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# taz.de -- US-Widerstand gegen Abschiebungen: Im Menschenschutzgebiet
> Viele Städte und Landkreise in den USA widersetzen sich der nationalen
> Migrationspolitik. Trump will diesen „Sanctuary Cities“ an den Kragen.
Bild: Chicago: Die 26jährige Abigail Alvado und ihr zweijähriger Sohn haben A…
Berlin taz | Vier Tage vor Donald Trumps Amtsantritt hat die Stadt Santa
Ana ihren Widerstand offiziell gemacht. Am Dienstag erklärte sich Santa Ana
mit 6:0 Stimmen des Stadtrates zu einer „Sanctuary City“. Die Stadt
verbietet damit die Nutzung städtischer Mittel zur Durchsetzung von
Abschiebungen papierloser Migranten. Ihre Polizisten werden bei
Personenkontrollen nicht nach dem Migrationsstatus fragen, und sie wird
keine Haftbefehle der Migrationsbehörde ausführen.
Santa Ana, 70 Kilometer südöstlich von Los Angeles in Kalifornien gelegen,
hat irgendwas zwischen 300.000 und 350.000 Einwohner_innen – rund drei
Viertel sind lateinamerikanischer Abstammung, Hispanics. Rund die Hälfte
sind Migrant_innen.
„Am Tag nach der Wahl Donald Trumps sind unsere Kinder emotional
zusammengebrochen“, sagt Stadtratsmitglied Sal Tinajero, der als Lehrer an
einer Highschool arbeitet, der Los Angeles Times. „Sie dachten, jetzt
würden ihre Eltern abgeschoben.“ Mit seinem Beschluss habe der Stadtrat
allen Einwohner_innen versichern wollen, dass sie in der Stadt geschützt
sind: Wenn die Bundesbehörden „kommen, um sie zu holen, müssen sie erst
einmal uns aus dem Weg räumen.“
Donald Trump hat in seinem Wahlkampf angekündigt, alle geschätzt 11
Millionen Menschen aus den USA abschieben zu wollen, die dort ohne gültige
Aufenthaltspapiere leben. Aber weil das nicht auf einmal geht, will er erst
einmal mit den „kriminellen“ unter ihnen beginnen. Deren Zahl schätzt er
auf 2 bis 3 Millionen, und die sollen, so hat er verkündet, in den ersten
Monaten seiner Amtszeit außer Landes geschafft werden. Seither geht die
Angst um.
## Wer Angst vor Abschiebung hat, redet nicht mit der Polizei
Santa Ana ist nur die jüngste Stadt in den USA, die sich selbst den Status
der „Sanctuary City“ gegeben hat. Das Konzept gibt es schon seit den späten
70er Jahren: 1979 verabschiedete zuerst Los Angeles einen Beschluss, der es
der Polizei verbot, eine Person nur zum Zweck der Feststellung des
Aufenthaltsstatus zu kontrollieren.
Weitere Städte folgten in den kommenden Jahrzehnten, von San Franzisco über
Chicago bis New York und Washington. Heute haben sich nach Angaben des
Immigrant Legal Resource Center im ganzen Land mehr als 300 Landkreise und
39 Städte zu solchen mehr oder weniger sicheren Häfen erklärt. Führend ist
Kalifornien: Alle 58 Landkreise sind Sanctuaries.
Die größten Verfechter der Sanctuary-Politik sind die lokalen
Polizeibehörden: Die Polizisten wissen, dass sie auf keinerlei Mitarbeit
hoffen können, wenn Zeugen oder Kriminalitätsopfer bei jedem Kontakt mit
der Polizei die Abschiebung fürchten müssen.
Wie genau die Städte den Status definieren, ist allerdings sehr
unterschiedlich. In manchen wird die Polizei lediglich niemals nach dem
Aufenthaltsstatus fragen, in anderen wird sie sich weigern, Haftbefehle der
Bundesbehörden durchzuführen, wenn es um die Abschiebung einer Person geht.
Manche Städte, etwa Washington, DC, haben Rechtshilfefonds für Papierlose
eingerichtet, geben lokale ID-Cards aus, um Papierlosen den Zugang zu
Sozialleistungen und zum Gesundheitssystem zu erleichtern.
