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# taz.de -- Grundschulbücher in Uruguay: Kommunismus in Blau
> Ein Schulbuch erklärt den Kommunismus anhand der Schlümpfe.
> Indoktrination? Die Kommunistische Partei ist Teil der Regierung
> Uruguays.
Bild: Alle Schlümpfe haben Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft
Buenos Aires taz | In Uruguays privaten Grundschulen geht ein blaues
Gespenst herum. Kongressabgeordnete der konservativen Nationalpartei (NP)
wittern eine kommunistische Indoktrinierung durch eine neue revolutionäre
Avantgarde: die Schlümpfe, im Spanischen Pitufos genannt.
Stein des Anstoßes ist das Grundschulbuch „Uy-siglo XX“ (etwa: Uruguay im
20. Jahrhundert) aus dem Verlag Editorial Índice. Darin erklären die
Schlümpfe den Kommunismus. Die Seite des Anstoßes ist die 117te. Im Kapitel
über die Russische Revolution und den Aufbau des Kommunismus steht
wörtlich: „Vielleicht hilft dir das folgende Beispiel dabei, dich der Idee
einer kommunistischen Gesellschaft anzunähern.
Kennst du die Schlümpfe? Sie sind eine Gemeinschaft, die in einem Dorf
lebt. Alle haben Zugang zu einer Wohnstätte. Niemand hungert. Der
Wasserbrunnen ist für den gemeinschaftlichen Gebrauch, er gehört niemanden
und doch allen. Alle haben Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft, zum
Beispiel sich um das zu kümmern, was sie können. Der Kochschlumpf kocht,
Zimmermannschlumpf repariert, was kaputt ist, und so trägt jeder Einzelne
der Gemeinschaft mit seiner Arbeit etwas bei und bekommt etwas von der
Arbeit der anderen ab. Der Kommunismus könnte ein ähnlicher Zustand sein
wie dieser.“
Daneben ist ein Bild von harmonischen Miteinander im Dorf der Schlümpfe.
Ein unhaltbarer Zustand für den NP-Abgeordneten Pablo Iturralde.
Schließlich ist die Kommunistische Partei (PC) Teil des
Regierungsbündnisses Frente Amplio. „Wie werden von der Bildungsministerin
eine Erklärung verlangen.“ Möglich ist, dass sie metaphorisch erklärt, es
sei eine Mischung aus Reina Reyes [eine bekannte uruguayische Pädagogin]
und Rosa Luxemburg. Seine NP-Kollegin Graciela Bianchi forderte eine
Dringlichkeitssitzung der Kultur- und Bildungskommission des Kongresses
zusammen mit den Verantwortlichen für die Grundschulen.
## Offiziell nicht abgesegnet
Luis Lacalle Pou, der jetzige NP-Senator und ehemals gescheiterte
Präsidentschaftskandidat, meldete sich daraufhin ebenfalls per Twitter zu
Wort. Er habe schon vor Längerem in einem ähnlichen Fall reklamiert.
Besonders verwerflich sei, dass der Rat für Grundschulerziehung den
Gebrauch des Buchs offiziell nicht abgesegnet hat. Der wehrt sich mit dem
Argument, dass das Buch an den öffentlichen Schulen gar nicht benutzt
werde, sondern ausschließlich in den Privatschulen. Dies wiederum werfe ein
erhellendes Licht auf die reaktionäre Klasse, der die Kongressabgeordneten
angehören: Würden ihre Zögling auf öffentliche Schulen statt auf teure
Private gehen, wäre ihnen das Buch gar nicht aufgefallen.
Bildungsministerin María Julia Muñoz hat sich zu den Vorwürfen bislang
nicht geäußert, Abgeordneter Gerardo Núñez vom Koalitionspartner PC nimmt
es mit Ironie: „Wir müssen mitteilen, dass bei einer der größten
Geheimdienstoperationen, die unser Land je erlebt hat, angeführt von
Iturralde und Lacalle Pou, das Netz der Kinderspione der Partido Comunista,
die als Schlümpfe bekannt sind, aufgeflogen ist.“ Ja, diese hätten versucht
die Kinder auf den Privatschulen zu indoktrinieren, um sie später den
Russen auf Kuba zuzuführen. Núñez räumte dann aber ganz im Ernst ein, dass
in dem Text wichtige Aspekte fehlen, wie etwa der Völkermord von Stalin in
der Sowjetunion.
## Nur Theorie, keine Praxis
Silvana Pera, die Autorin des Buchs „Uy-siglo XX“, kann die ganze Aufregung
nicht nachvollziehen. „Man muss es schon arg gewollt lesen, um es mit Kuba,
Vietnam oder der Sowjetunion in Verbindung zu bringen“, wehrt sie in einem
Interview ab. Wenn die Lehrkräfte im Unterricht den Kommunismus behandeln,
ginge es um zwei Präsentationen der Materie. Einerseits die Ideen, die aus
dem Werk von Karl Marx entsprungen seien, und andererseits das, was als
Realsozialismus bezeichnet wurde und anhand der Sowjetunion, Vietnam, Kuba
oder Korea bearbeitet werden könne.
Das Bild mit den Schlümpfen sollte das „theoretische Konzept des
Kommunismus verdeutlichen“, so die Autorin. Und eben nicht seine
praktischen Anwendungen. Die Schlümpfe dienten dabei lediglich der
Illustration des Konzepts, und zwar in einem Buch „für zwölfjährige Kinder,
in das man eben nicht die ganze marxistische Theorie hineinpacken kann“.
Die Schlümpfe habe man gewählt, da sie der Welt der Kinder entstammen.
„Wäre das kein Buch für die Grundschule, wäre das Bild ein anderes.“
Dennoch hat etwa die Deutsche Schule in Montevideo den Austausch der Bücher
aus dem Verlag Editorial Índice beschlossen. Zu der Entscheidung
beigetragen hat sicherlich, dass Pera den Deutschen als
Wiederholungstäterin gilt. In einem anderen Geschichtsbuch hatten Pera und
andere Autoren den Neoliberalismus „als Schule des ökonomischen Denkens“
bezeichnet, für die Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit keine Priorität
hätten.
22 Feb 2017
## AUTOREN
Jürgen Vogt
## TAGS
Grundschule
Bildung
Kommunismus
Uruguay
Lesestück Recherche und Reportage
Antisemitismus
Putschversuch Türkei
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Flucht
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