# taz.de -- Yonca Şık über inhaftierte Journalisten: „Ahmet sagt nur die W… | |
> Ahmet Şık sitzt wie Deniz Yücel im Gefängnis von Silivri, Block 9. Seine | |
> Frau Yonca Şık im Gespräch über Journalismus, Folter und Hoffnung. | |
Bild: Die Vorwürfe gegen Ahmet Şık sind kafkaesk | |
taz.am wochenende: Frau Şık, in einem Interview nach seiner Haftentlassung | |
im März 2012 erzählte Ihr Ehemann einmal von einem 60-jährigen | |
Journalisten, mit dem etwas nicht stimmen könne, weil er schon drei Putsche | |
erlebt hätte, aber nie vor Gericht stand. Das kann man bei Ihrem Mann – | |
Ahmet Şik – nicht sagen. Er hatte bereits mehrere Verfahren und sitzt | |
gerade zum zweiten Mal im Gefängnis. Haben Sie sich schon daran gewöhnt? | |
Yonca Şık: Daran gewöhnt man sich nicht. Man wird nur erfahrener. Die | |
Bedingungen sind nun auch wesentlich härter als 2011. | |
Inwiefern? | |
Die Isolation war nicht so hart wie jetzt im Ausnahmezustand. Damals | |
konnten wir Ahmet Bücher und Briefe mitbringen. Die Anwälte durften täglich | |
mit ihm sprechen, auch die ganze Familie und drei nicht verwandte Personen | |
konnten ihn besuchen. Heute dürfen ihn nur der Anwalt und ich ein Mal in | |
der Woche für eine Stunde sehen. Nichts dürfen wir ihm geben, keine Briefe, | |
keine Bücher, außer Lehrbüchern, und nur alle zwei Monate darf ich mit ihm | |
ohne Trennscheibe sprechen. Das sind die Regeln in Block 9, der Block, in | |
dem vor allem die Leute sitzen, denen vorgeworfen wird, die Gülen-Sekte zu | |
unterstützen. Da sitzt auch Deniz Yücel. Die Bedingungen dort sind die | |
härtesten im ganzen Gefängnis. | |
Ahmet Şık kam bei der ersten Verhaftung in Untersuchungshaft, weil er | |
recherchiert hatte, wie die Gülenisten den türkischen Staat in Polizei und | |
Justiz unterwandern. Jetzt sitzt er im Gefängnis, weil er angeblich | |
Propaganda für die Gülenisten betrieben hat. Können Sie über die Absurdität | |
der türkischen Justiz noch lachen? | |
Natürlich. Einerseits. Andererseits nicht. An Ahmets Fall zeigt sich, was | |
für ein Horror das Absurde ist und dass von einem Rechtsstaat nicht mehr | |
die Rede sein kann. | |
Weil das, was die Behörden gegen Ihren Mann als Beweis vorlegen, | |
willkürlich ist? | |
Ja. Es handelt sich bei allen diesen Texten, die der Richter zitiert, um | |
journalistische Arbeiten, die sowohl von der Europäischen | |
Menschenrechtskonvention und der türkischen Verfassung geschützt sind. Die | |
Behörden wollten Ahmet übrigens auch noch Propaganda für die kommunistische | |
DHKPC unterschieben. Aber die Anwälte mussten dem Staatsanwalt mitteilen, | |
dass man für eine Sache, wegen der man schon mal vor Gericht stand und | |
freigesprochen wurde, nicht nochmal angeklagt werden kann. | |
Vor der ersten Verhaftung Ihres Mannes hatte es eine Rufmordkampagne in den | |
AKP-nahen Zeitungen gegeben. Haben Sie damals damit gerechnet, dass er | |
verhaftet wird? | |
Ahmet wurde zu einem Anhänger der vermeintlichen Ergenekon-Verschwörung | |
gegen die AKP erklärt. Da sagte er mir: „Ich glaube, die holen mich auch | |
bald ab“, und wir haben darüber gelacht. Weil, wenn jemand so was sagt, | |
dann klingt es immer ein bisschen wichtigtuerisch. Bis eines Morgens um | |
sieben Uhr Pablo, unser Hund, bellte, weil die Polizei vor der Tür stand, | |
die dann sieben Stunden unsere Wohnung durchsuchte und Ahmet mitnahm. | |
Wie steht man das alles psychisch durch? | |
Es erschöpft. Mit einem Mann im Gefängnis müssen Sie auf einmal zwei Leben | |
organisieren. Ich interessiere mich nicht für Energekon, aber ich musste in | |
Interviews ständig darüber reden. Ich bin nicht mehr Yonca, sondern die | |
Frau von Ahmet Şık. Das ist schon ein bisschen hart. Aber schließlich geht | |