## Trump droht, den Städten die Bundesmittel zu streichen
Mitunter verspricht der Status der Sanctuary City auch mehr, als er hält.
In Los Angeles zum Beispiel wird die Polizei zwar nicht aktiv, um einen
Aufenthaltsstatus zu kontrollieren. Die Migrationsbehörden erhalten aber
umfangreichen Zugriff auf die Daten der Gefangenen im lokalen
Justizvollzug. Der Sheriff von Riverside sagt den Migrationsbehörden
Bescheid, wenn Abzuschiebende aus dem Gefängnis entlassen werden, und im
Landkreis San Bernardino erlaubt der Sheriff es Vertretern der
Migrationsbehörden, Gefängnisinsassen ausgiebig zu verhören.
Allein die Tatsache, in einer selbst erklärten Sanctuary City zu leben,
gibt also keineswegs absolute Sicherheit vor Abschiebung, auch wenn
konservative Politiker, die seit Langem gegen die Praxis anschimpfen, das
gern so behaupten.
Gleichwohl: Wenn Trump sein ambitioniertes Programm tatsächlich in die Tat
umsetzen will, braucht er die Mithilfe der Landkreise und der lokalen
Polizeibehörden – und auf die kann er in den Sanctuary Cities nur sehr
eingeschränkt zählen. Deshalb hat Trump noch im Wahlkampf Anfang Oktober,
als er eine Art 100-Tage-Programm vorlegte, angekündigt, den Sanctuary
Cities an den Kragen zu wollen. Wer sich nicht beuge, dem würden kurzerhand
sämtliche Bundesmittel gestrichen.
Selbst das ist zwar mit großem bürokratischen Aufwand verbunden, weil
Bundesmittel an die Städte und Gemeinden aus vielen Töpfen verschiedener
Ministerien fließen. Aber wenn die Bundesregierung auch nur im
Justizbereich die Hilfe streichen würde, dann wäre das für manche Kommunen
schon schwer zu verkraften.
## Hat Trump die Tragweite seiner Vorschläge begriffen?
Konservative Migrationsexperten frohlocken, dass die Drohung angekommen
ist. Jessica Vaughan vom Center for Immigration Studies in Washington,
vermutet, dass die kalifornischen Landkreise nach Trumps Amtseinführung
sehr bald die Zusammenarbeit mit den Migrationsbehörden vertiefen werden.
„Wenn Sheriffs Geld verlieren, geht das ganz schnell“, sagt Vaughan.
Noch weiß niemand, mit welchem Tempo die Trump-Regierung tatsächlich
vorgehen will, und ob Donald Trump überhaupt die Tragweite seiner
Vorschläge begriffen hat. Der von Trump als neuer Bundesanwalt nominierte
konservative Senator Jeff Sessions hatte jedenfalls in seiner
Senatsanhörung letzte Woche auch auf mehrfaches Nachhaken keinerlei
Antwort, wie er sich den staatlichen Umgang mit jenen Papierlosen
vorstelle, die als kleine Kinder mit ihren Eltern in die USA gekommen und
dort aufgewachsen sind. Diese Gruppe, fast eine Dreiviertelmillion
Menschen, hatte 2013 von Präsident Obama vorübergehenden Abschiebeschutz
erhalten – den Trump mit einem Federstrich aufheben könnte.
Auch auf die Frage, wie er mit jenen Familien umzugehen gedenke, bei denen
die Eltern papierlos sind, die Kinder aber in den USA geboren und daher
US-Bürger sind, konnte Sessions nicht antworten.
Eine Migrationsreform, um all diese Fragen zu lösen, hatte schon George W.
Bush versucht – und gegen den Widerstand seiner republikanischen
Parteikollegen im Kongress genauso wenig durchsetzen können wie Obama
Jahre später. Dabei weiß eigentlich jeder, dass die Abschiebung aller
Papierlosen nicht nur logistisch unmöglich, sondern humanitär eine
Katastrophe wäre. Nur Donald Trump muss das noch begreifen.
22 Jan 2017
## AUTOREN
Bernd Pickert
## TAGS
USA
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