# taz.de -- Kolumne Jung und dumm: Wenn Weidermann weint | |
> „Die Unglückseligen“: Literaturkritiker haben neuerdings auch Gefühle. | |
> Und Gedanken. Manchmal sogar zwei auf einmal. | |
Bild: Das neue „Literarische Quartett“: Volker Weidermann (l.), Christine W… | |
Aus mir im und aus Prinzip unerfindlichen Gründen wurde die vietnamesische | |
Gaststätte, in der ich sonst so viel Zeit meines Lebens verbringe, von der | |
südhessischen Kindermafia besetzt, deren Mitglieder darin nun schreiend in | |
Gangränen pulen, stinkend ihre Weltsicht kundtun und die Bedienung | |
terrorisieren, obwohl sie das Wort „Bambussprosse“ nicht mal fehlerfrei | |
aussprechen können. | |
Wie gut, dass es noch andere hippe, bedeutungsvolle Essenssachen gibt in | |
diesem Frankfurt. Zum Beispiel das Fischdöner-Boot am Mainufer, ja, | |
wirklich, schmeckt super. Einzig die Gänseschar davor ist verstörend – sie | |
sei sein „Zoo“, sagt der Wirt. Aber so eine Gans ist eben nun mal auch eine | |
nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle. | |
Sitzt man so brav auf der Kaimauer und plötzlich, zack, hack, ist der | |
Rücken aufgeschlitzt. Der Kopf in den Magen gerammt – der Schnabel im | |
Nabel. Der Körper unter Strom gesetzt (die neue Trenddroge: | |
Überlandleitungen anfassen). Viele Gänse enthalten noch veraltete | |
Dieselgeneratoren aus der Pommpomm-Reihe und stehen daher permanent unter | |
Hochspannung. Wussten Sie das? | |
Bleiben an dieser Stelle noch einige Zeilen, um das erste „Literarische | |
Quartett“ ohne Maxim Biller zu besprechen. Literaturkritik ist inzwischen | |
ja nur noch das müde Schlagen einer Katze, die von einem Haufen Sadisten in | |
einen Bienenstock gesperrt wurde, aber sich vorher schon umbringen wollte. | |
## Trendy und lebensnah | |
Ganz anders das „Quartett“: Mit beeindruckender Hartnäckigkeit machen seine | |
Teilnehmer im Vorfeld und während der Sendung Anspielungen auf Twitter und | |
das Internet, was zeigt, dass sie trendy denken. Und auch sonst sind sie | |
sehr lebensnah. | |
Volker Weidermann, der einen grauen Anzug und darunter ein schwarzes Shirt | |
mit V-Ausschnitt trug, gab an, bei der Lektüre von Hanya Yanagiharas „Ein | |
wenig Leben“ „unendlich viel geweint“ zu haben, „ständig und permanent… | |
Geradezu meditativ ist seine Fähigkeit, sich auf seine Gefühle einzulassen: | |
„Ich misstraue meinen Tränen nicht, sondern ich bin auch ein Leser, der das | |
Pathos unglaublich schätzt.“ | |
Wo er Walsers Antisemitismus ungewohnt harsch mit den Worten „überflüssig“ | |
und „befremdlich“ rügte, kam Billers Nachfolgerin Thea Dorn, die ihren | |
Magister an der FU Berlin mit einer Arbeit über Selbsttäuschung ablegte, | |
nicht umhin, das neue Werk des Großschriftstellers als „ziemlich hohe, | |
großartige Dialektik“ zu loben. | |
Dorn, deren jüngster Roman den Titel „Die Unglückseligen“ trägt, heißt … | |
bürgerlichem Namen Christiane Scherer und gab sich als „eingefleischte | |
Adornitin“ (T. D.) einst ihren Künstlernamen aus Dank an „Theo“ (T. D.) … | |
aber vermutlich auch, um ihren unbequemen, im wahrsten Sinn dornigen Geist | |
zu beweisen. Ich bin sicher, sie könnte sehr gut einmal eine Diskussion | |
zwischen Herrn Walser und Herrn Adorno moderieren, vielleicht über die | |
Pkw-Maut. | |
Um unseren Dank für sie, die von den Feuilletongewaltigen viel zu lange | |
Unterschätzte und als affektiert Verschmähte, zum Ausdruck zu bringen, | |
trägt der tazzwei-Kolumnist heute ihren Namen. | |
15 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Thea Dorn | |
## TAGS | |
Literarisches Quartett | |
Jung und dumm | |
Der Spiegel | |
Maxim Biller | |
Jung und dumm | |
Jung und dumm | |
Martin Walser | |
Maxim Biller | |
Jung und dumm | |
Juli Zeh | |
Jung und dumm | |
Jung und dumm | |
Jung und dumm | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Volker Weidermann verlässt den „Spiegel“: Glück eines Kritikers | |
Nach sechs Jahren beim „Spiegel“ kündigt Weidermann. Der ehemalige | |
Moderator des „Literarischen Quartetts“ hat eine Abschiedsmail geschrieben. | |
Roman „Sechs Koffer“ von Maxim Biller: Fragen an den Tod des Großvaters | |
Maxim Biller erzählt in seinem aktuellen Roman „Sechs Koffer“ von Familie, | |
Verrat und vom Antisemitismus in sozialistischen Ländern. | |
Kolumne Jung und dumm: All die armen Menschen | |
Geklonte Tiere, Marketing-Zombies, Breakdancer-Mützen, FDP und | |
Kannibalismus: Die Digitalisierung macht nirgendwo Halt. | |
Kolumne Jung und dumm: Bullen ficken | |
Die G20-Polizeihelden von Hamburg verdienen nicht nur Respekt, sondern | |
Liebe. Die Ehe für alle bietet dafür neue Möglichkeiten. | |
Eklat bei Frankfurter Vorlesung: Reaktionäre Abgründe der Poetik | |
Blech reden und schummeln: Der Autor Michael Kleeberg äußert abfällig sich | |
über Zuwanderung, will dann aber nicht mehr dazu stehen. | |
Maxim Billers Hass-Kolumnen: Den Zeitgeist bombardieren | |
Die Kolumne „Hundert Zeilen Hass“ gibt es jetzt als Buch. Die Texte kommen | |
aus einer rätselhaft wirkenden Zeit – und sind trotzdem extrem lustig. | |
Kolumne Jung und dumm: Moorleiche, Arschzapfen | |
Der Hass auf die Menschen verdrängt jeden Kummer. Aber was ist aus meinem | |
Kumpel am Kaugummiautomat geworden? | |
Kolumne Jung und dumm: Warum die Hose runterrutscht | |
Arsch aufspritzen, Grünteetassen, ist Frau Zeh gesund? Wer hier | |
Schonhaltung vermutet, weiß nicht, wie anstrengend die sein kann. | |
Kolumne Jung und dumm: Sind Sie Flüchtling? | |
Die Welt ist verwirrend? Nicht mehr lange! Machen Sie den | |
taz-Krisefragebogen und entdecken Sie Ihr wahres Debatten-Ich. | |
Kolumne Jung und dumm: Warum sich nichts mehr ändern wird | |
Der Anteil jener, die gegen die Klospültaste kacken, dürfte höher sein als | |
derer, die wählen gehen. Verwirrte Gedanken zur Hochschulwahl. | |
Kolumne Jung und Dumm: Subjektkonstitution | |
Heuschnupfen nervt. Abhilfe schafft nur der Allergietest – auch der nervt. | |
Außerdem soll man sich nicht die Ohren säubern. Wussten Sie das? |