es hier doch um einen Kampf und ein selbstverständliches Eintreten für | |
Demokratie und Meinungsfreiheit, und es gibt gar keine andere Möglichkeit, | |
als diesen Kampf weiterzuführen. Wir sind und waren auch nie alleine damit. | |
Es sind nicht die schwierigen Momente, die mir aus der Zeit, in der Ahmet | |
ein Jahr im Gefängnis verbracht hat, in Erinnerung bleiben. Sondern es | |
bleibt, dass mir immer das wunderbare Gefühl gegeben wurde, ich werde nicht | |
alleine gelassen; es geht alle an und nicht nur mich. Wir haben uns während | |
der ersten Inhaftierung von Ahmet immer über den Staat lustig gemacht und | |
wir sind am Ende als Sieger hervorgegangen. Wir hatten recht. Und nicht der | |
Staat. | |
Hat das eine Jahr im Gefängnis bei Ihrem Mann Spuren hinterlassen? | |
Zunächst einmal eine sehr sichtbare. Während er im Gefängnis saß, wurde | |
auch sein Manuskript mit den Recherchen über die Gülen-Sekte als Buch mit | |
dem Titel „Die Armee des Imams“ gedruckt. Außerdem hat Ahmet im Gefängnis | |
ein weiteres Buch geschrieben: „Pusu“. Also Hinterhalt. Das Buch hat den | |
Untertitel: „Die neuen Besitzer des Staates“. Ahmet beschreibt hier vor | |
allem an seinem eigenen Fall die undemokratischen Entwicklungen in Justiz, | |
Politik und Medien. | |
Das Buch „Die Armee des Imams“ ist bis heute Gegenstand eines Verfahrens | |
gegen Ihren Mann. | |
Ja. Es wurde als Dokument des Terrors bezeichnet und ist verboten. Auch der | |
Besitz eines Manuskripts. Freunde haben eigens einen Verlag dafür | |
gegründet, als er im Gefängnis saß, um es zu publizieren, und es wurde im | |
Internet veröffentlicht, wo es hunderttausendfach runtergeladen wurde. Aber | |
der Prozess gegen meinen Mann und andere Journalisten wegen der Verbreitung | |
des Manuskripts läuft immer noch. | |
Haben sich für Journalisten die Bedingungen verschlechtert, seit 2002 die | |
AKP regiert? | |
Ahmet ist seit 27 Jahren Journalist in der Türkei und hat sich sein Leben | |
lang mit Rechtsverletzungen und antidemokratischen Entwicklungen | |
beschäftigt. Das hat dem Staat noch nie gefallen. Er hat als Fotojournalist | |
angefangen, sein erstes Buch über Minenopfer in den kurdischen Gebieten | |
gemacht. Sein Vorbild war Susan Sontags „Das Leiden anderer betrachten“. In | |
der Türkei ist der Staat nicht für den Bürger da, sondern andersrum. Und | |
wer ihn kritisiert, ist Terrorist. Ahmet macht seinen Beruf, den er mit der | |
Suche nach der Wahrheit identifiziert, mit Leidenschaft. | |
Deswegen ist er in der Türkei auch zu einem der prominentesten Symbole des | |
Journalismus geworden? | |
Ja. Aber er sieht sich nicht als Held. Und ich finde es auch nicht gut, | |
wenn man ihn auf ein Podest hebt. Er sagt nur die Wahrheit. Das ist etwas | |
ganz Normales und Selbstverständliches. Nur weil so viele andere schweigen, | |
wirken Ahmets Worte so groß. Um mich zu trösten, sagen meine Freunde immer: | |
„Sei froh, dass Ahmet im Gefängnis ist. Da ist er sicher.“ Ahmet ist nach | |
seinem Onkel benannt, der in den 80er Jahren erschossen wurde, ein | |
Rechtsanwalt. Journalisten wie Hrant Dink wurden erschossen oder wie Metin | |
Göktepe, ein Freund von Ahmet, zu Tode gefoltert. | |
Es gibt ein weiteres anhängiges Verfahren, für das Ahmet Şık aus dem | |
Gefängnis von Silivri nach Istanbul gefahren werden musste. | |
Ja. Ahmet hat bei seiner Freilassung im März 2012 öffentlich gesagt, dass | |
die Verantwortlichen dafür, dass er im Gefängnis war, ebenfalls da | |
reinkommen würden. 38 Richter und Staatsanwälte hatten sich daraufhin | |
beschwert, dass er sie bedrohe und beleidige. 30 dieser Leute sind | |
mittlerweile selbst im Gefängnis oder mussten fliehen. Zwei von Ahmets | |
Anwälten und auch der Richter, der ihn im März 2012 freigelassen hatte, | |
