment versuche ich mir vorzustellen, wie
Jean Paul die Szene beschrieben hätte. Und gebe es schnell auf, weil es
dieses Land, Deutschland, damals noch nicht so gab, wie es sich uns heute
darstellt: als Land der Dichter und Denker ebenso wie das der Richter und
Henker; immer noch ein veritables Kunststück, es unter einen Hut zu
bringen.
Monika Grütters repräsentiert so etwas wie ein neues Nationalbewusstsein,
das beide Seiten zusammenbringt. Es speist sich bei ihr aus den
traditionellen Quellen des Konservativismus: Familie, religiöse Bindung,
Bildung. Inklusive der immer noch verlachten, ja verachteten „Tugenden“ wie
Fleiß, Pflichterfüllung, Treue.
Ich denke an die Spannung zwischen ihrem persönlichen Wunsch nach Idylle
und der Rolle als Lobbyistin einer Kunst, von der sie fordert, sie müsse
widerständig, ja anstößig sein. Selbst wenn sie ihren Glauben, ihr
religiöses Gefühl verletzt. Vielleicht ist das die Grundspannung ihres
Lebens.
„Sind Sie mit Ihrem Leben zufrieden?“, frage ich zum Schluss. „Zufrieden
ist zu wenig“, antwortet sie ohne Zögern. „Ich bin ein glücklicher Mensch…
Was sie für die Kultur und das Land tun könne, sei nicht weniger als
„Lebenserfüllung“. Ich werfe einen letzten Blick aus dem „schönsten Bü…
Deutschlands“ in den Hauptstadthimmel. Draußen krähen die Krähen.
4 Nov 2015
## AUTOREN
Christian Schneider
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