# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Spanien: „Wir sind Teil der Lösung“ | |
> Spanien war das erste europäische Land, dass im großen Stil | |
> Entwicklungshilfe benutzte, um Migranten zu stoppen. Diese Politik gilt | |
> als Blaupause für das neue europäische Engagement in Afrika. | |
Bild: Gibraltar – früher der kürzeste Weg zwischen Afrika und Europa, heute… | |
Madrid taz | Flüchtlingsansturm auf Europa via Türkei und Griechenland – | |
mit Spanien wäre das nicht passiert. Das zumindest glaubt Jorge Fernández | |
Díaz, der Mann, der von 2011 bis 2016 spanischer Innenminister war. „In | |
Sachen Migrationspolitik sind wir ein Modell für Europa, auf das alle Bezug | |
nehmen können“, erklärte der gläubige Katholik, der nach eigenen Angaben im | |
Gebet seinen persönlichen Schutzengel um Rat bei politischen Entscheidungen | |
fragt. „Mit Blick auf die Karte sehen sie, dass das östliche Mittelmeer – | |
Türkei, Lesbos, Griechenland – Teil des Problems ist und das westliche | |
Mittelmeer mit Spanien, Marokko und der Meerenge von Gibraltar nicht Teil | |
des Problems, sondern Teil der Lösung ist“, preist er die spanische | |
Migrationspolitik im Interview mit der Tageszeitung El País. | |
Spanien hat seine Südgrenze tatsächlich erfolgreich dicht gemacht. Nicht | |
nur mit Marokko, sondern mit dem gesamten Westafrika (Mauretanien, Kap | |
Verde, Gambia, Guinea Bissau, Guinea Conakry, Mali, Niger, Nigeria, Kamerun | |
und dem Senegal) unterhält das südeuropäische Königreich enge Verbindungen | |
in Sachen Migrationskontrolle. | |
Der Verdienst des konservativen Ex-Innenministers Fernández Díaz ist das | |
allerdings nicht. Die Hauptarbeit geht auf die sozialistische | |
Vorgängerregierung von José Luis Rodríguez Zapatero (2004 bis 2011) zurück. | |
Zapatero und sein Kabinett entdeckten die Formel, | |
„Entwicklungszusammenarbeit als Vergütung für Kooperation bei der | |
Migrationskontrolle“. Was die EU heute mit Milliardensumme für halb Afrika | |
versucht – Spaniens Regionalpolitik war die Blaupause. | |
„Wir glauben, dass es sinnvoll ist, die Aufstockung der Entwicklungshilfe | |
an die Ausarbeitung von Rücknahmeabkommen zu koppeln“, sagte der damalige | |
Justizminister und heutige sozialistische EU-Abgeordnete Juan Fernando | |
López Aguilar 2006 unumwunden. „Diese Länder, die europäische Gelder | |
erhalten, müssen begreifen, welche Herausforderung wir erleben und müssen | |
Mitverantwortung bei der Bewältigung der Migrationsströme zeigen“, hatte | |
der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos kurz zuvor, im Mai 2006, | |
in Brüssel erklärt. | |
## Neue Ziele in Nordafrika | |
Spanien hatte 1992 auf Druck der Europäischen Union, der das Land Ende der | |
1980er Jahre beigetreten war, eine Visumpflicht für Marokkaner verhängt. | |
Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Bei gutem Wetter kamen | |
fortan Tausende in kleinen Holzbooten mit Außenbordern, einer „Patera“, | |
oder im größeren Schlauchboot über die Meerenge von Gibraltar. Spanien | |
rüstete auf: Das SIVE, das „Integrierte elektronische System zur | |
Außenüberwachung“ entstand – auch dies eine Blaupause, nämlich für das | |
spätere EU-Grenzüberwachungsnetzwerk EUROSUR. Kameras, Radar, Hubschrauber | |
und eine Leitzentrale in Madrid haben die gesamte spanische Küste rund um | |
die Uhr im Blick. Insgesamt wurden für SIVE bei Baubeginn 260 Millionen | |
