# taz.de -- Abschiebung statt Knast: Immer noch besser als Bremen | |
> Weil er lieber in Marokko auf der Straße lebt, als weiter in Bremen in | |
> Haft zu sitzen, hat ein 22-Jähriger die Blockade seiner Abschiebung | |
> abgelehnt | |
Bild: Allgemeiner Protest gegen Abschiebung geht noch in Ordnung | |
BREMEN taz | Sie haben seine Abschiebung nach Marokko nicht verhindert, die | |
rund 25 AktivistInnen von „Stop Deportation Bremen“. H. wollte das nicht. | |
Also haben sie nur protestiert, am frühen Montagmorgen, vor dem Bremer | |
Polizeipräsidium. H. wollte lieber zurück nach Marokko, als „noch länger in | |
Haft“ zu sitzen, sagt Martin von Borstel vom Verein für Rechtshilfe im | |
Justizvollzug des Landes Bremen. | |
Gestern wurde H. nach Casablanca abgeschoben. Obwohl er, wie er seinem | |
Rechtsbeistand sagte, Angst vor Obdachlosigkeit und Gewalt in Marokko habe | |
und zweifelhaft sei, dass er zu seiner Familie nach Tanger zurückkehren | |
könne. Zudem, sagt von Borstel, drohe H. in Marokko „willkürliche | |
Inhaftierung“. Das bestätigen Menschenrechtsorganisationen. Nach | |
marokkanischem Recht droht jedem, der das Land „auf heimliche Weise“ | |
verlässt, [1][eine Haft von bis zu sechs Monaten und eine Geldstrafe] von | |
bis zu 10.000 Dirham. | |
H. kam mit 13 nach Spanien, indem er sich unter einem Laster festkrallte | |
und hielt sich dort rund sieben Jahre mit Aushilfsjobs über Wasser. 2014 | |
kam er nach Deutschland, wo er eine Weile sogar in einer eigenen Wohnung | |
lebte. 2016 fiel er aus allen staatlichen Hilfen heraus – als klar wurde, | |
dass er sein Alter zu niedrig angegeben hatte. | |
Geduldet war er nur bis zum letzten Sommer. Also verlor er seine Wohnung | |
und die Betreuung, lebte bei Freunden oder auf der Straße. Ein Asylbewerber | |
war er nicht – Chancen hätte er eh kaum gehabt: Marokko gilt der | |
Bundesregierung als „sicherer Herkunftsstaat“. Auch die Bremer | |
Innenbehörde, die H. für 22 hält, hat „keine Bedenken“, ihn nach Marokko | |
abzuschieben – obwohl Amnesty International und Pro Asyl immer wieder auf | |
massive Menschenrechtsverletzungen in dem Königreich hinweisen. | |
Für die Bremer Innenbehörde ist H. vor allem ein Straftäter, der zu einer | |
Gruppe von 41 „nordafrikanischen Intensivtätern“ gehört, die abgeschoben | |
werden sollen. Sieben Marokkaner seien derzeit in Bremen zur Fahndung | |
ausgeschrieben, sagt eine Behördensprecherin, zwei weitere wurden schon | |
abgeschoben. 2016 schob Bremen 77 Menschen ab. | |
H. ist wegen Körperverletzung und Diebstahl vorbestraft, sagt die | |
Innenbehörde. Zweimal sei er verurteilt worden, sagt von Borstel, die Taten | |
habe er unter Drogeneinfluss begangen: H. nahm wohl regelmäßig Medikamente. | |
Das Geld dafür klaute er. „Er habe viele Fehler gemacht, da er nicht | |
wusste, wie er mit seiner Situation umgehen sollte“, schreibt Stop | |
Deportation Bremen in einer Erklärung. „Er bekam keinerlei Unterstützung, | |
hatte keine Perspektive, einen Aufenthaltstitel zu bekommen, und so weder | |
das Recht zu arbeiten noch die Möglichkeit zur Schule zu gehen.“ | |
Seit Januar saß H. in Abschiebehaft. Die Aufforderung zur „freiwilligen | |
Ausreise“ habe die Innenbehörde zuvor im Stadtamt ausgehängt, sagt von | |
Borstel, also „öffentlich zugestellt“. Zur Kenntnis genommen hat H. das | |
freilich nicht. | |
Das Amtsgericht habe das für rechtmäßig befunden, sagt von Borstel. Erst | |
das Landgericht habe die Haftanordnung für „rechtswidrig“ erklärt, aber n… | |
für die Zeit bis zum vergangenen Mittwoch. Seither saß er zu Recht in Haft, | |
entschieden die Richter. Von Borstel sah zuletzt „keine Chance“ mehr, gegen | |
die Abschiebung vorzugehen, allenfalls gegen die Inhaftierung. | |
Zugleich kritisiert der Rechtshilfe-Verein das Migrationsamt: Es habe nie | |
einen Versuch unternommen, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung | |
persönlich zuzustellen. H. sei es unmöglich gewesen, freiwillig zu gehen – | |
obwohl das Ressort stets den Vorrang freiwilliger Ausreise betone. Die Art | |
und Weise, wie H. abgeschoben wurde, sei „schlicht nicht mit | |
rechtsstaatlichen Verfahren zu vereinbaren“, sagt von Borstel. Die Behörde | |
widerspricht: „Die Post an seine alte Adresse kam zurück“, so eine | |
Behördensprecherin, und die Ausländerbehörde habe „vergeblich“ versucht, | |
ihn über seinen ehemaligen Amtsvormund, den Casemanager und die | |
Jugendeinrichtung, in der er zeitweise gelebt hatte zu erreichen. | |
Was nun aus H. wird? Unklar. H. wäre gerne geblieben, sagt von Borstel. | |
„Die Familie interessiert sich nicht für mich“, zitiert ihn Stop | |
Deportation Bremen. Seine Mutter ist tot, der Vater offenbar Alkoholiker. | |
Für die Demonstranten gibt es aber eh „keine Gründe“, die Abschiebungen | |
legitimieren könnten. | |
27 Feb 2017 | |
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[1] http://jurismaroc.vraiforum.com/t158-La-nouvelle-loi-relative-a-l-entree-et… | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
Karolina Meyer-Schilf | |
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