# taz.de -- Flüchtlinge in Libyen: In den Händen der Schmuggler | |
> In Libyen organisieren Mafiabanden die Flucht nach Europa. Ohne das | |
> Geschäft mit den Migranten stünden viele junge Menschen ohne Einkommen | |
> da. | |
Bild: Flüchtlinge aus Afrika sitzen im Januar in einem Schlauchboot vor der K�… | |
ZAUWIA taz | Der Toyota schleudert den weichen Sand über die 10 Meter | |
entfernt stehenden Helfer. Je kräftiger Mohamed Sifau aufs Gaspedal tritt, | |
desto tiefer verschwinden die Reifen im Strand von Zauwia. Der Pick-up | |
steckt fest. „Wir brauchen dringend Jeeps und eine bessere Ausrüstung“, | |
flucht der sonst so stille Projektleiter des Roten Halbmonds, der wohl | |
letzten neutralen Hilfsorganisation in Libyen. | |
Seine Kollegen, allesamt Freiwillige aus der westlibyschen Küstenstadt | |
Zauwia, tragen Schutzmasken und zerren an den in der Nacht angeschwemmten | |
Leichen von Migranten, die aus dem Mittelmeer gefischt wurden – Opfer der | |
tödlichen Flucht in Richtung Europa. | |
Die 40 Helfer sind in diesem Jahr trotz der unruhigen See im Dauereinsatz. | |
„Die Bedingungen in den Internierungslagern verbessern zu können, ist | |
motivierend“, sagt ein junger Mann mit roter Weste; „die Arbeit am Strand | |
hingegen ist traumatisierend, die Toten haben oft tagelang im Wasser | |
getrieben.“ Mit vier Kollegen hievt er einen Plastiksack von der | |
Ladefläche, um den Toyota wieder freizubekommen. | |
Der libysche Rote Halbmond erhält internationale Hilfe. Doch die Decken und | |
Lebensmittel von der IOM (Internationale Organisation für Migration) können | |
nichts an der dramatischen Lage der schätzungsweise 120.000 Westafrikaner | |
ändern, die in Libyen auf eine riskante Überfahrt nach Italien warten. | |
## Die Strände gehören Mafiabossen | |
Die Menschen, die hier tot aus dem Meer gefischt werden, sind von | |
Schmugglern im weiter westlich gelegenen Sabratha auf die Reise geschickt | |
wurden. Alle Strände in Libyen, von der tunesischen Grenze bis nach Sirte, | |
werden von einem Netzwerk aus Milizen, Schmugglern und Islamisten | |
beherrscht. Mit Transport von Benzin, Drogen und Menschen scheffeln | |
ehemalige Revolutionäre, Mafiabosse und kaum volljährige schwer bewaffnete | |
Draufgänger Millionen. Ihre Reviere sind abgesteckt. | |
Libyen ist Bürgerkriegsland. Aber was wegen der Präsenz islamistischer | |
Milizen wie ein ideologischer Konflikt aussieht, ist tatsächlich ein Ringen | |
um Einkommen. Der international unterstützte Regierungschef Fajes Serradsch | |
kontrolliert gerade mal drei Stadtteile der Hauptstadt Tripolis. | |
Die Einnahmen aus dem Geschäft mit den Migranten haben die staatlichen | |
Lohnzahlungen ersetzt, die ausbleiben, seit 2014 der Ölexport | |
zusammenbrach. Dass viele zu Tankschiffen umgerüstete Fischerboote nach | |
Erreichen der EU-Hoheitsgewässer ihre libyschen Bootskennzeichen mit einem | |
aus Malta überkleben, ist längst kein Geheimnis mehr. „Ohne das Geld aus | |
Schmuggel und Migration stünden viele junge Libyer ohne Einkommen da“, sagt | |
Oberst Rida Issa von der Marine. | |
Er glaubt nicht, den Schmugglern das Handwerk legen zu können. „Die | |
Tankschiffe der Benzinschmuggler aus Zuwara sind schwer bewaffnet. Wenn wir | |
Schlauchboote mit 100 Leuten an Bord an Land schleppen, greifen uns immer | |
wieder Bewaffnete an, um die Außenbordmotoren zurückzuholen.“ | |
## „Macht euch auf was gefasst“ | |
Auf von Schleusernetzwerken angemieteten Villengeländen oder Farmen | |
pferchen nigerianische oder malische Bosse der sogenannten Boga-Netzwerke | |
jeweils bis zu 1.000 Migranten ein. Die Migranten, meist aus Westafrika, | |
werden in Listen registriert. Sobald das Geld überwiesen wurde, werden sie | |
einem Boot zugeteilt und losgeschickt. Die Verbindungsleute von Boga – wie | |
der berüchtigte Abubakr aus Mali, der zwei Lager in Sabratha mit über | |
3.000 Migranten unter sich hat – arbeiten mit örtlichen Milizen zusammen, | |
die sie schützen. | |
Marineoffiziere wie Rida Issa befürworten zwar die geplanten | |
EU-Traningsmaßnahmen für seine Küstenwache. Doch an der Lage in den etwa 24 | |
privaten und offiziellen Internierungslagern werde dies nichts ändern, | |
glaubt er. | |
Beim Auftanken der beiden Patrouillenboote im Hafen von Misrata klingelt | |
sein Mobiltelefon: Ein Bekannter, gerade aus Sabratha zurückgekehrt, gibt | |
Meldung. „Macht euch auf was gefasst“, sagt er. „Die Boga-Leute haben Boo… | |
in Tunesien gekauft. Sie wollen diese Woche 5.000 Leute auf einmal aufs | |
Meer schicken.“ In diesen Tagen soll auch der europäisch-afrikanische | |
Migrationsgipfel auf Malta stattfinden. | |
Auch Mohamed Sifau und seine Freiwilligen in Zauwia haben davon gehört. Das | |
Lager in Zauwia ist das größte und völlig überbelegt. „Daher sind sich von | |
der Gemeinde bis zur Marine insgeheim alle einig, dass man in dieser Nacht | |
ein Auge zudrückt“, sagt Sifau. | |
5 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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