Euro für den Zeitraum 2000 bis 2008 veranschlagt. | |
Kaum war die Meerenge von Gibraltar dicht, suchten sich die Flüchtlinge | |
neue Wege. Ceuta und Melilla, die beiden spanischen Exklaven an Afrikas | |
Nordküste, waren fortan das Ziel. Tausende von Flüchtlingen, vor allem | |
Schwarzafrikaner, versammelten sich in den Wäldern rund um die beiden | |
Städte und warteten geduldig auf eine Chance, die Grenze zu überwinden. 128 | |
Massenanstürme zählten die spanischen Behörden alleine 2005. | |
Der Grenzzaun an den beiden Exklaven wurde aufgerüstet. Er wurde höher, mit | |
Wärmesensoren, Lichtschranken, Kameras, Stahlseillabyrinthen und NATO-Draht | |
versehen. Insgesamt sollen – so die El País – seit Ende der 1990er Jahre | |
über 140 Millionen Euro in die Grenzzäune investiert worden sein. | |
Gleichzeitig räumte die marokkanische Gendarmerie immer wieder die Wälder | |
rund um Ceuta und Melilla. Der Zustrom von Migranten auf dem Weg über die | |
Grenzzäune riss dennoch nie ganz ab. Vor allem in den letzten Jahren kommt | |
es immer wieder zu Massenanstürmen. 2014 versuchten 7.486 Menschen auf | |
diesem Weg ihr Glück. | |
## Tote vor den Kanaren | |
„Der Ausbau der Grenzzäune führte dazu, dass immer neue, gefährlichere | |
Routen gesucht werden“, ist sich die Sprecherin der Spanischen Kommission | |
für Flüchtlingshilfe (CEAR), Estrella Galán, sicher. Ab Sommer 2006 waren | |
die Kanarischen Inseln das Ziel. Mit „cayucos“, den typisch | |
westafrikanischen, offenen, hölzernen Fischerbooten, mit Platz für 90 bis | |
170 Insassen, setzten die Menschen über. 2006 wurde so zum Jahr einer | |
ganzen Serie von Tragödien. | |
Zuerst legten die Boote in Südmarokko und von den Stränden der besetzten, | |
ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara ab. Madrid bat Rabat um Hilfe und | |
Marokkos König Mohamed VI. kam dem gerne nach. Er ließ die Strände der | |
Westsahara besser bewachen, kam dies doch indirekt einer Anerkennung der | |
marokkanischen Hoheit über die besetzte ehemalige spanische Kolonie gleich. | |
Neue Routen wurden eröffnet. Künftig kamen die Boote aus Mauretanien und | |
dem Senegal. Aus anfänglich 90 Kilometer Überfahrt wurden so innerhalb | |
weniger Monate über 2.500 Kilometer. Statt eines Tages waren die | |
Flüchtlinge jetzt ein bis zwei Wochen unterwegs. Das Risiko stieg, doch sie | |
kamen auch weiterhin. | |
Spätestens jetzt wurde der Regierung in Madrid klar, dass die Kontakte nach | |
Westafrika aus- bzw. aufgebaut werden mussten. Im Rahmen eines eiligst | |
erstellten „Plan Afrika“ (2006 bis 2008, der Folgeplan 2009 bis 2012) | |
machten sich Ministerien und Diplomaten ans Werk. Das Ziel: Die Grenze | |
Europas sollte künftig bereits tief in Afrika geschützt werden. | |
„Traditionell gab es kaum Präsenz und institutionelle Beziehungen Spaniens | |
in Schwarzafrika. In manchen Fällen waren sie so gut wie nicht vorhanden“, | |
gestand der damalige sozialistische Außenminister Miguel Ángel Moratinos | |
ein. Das änderte sich nun. 2006 eröffnete Spanien Botschaften in Kap Verde, | |
Mali und dem Sudan, ein Jahr später in Niger, Guinea Bissau und | |
Guinea-Conakry. Senegal verabschiedete ein rigoroses Gesetz, nach dem mit | |
bis zu 10 Jahre Knast für „illegale Ausreise“ gedroht wird. | |
## Visa gegen Migrationskontrolle | |
Dabei blieb es nicht. 2006 bis 2008 wurden insgesamt zwölf Abkommen mit | |
