| # taz.de -- Die Wahrheit: Bombombombensicher | |
| > Die Abschiebung in ein Land mit dem begehrten Gütesiegel „Sicheres | |
| > Herkunftsland“ ist ein Privileg, das nicht jedem zusteht. | |
| Bild: Alles ganz normal und Alltag in Afghanistan: Das Bombengefühl gehört ei… | |
| Wo kann man sich heutzutage schon noch sicher fühlen? Allenfalls vielleicht | |
| noch in Afghanistan. Das gilt ja immerhin als „sicheres Herkunftsland“. | |
| Diesen Ritterschlag mit der jüngsten Einschränkung, „zumindest punktuell“, | |
| erteilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière dem fernen Land am | |
| Hindukusch. Für viele mittlerweile fast ein stehender Begriff, ist er quasi | |
| wie ein offizieller Titel in den Ländernamen integriert: Volksrepublik | |
| China. Bundesrepublik Deutschland. Sicheresherkunftsland Afghanistan. | |
| Andere Staaten besitzen diesen Status nämlich nicht. Hat darüber schon mal | |
| jemand nachgedacht? Unsichere Kantonisten wie die Schweiz, Norwegen, Kanada | |
| – alle Fehlanzeige. Offenbar ist die Lage dort viel zu angespannt, um ein | |
| derartiges Qualitätssiegel verliehen zu bekommen. | |
| ## Angsthasen nach Afghanistan | |
| Gemäß der Studie „Die Ängste der Deutschen 2016“ fürchten sich die meis… | |
| Bundesbürger vor praktisch allem. Kein Wunder, dass nun sämtliche | |
| Angsthasen unbedingt nach Afghanistan wollen. Doch nur wenige dürfen | |
| dorthin. Denn es heißt nicht umsonst „Herkunftsland“. Nur Afghanen also | |
| haben künftig das große Glück, den Schutz ihrer Heimat zu genießen. Für | |
| alle anderen heißt es: „Wir müssen leider draußen bleiben.“ | |
| Nur ein Kurzbesuch ist drin. Einen solchen nutzen wir, um zu sehen, wie es | |
| den abgeschobenen Rückkehrern in die „sicheren Gebiete“ ergangen ist, von | |
| denen de Maizière so schwärmt. In der Regel handelt es sich dabei um | |
| „urbane Zentren“, die zwar ab und zu umkämpft oder erobert werden, doch | |
| ansonsten ist es hier, von ein wenig Terror abgesehen, sicher wie in | |
| Abrahams Schoß. | |
| Davon können wir uns gleich nach der Ankunft in Kabul überzeugen. Schon als | |
| wir das Flugzeug verlassen, riecht es nach Sicherheit. Einmal tief | |
| durchatmen, herrlich! Mit einem Transportpanzer der US-Army werden wir in | |
| die Innenstadt gefahren. Die begleitenden Soldaten wirken angespannt. An | |
| die im Vergleich zu ihrem Heimatland so sichere Lage müssen sie sich | |
| offenbar erst noch gewöhnen. | |
| ## Daueralarm in Schwarzwutzen | |
| In der Stadt herrscht buntes Treiben, irgendwo brennt ein Haus, vermutlich | |
| ein defekter Herd. Am telefonisch vereinbarten Treffpunkt empfängt uns | |
| Maalot Ghafouri. Er bittet uns herein und entschuldigt sich für seine | |
| schäbige Behausung. Wohnung, Arbeit, Lebensmittel – um solche Lappalien | |
| muss er sich erst noch kümmern. | |
| Dennoch wirkt er aufgekratzt und froh. „In Deutschland war es mir ehrlich | |
| gesagt zu unsicher.“ Der 28-jährige gelernte Schuhmacher grinst | |
| verschmitzt. „In unserem Heim in Schwarzwutzen gab es jede Nacht | |
| Feueralarm. Ich hab drei Halbmonde geschlagen, als die Maschine nach Kabul | |
| endlich von der Startbahn in Frankfurt abhob. Und um meine Familie muss ich | |
| mir auch keine Sorgen machen. Die wurden alle schon 2013 von den Taliban | |
| getötet.“ | |
| Draußen kracht es laut, eine Druckwelle erschüttert die Hütte. „Die | |
| Müllabfuhr“, erklärt Ghafouri. „Die kommt jetzt zum Glück wieder relativ | |
| regelmäßig. Das ist wichtig, weil sich sonst Seuchen verbreiten, wenn die | |
| vielen Leichen nicht rechtzeitig von der Straße geholt werden.“ Er stutzt. | |
| „Die sind selbstverständlich alle eines natürlichen Todes gestorben. An | |
| Altersschwäche, Überernährung, manche auch vor Lachen. Ich möchte auf | |
| keinen Fall, dass sich Herr de Maizière irgendwelche Sorgen um uns macht. | |
| So ein feiner und großherziger Mensch! Richten Sie ihm bitte aus, dass wir | |
| hier super zurechtkommen.“ | |
| ## Alles so schön kaputt hier | |
| Das versprechen wir. Auch wenn wir es nicht tun werden. Das wird ihn | |
| ohnehin nicht die Bohne interessieren. Eher fragen wir uns, warum | |
| Afghanistan eigentlich nur „punktuell sicher“ sein soll? Schließlich haben | |
| die Taliban persönlich der Bundesregierung zugesichert, Zivilisten zu | |
| schonen. Man habe es nur auf wirkliche Feinde abgesehen wie Soldaten, | |
| Aufbauhelfer, örtliche Behörden und natürlich kleine Mädchen, die zur | |
| Schule gehen. | |
| Als habe er unsere Gedanken erraten, zeigt unser Gesprächspartner durch das | |
| frisch entstandene Loch in der Wand: „Und schauen Sie mal: Fast jeder ist | |
| hier bewaffnet. Bei so viel Sicherheitspersonal braucht es wirklich keinem | |
| bange zu sein.“ Ein paar kleine Regeln müsse man natürlich einhalten, so | |
| Ghafouri weiter, doch das sei ja überall auf der Welt gleich. „Man sollte | |
| das Haus halt nicht verlassen. Aber, kein Problem, wer will das schon. Im | |
| Sommer ist es zu heiß, im Winter ist es zu kalt und so schön sieht es in | |
| den Städten auch nicht gerade aus. Ist ja alles kaputt.“ | |
| 21 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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