# taz.de -- Die Wahrheit: Auftragsmord und Biomöhre | |
> Werbung im Radio ist die Pest. Einige Spots sind aber noch viel schlimmer | |
> und lassen düstere Gewaltfantasien sprießen. | |
Ich gehöre zu den Leuten, die morgens nach dem Aufstehen in die Küche | |
trotten und mit einer Hand die Espressomaschine, mit der anderen das Radio | |
anschalten. Es gibt durchaus hörbare Sender des öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunks, und für einen von ihnen habe ich mich entschieden. Der ist | |
eingestellt, der wird gehört und basta. | |
Nur die Werbung ist immer die Pest. Da wird geschrien, geplärrt und | |
agitiert, dass einem die Butter vom Toast hopst. Der Universalgag mit dem | |
Sprecher, der wegen des tollen Angebots blitzartig das Studio verlässt, | |
wird bis zum Erbrechen variiert. Die Leute rennen angeblich wegen günstiger | |
Leasingraten genauso davon wie wegen dubioser Offerten der alten Tante | |
Telekom. Mit wachsendem Erstaunen nehme ich immer neue Spots nach altem | |
Strickmuster zur Kenntnis, ohne jemals auf die Idee gekommen zu sein, mich | |
für ein Angebot zu interessieren. So weit, so lästig. | |
Richtig ins Knie geschossen aber hat sich die Mittelbrandenburgische | |
Sparkasse, die für ihren Spot eine Frau mit Premium-Quiek-Stimme ins Rennen | |
schickt. Auf der nach oben offenen Skala der nervigsten | |
Gesprächseröffnungen hat sie den Höchststand erreicht. „Schaaahatz?!“, | |
quengelt sie überlaut ins Nichts, „wahas ist denn das für eine Abbuchung | |
auf unserem Konto?“ Dann beschwert sie sich über den mangelnden Service von | |
Online-Banken. Der so angenölte Schaaahatz versucht die Dame um des lieben | |
Friedens willen zu beruhigen und zum Wechsel zur Sparkasse mit echten | |
Schaltern und Menschen zu bewegen. | |
Na, denke ich jedes Mal, die würden sich freuen, wenn Frau Nervensäge | |
persönlich erschiene und den Grund seltsamer Abbuchungen auf dem ehelichen | |
Konto ergründen wollte. Nachdem ich den Spot wochenlang morgens mehrmals | |
erduldet hatte, begann ich zu hoffen, dass es sich bei dem ominösen | |
Geldfluss um eine Anzahlung auf einen Auftragsmord an eben dieser Gattin | |
handelt. | |
Wer meine aus verzweifelter Notwehr erwachsene Gewaltfantasie nun | |
frauenfeindlich findet, der sei auf ein momentan in Süddeutschland | |
verbreitetes Werbeplakat hingewiesen. Glänzende Tomaten sind dort | |
abgebildet, das Foto überschrieben mit der Behauptung: „Wir haben die | |
Prallsten“. Unterhalb des saftigen Gemüses prangt ein in Grün gehaltener | |
Aufkleber mit dem Befehl: „Besorg’s Dir im Bioladen.“ | |
Auf gar keinen Fall – möchte man ausrufen und sieht das Meeting zwischen | |
Werbeagentur und Bioladenvertretern so richtig vor sich. „Des isch frisch | |
und frech!“, schwäbelt der Bioland-Chef freudig erregt und macht für die | |
Kampagne die letzten Piepen aus dem Schafwollsparstrumpf locker. Wie | |
neulich schon, als in Berlin für eine Rohkostmesse mit der peppigen | |
Überschrift „Rohvolution“ geworben wurde und keine Fragen offen blieben, | |
wes Geistes Kind die Veranstalter sind. | |
Weltveränderung durch ungekochte Biomöhre? Dafür sind die Frühkartoffeln | |
nicht gestorben! Trotzdem. Mir behagt die Vorstellung irgendwie nicht, es | |
mir mit Tomaten besorgen zu sollen. Nicht mal im Bioladen. | |
15 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Stöhring | |
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