westafrikanischen Ländern geschlossen Mit Mauretanien einigte sich Spanien | |
2007 auf ein Abkommen über Arbeitsmigranten, mit Kap Verde auf ein Abkommen | |
zur gemeinsamen Überwachung des Meeres (2008), mit dem Senegal ein Abkommen | |
zur Verhinderung der Emigration unbegleiteter Minderjähriger (2006), mit | |
Mali (2007), Niger (2007) und Senegal (2006) ein Entwicklungshilfeabkommen. | |
Wichtiger noch sind die „Abkommen für Zusammenarbeit in Fragen der | |
Immigration“ – mit Gambia (2006), Kap Verde (2007), Guinea Bissau (2008), | |
Guinea Conakry (2006), Mali (2007) und dem Niger (2008) sowie Senegal und | |
Mauretanien. Sie hatten die Kontrolle der Migrationsbewegung über das Meer | |
(von Senegal und Mauretanien in Richtung Kanarische Inseln), auf dem | |
Landweg Richtung Ceuta und Melilla und über das Meer von Marokko nach | |
Spanien zum Ziel. Diese „Abkommen neuer Generation“, so nannte sie Spaniens | |
Regierung, regeln die Rücknahme von Migranten und die polizeiliche | |
Zusammenarbeit. Im Gegenzug verspricht Spanien Entwicklungshilfe und eine | |
kleine Zahl regulärer Einreisevisen und Arbeitsgenehmigungen. Die Dauer der | |
Visa – meist für unqualifizierte Arbeiten wie Haushaltshilfen oder | |
Landwirtschaft – variierte von Jahr zu Jahr, war aber kurz. | |
In Marokko wurden in Tanger und Algeciras „gemeinsame polizeiliche Zentren“ | |
eingerichtet. Innenminister Fernández Díaz traf seinen marokkanischen | |
Amtskollegen alleine in der Legislaturperiode 2011 bis 2015 ganze 13 Mal. | |
Senegal, Mauretanien und Kap Verde erhielten in den Jahren 2009 und 2010 | |
aus der spanischen Entwicklungshilfe jeweils ein Flugzeuge zur Überwachung | |
der Küste, Mauretanien erhielt außerdem vier Patrouillenboote und einen | |
Helikopter, die teilweise von der spanischen Guardia Civil bedient wurden, | |
um einheimische Soldaten einzuarbeiten. Mit Mauretanien unterhält Spanien | |
das Programm „West Sahel“. Die spanische Guardia Civil arbeitet im | |
westafrikanischen Land zusammen mit der dortigen Gendarmerie. | |
Laut Presseberichten gehen die spanischen Polizisten aber auch alleine auf | |
Patrouille. Außerdem wurde in Mauretanien ein Lager für Migranten | |
eingerichtet. Dazu wurde 2006 im Hafen von Nouadhibou, wo die meisten | |
Cayucos ablegten, eine alte Schule ausgebaut. Unter Migranten ist dieses | |
Lager als „Guantanamito“ – das kleine Guantanamo – bekannt. Das von Spa… | |
finanzierte, aber von Mauretanien betriebene Zentrum sei ohne | |
Rechtsgrundlage eröffnet worden, schreibt die Amnesty-Delegation in einem | |
Bericht 2008. „Es ist durch kein Gesetz geregelt, es gibt keine Begrenzung | |
für die Dauer der Haft“. Im November 2016 erfuhr Amnesty International | |
Spanien über einen Beamten des Innenministeriums in Mauretanien: „Das | |
Zentrum in Nouadhibou ist nicht geschlossen. Allerdings gibt es dort kaum | |
Festnahmen. Niemand wurde in den vergangenen drei Monaten interniert. Wenn | |
ein oder zwei Menschen festgenommen werden, schickt man sie direkt in die | |
Hauptstadt Nouakchott und von dort zur Grenze zum Senegal. Sollten größere | |
Gruppen von Migranten festgenommen werden, können sie aber auch in | |
Nouadhibou interniert werden“. | |
## Militär statt humanitäre Helfer | |
Die Abkommen Spaniens sehen eine weitgefächerte Zusammenarbeit vor, um die | |