sitzen mittlerweile im selben Gefängnis wie Ahmet. Das ist kafkaesk. | |
Es klingt wirklich absurd. | |
Auf jeden Fall ist es kein rechtsstaatliches Verfahren. Die Türkei ist kein | |
Rechtsstaat mehr. Es ist lächerlich, wenn man so tut, als sei das so. Der | |
Justizminister hat kürzlich gesagt, dass es keine Journalisten gibt, die | |
wegen Journalismus im Knast sitzen. Das soll er mir mal ins Gesicht sagen | |
und mir dabei in die Augen gucken. | |
Es gibt immer wieder Gerüchte, in den türkischen Gefängnissen werde | |
gefoltert. Wissen Sie darüber etwas? | |
Wir hören davon. Konkret hat sich aber bisher niemand dazu geäußert. Aber | |
machen Sie sich nichts vor. Auch Deniz wird gerade gefoltert. Er ist | |
isoliert. Das letzte Mal, als ich Ahmet gesehen habe, sagte er: „Wenn du | |
jetzt gehst, geh ich zurück in meine Zelle, die Tür wird zugemacht und | |
sieben Tage nicht geöffnet.“ | |
Sollen die Leute dadurch psychisch gebrochen werden? | |
Mit der Isolation auf jeden Fall. Leute wie Ahmet aber macht das wütend und | |
dadurch stark. Ahmet ist als Journalist mit Würde da reingegangen und er | |
wird als Journalist mit Würde wieder rauskommen. Der Staat will den | |
Journalismus verhindern. Die Frage ist also nicht, warum die Journalisten | |
da drin sind. Die Frage ist, wie die Journalisten und die Zivilgesellschaft | |
hier draußen darauf reagieren. | |
Die Zivilgesellschaft, die noch bei den Gezi-Protesten so stark war, ist | |
zurzeit leise. | |
Die stärkste Kraft, auf die ich alle meine Hoffnung setze, sind die Frauen. | |
Sie spielen eine wichtige Rolle für den Demokratieprozess und gegen die | |
alltägliche Gewalterfahrung. Ansonsten ist die Zivilgesellschaft wie | |
eingefroren, ist walking dead. Im Sommer 2015, vor den Wahlen, sah es so | |
aus, als sei in der polarisierten Gesellschaft doch noch eine Diskussion | |
möglich. Aber dann kamen die Zerstörung der kurdischen Städte und die | |
Anschläge und wir sind von Beerdigung zu Beerdigung gegangen. | |
Hoffnungslosigkeit machte sich breit, weil nun auch die rechtsstaatliche | |
Basis wegbrach. Ahmet formuliert das so: „Unser Dilemma ist, dass wir | |
versuchen, mit dem Gesetz eine Mafia zu bekämpfen. Der gesamte | |
Justizapparat aber hat sich schon der Mafia untergeordnet.“ | |
Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Was halten Sie von den | |
Reaktionen der Bundesregierung auf Deniz Yücels Verhaftung und die | |
Situation in der Türkei? | |
Deniz ist wie Ahmet eine politische Geisel. Der deutsche Staat muss handeln | |
und darf sich nicht erpressen lassen. Deniz ist ein Mensch. Den kann man | |
nicht wie eine Spielmarke einsetzen. Die Entscheidung, dass Erdoğans | |
Minister in Deutschland nicht reden durften, finde ich richtig. Das, was | |
diese Minister erzählen, hat nichts mit Demokratie zu tun, sondern mit | |
Faschismus. | |
Auch wenn Erdoğ an vielleicht genau auf diese Reaktion spekuliert hat? | |
Ja. Die europäischen Regierungen kritisieren die Türkei viel zu leise. | |
Europa kann sich nicht heraushalten aus dem, was hier los ist. Heute wir, | |
morgen ihr. | |
Was halten Sie von Vorschlägen wie beispielsweise Boykotte deutscher | |
Touristen? | |
Man sollte die Verbindungen zur Türkei auf keinen Fall kappen. Alle sollten | |
stark daran arbeiten, die Türkei nicht zu verlieren. Wie, kann ich nicht | |
sagen. Aber Europa darf auf keinen Fall zulassen, dass die Sache hier noch | |
weiter schiefgeht. | |
Inwieweit ist das überhaupt noch möglich, wenn alles, was in Deutschland | |
gesagt wird, doch als Beleidigung empfunden wird? | |
Ja. Es ist sehr schwer. Aber wir haben nun mal keine andere Wahl. | |
10 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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