# taz.de -- Maxim Billers Hass-Kolumnen: Den Zeitgeist bombardieren | |
> Die Kolumne „Hundert Zeilen Hass“ gibt es jetzt als Buch. Die Texte | |
> kommen aus einer rätselhaft wirkenden Zeit – und sind trotzdem extrem | |
> lustig. | |
Bild: Maxim Biller bei einer gemeinsamen Lesung für Deniz Yücel | |
Maxim Billers Kolumnen „Hundert Zeilen Hass“, die von 1987 bis 1999 in | |
Tempo erschienen und nun gesammelt aufgelegt wurden, haben immer noch eine | |
große Eleganz und eine polemische Wucht, die durchaus Mut erforderte, weil | |
da jemand ohne Rückversicherung zu schreiben schien und sich eine Menge | |
Feinde machte, nicht nur im gerontokratischen Feuilleton. | |
Biller hatte die hohe Kunst des Kolumnierens neu erfunden, indem er auf | |
einer Klaviatur spielte, die sich Oldschool-Kolumnisten von selber | |
verboten, weil sie schulmeisterlich vertrocknete Wahrheiten feilboten. | |
„Hundert Zeilen Hass“ ist eines der lustigsten und kurzweiligsten Bücher | |
der letzten Jahre, und das, obwohl die Kolumnen von einer Zeit handeln, die | |
aus heutiger Sicht fast schon rätselhaft wirkt. | |
Oder erinnert sich noch jemand an die Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin | |
Dönhoff, vor der die Redakteure antanzen mussten, wenn mal ein Artikel über | |
den von ihr persönlich gepachteten „deutschen Widerstand des 20. Juli“ | |
erschien, der diesen nicht in den leuchtendsten Farben erstrahlen ließ, und | |
die tatsächlich an Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ monierte, | |
er würde „den mehr oder weniger verstummten Antisemitismus wieder neu | |
beleben“, indem er ihn aufzeigte. | |
Dieses damals weit verbreitete Argument verhandelt Biller zwar nicht, aber | |
man hätte gerne seinen Kommentar dazu gelesen, aber auch ohne diesen | |
expliziten Schwachsinn bringt seine Beschreibung der „grauen Eminenz“ genau | |
auf den Punkt, woran der staatstragende Journalismus damals krankte: „Ihre | |
Leitartikel sind moralische Tagesbefehle, Belehrungen und Bekehrungen – | |
immer von oben herab, aber nie aus geistiger Höhe … Die große Pfäffin | |
Dönhoff schreibt wie ein Kind: naiv, uninspiriert und schematisch.“ | |
Man muss solche Gespenster heute nicht mehr unbedingt kennen, um Vergnügen | |
an den Kolumnen zu empfinden, denn sie haben ihren Gegenstand überlebt, sie | |
glänzen noch immer in ihrer Geschliffenheit und Frechheit. | |
Man könnte Hunderte von Stellen zitieren als Belege für Billers Humor, | |
seine Schärfe, seine Präzision. Ein paar Leute sollen wenigstens erwähnt | |
werden, wie Heiner Müller und seine „quasselig-sophistische | |
DDR-Borniertheit“ oder der „bayerische Parvenü mit | |
Hundesalonbesitzer-Charme“ Beckenbauer oder der „sehr pomadige | |
Schauspieler“ Ulrich Tukur mit dem „Talent eines Max Headroom“, wobei das | |
jetzt in die Irre führt, denn Biller wollte kein Kuriositätenkabinett | |
anlegen, vielmehr sind die Invektiven immer ein Beleg für gesellschaftliche | |
Zustände und für das Gemüt der Deutschen, für den Rassismus nach der | |
Wiedervereinigung, für das Versagen der Linken vor dem „fahnenschwenkenden | |
Siegestaumel“ und dem „teutonischen Nationalismus“ und natürlich für den | |
Antisemitismus. | |
Maxim Biller inszenierte sich damals schon als Einzelkämpfer, der darauf | |
achtete, kein Bündnis mit potenziellen Verbündeten und Verwandten im Geiste | |
einzugehen. Seine Verdienste um die Aufklärung dessen, was die Deutschen | |
Ende der 80er und in den 90ern quälte, werden dadurch nicht geringer. | |
Dieses Buch sollte man in der Henri-von-Nannen-Schule zur Pflichtlektüre | |
machen. Vielleicht würde man dann wieder lieber zu einer der Zeitungen | |
greifen, die die so vollkommen mainstreamgebürsteten Absolventen solcher | |
Ausbildungsstätten durch ihre forsche und selbstbewusste Ahnungslosigkeit | |
immer unlesbarer machen. | |
12 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus Bittermann | |
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