sozialen Ursachen für die Abwanderung der Bevölkerung Richtung Europa zu | |
bekämpfen. Aber: „In keinem der Technischen Büros für Zusammenarbeit in der | |
Region (Algerien, Kap Verde, Marokko, Niger, Senegal, Mali und Mauretanien) | |
gibt es Personal, dass sich ganz direkt um die Migration kümmert“, schreibt | |
Urku del Campo Arnuadas von der Universität Jaume I in Castelló 2013. „Aber | |
immer häufiger treffen wir Berater und Attachés aus dem Militär (Algerien, | |
Marokko, Kap Verde, Mauretanien) oder aus dem Innenministerium (Algerien, | |
Marokko, Guinea Conakry, Kap Verde, Guinea Bissau, Senegal, Niger und | |
Mauretanien) in den Botschaften in Westafrika an“. | |
Die Universität des Baskenlandes hat untersucht, wie sehr Spanien auf | |
Entwicklungshilfe setzte, um die afrikanischen Länder zur Kooperation zu | |
bewegen. Von 2004 bis 2008 vervierfachte es seine Hilfsgelder fast. Die | |
„Official Development Assistance“, also die Entwicklungshilfe, stieg um 280 | |
Prozent, gleichzeitig fokussierte sie sich besonders auf den für | |
Transitmigration wichtigen westafrikanischen Raum: Für dieses Gebiet | |
stiegen die Hilfszahlungen im selben Zeitraum gar um 529 Prozent. Die | |
Gelder werden vor allem von der spanischen Zentralregierung vergeben. Die | |
Gelder für polizeiliche Zusammenarbeit stiegen 2007, dem letzten Jahr vor | |
der Wirtschaftskrise in Spanien, gar um 1.370 Prozent an. 79 Prozent davon | |
flossen nach Westafrika, meist nach Senegal und Mauretanien, so die | |
baskische Studie mit dem Titel „Die spanische Entwicklungshilfe – Im | |
Gegenzug für die Rücknahme von Migranten?“. | |
Die Kooperation war für die westafrikanischen Länder durchaus lukrativ. So | |
erhielten zum Beispiel Marokko 2005 bis 2010 insgesamt 430,2 Millionen Euro | |
an Entwicklungshilfe aus Madrid, Algerien 165,3 Millionen Euro, Mali 103,3 | |
Millionen, Kap Verde 67,7 Millionen, Gambia 12,7 Millionen. Mit Beginn der | |
Krise nahmen die Zuwendungen nach und nach ab. | |
Eine solche, direkte Verquickung von Entwicklungshilfe und | |
Flüchtlingsabwehr war bis dahin beispiellos. Spanische NGOs beschwerten | |
sich über diese Politik: „Diese Fonds dürfen nicht als offizielle | |
Entwicklungshilfe ausgegeben werden. Alles deutet daraufhin, dass die | |
Hilfe, die vom Innenministerium verwaltet wird mehr den spanischen | |
Interessen dient, die afrikanischen Grenzen zu kontrollieren, als die | |
Lebensbedingungen zu verbessern“, heißt es in einem Schreiben aus dem Jahr | |
2011. | |
Die europäische Grenzschutzagentur Frontex hingegen lobt Spanien für diese | |
Politik. „Die gute operationelle Zusammenarbeit zwischen Spanien, Senegal, | |
Mauretanien und Marokko hat den Druck auf die Kanarischen Inseln erheblich | |
reduziert“, heißt es im Jahresbericht 2015. Spaniens konservativer | |
Regierungschef Mariano Rajoy nimmt das Lob gerne entgegen und prahlt mit | |
seiner Politik: „Ich muss sagen, dass mehrere afrikanische Führer mich | |
angesprochen haben, um mir ihre Anerkennung für die Arbeit zum Ausdruck zu | |
bringen, die Spanien in Sachen Zusammenarbeit und Dialog bei Fragen der | |
Migration leistet“, erklärte er auf dem Migrationsgipfel in der | |
maltesischen Hauptstadt Valletta im Herbst 2015. | |
12 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
migControl | |
Marokko | |
Ceuta und Melilla | |
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