# taz.de -- Debatte Lügen und Manipulation: Die Wahrheit ist auf unserer Seite | |
> Der US-Präsident lügt. Aber sind wir wirklich besser? Sorgfalt ist auch | |
> im privaten, oft lässigen Umgang mit der Wahrheit angebracht. | |
Bild: Lügen sind wie Dackel, sie haben kurze Beine | |
Der Name Donald Trump ist zum Inbegriff der Lüge geworden. Doch mal | |
ehrlich: Auch wir Übrigen lassen der Wahrheit oft nicht den Respekt | |
zukommen, den sie verdient. Schon einmal [1][habe ich geschrieben], dass | |
zum Beispiel Marketing eigentlich auch nichts anderes ist als eine Form von | |
Lüge. | |
Fakten werden dabei so selektiert und präsentiert, dass sie dem anderen | |
keine informierte Wahl lassen, sondern ihn oder sie in die gewünschte | |
Richtung manipulieren. Und unsere Gesellschaft findet Marketing anscheinend | |
okay, ebenso wie es völlig legitim ist, dass öffentliche Debatten von | |
PR-Mechanismen bestimmt werden. Doch dieser strategische Umgang mit dem | |
anderen verengt dessen Perspektive, beschneidet seinen Spielraum zu denken | |
und zu entscheiden, was er will. | |
Aus demselben Grund ist Sorgfalt auch im privaten, oft recht lässigen | |
Umgang mit der Wahrheit angebracht. Lässig deshalb, weil der Imperativ „Du | |
sollst nicht lügen!“ heute ja einen ähnlichen Ruf hat wie „Du sollst Vater | |
und Mutter ehren!“. Beide klingen für viele Ohren nach dem Rigorismus | |
vergangener Zeiten, einem überkommenen Familien- und Menschenbild | |
geschuldet, spießig und uncool. | |
## Das Recht auf relevante Informationen | |
Tatsächlich allerdings ist das Verbot der Lüge wohl eher dem moralischen | |
Grundsatz verwandt, man solle andere nicht töten, schlagen oder sonst wie | |
verletzen (soweit vermeidbar). Denn Lügen richtet handfesten Schaden an, | |
auch wenn man diesen Schaden vielleicht nicht auf den ersten Blick sieht: | |
Wer lügt, enthält der anderen Person Informationen vor, die sie braucht, um | |
ihre Ausgangssituation bestimmen, und um sich zu entscheiden, entsprechend | |
zu handeln. | |
Meistens merkt das belogene Opfer ja selbst vage, dass etwas „nicht | |
stimmt“: zum Beispiel wenn unter Kolleg*innen oder in der Nachbarschaft | |
Gerüchte kursieren, sich aber niemand traut, der betroffenen Person die | |
Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Nur dann allerdings könnte sie verstehen, | |
warum einige neuerdings so sonderbar reagieren, und nur dann könnte sie | |
gegen die Gerüchte vorgehen. Aus demselben Grund hat ein Mann das Recht zu | |
erfahren, wenn seine Partnerin eine Liebesaffäre trotz gegenteiliger | |
Versprechen fortgesetzt hat: Damit er nachdenken und entscheiden kann. | |
Der Referenzpunkt ist jeweils nicht die „absolute“ Wahrheit – niemand hat | |
ein Recht auf vollständiges Wissen über alles und jeden, sondern es kommt | |
auf die (rechtlichen und persönlichen) Beziehungen und Vereinbarungen | |
zwischen den Beteiligten an. Wenn ein entsprechendes Agreement vorliegt, | |
muss es nicht notwendig eine Lüge sein zu sagen, man sei mit Susi im | |
Schwimmbad gewesen, wenn man tatsächlich Sex mit Olaf hatte. | |
Noch einmal: Die entscheidende Frage ist, ob man dem anderen relevante | |
Informationen vorenthält, auf die er oder sie ein Recht hat; entweder um | |
selbstbestimmt zu handeln, oder um erst einmal die Welt so zu | |
interpretieren, dass er/sie in ihr sinnvoll handeln kann. | |
Wer einen anderen wissentlich täuscht, respektiert dessen Willen nicht und | |
verletzt seine Autonomie. Und das ist kein kleines Vergehen wie das | |
Mitnehmen eines Kugelschreibers aus dem Büro oder ein Kavaliersdelikt. | |
(Wobei mich letzteres Wort ehrlich gesagt stutzig macht – mir schwant | |
Fürchterliches. In früheren Jahrhunderten prahlten Kavaliere freimütig mit | |
Delikten, die wir heute als Vergewaltigung erkennen.) | |
Doch es gibt – neben Marketingstrategien und privatem „Schummeln“ – noch | |
einen dritten Fall von Unwahrheit, der mir Sorgen macht. Und zwar denke ich | |
an solche Fälle, wo „wir Multikulturalist*innen“, wie ich der Einfachheit | |
einmal sagen möchte, das Gefühl haben, selbst an der Wahrheit | |
herummanipulieren zu müssen, damit die Rechten aus den Informationen kein | |
Kapital schlagen. Ich denke an solche Momente wie nach den beiden | |
Silvester, an Statistiken zu Zwangsheiraten und Gewalttaten in Familien und | |
dergleichen mehr. Oder man erinnere sich an das letzte Mal, als im Radio | |
von einer Sexualstraftat oder einer Messerstecherei auf einem Schulhof | |
berichtet wurde. | |
## „Hoffentlich war es kein …?“ | |
Jedes Mal folgt dieser Bruchteil einer Sekunde, wo wir bangen: „Hoffentlich | |
war es kein …?“ Die Färbung des gesamten Geschehens und der | |
Berichterstattung und dessen, was wir darüber denken, wird inzwischen von | |
der ethnischen Herkunft der Täter bestimmt. Auch bei uns, den | |
Multikulturalist*innen! Nur halt irgendwie umgedreht, ein bisschen um die | |
Ecke, voller Gedanken zweiten und dritten Grades, was passieren könnte, | |
wenn … | |
Aber wir dürfen nicht länger zulassen, dass uns die Rechten vor sich | |
hertreiben. Denn die Probleme mit einer „politisch unbequemen“ Wahrheit | |
entstehen ja nicht, weil die Wahrheit an sich so unbequem ist, sondern sie | |
folgen daraus, wie sie verwendet wird. Männer aller Bevölkerungsgruppen | |
begehen Sexualstraftaten. | |
Nur bei den Tätern „von woanders“ wird jeder einzelne Fall bundesweit | |
publik; wir müssen von all unseren Zeitungen, Radiostationen und | |
Fernsehsendern verlangen, eine allgemeine Richtlinie zu entwickeln, die | |
dann für wirklich alle von der Polizei vermeldeten Straftaten gilt. Und | |
selbst wenn irgendwo ein Flüchtling eine Straftat begangen hat, müssen wir | |
den Deppen von rechts, die gleich nach einer Schließung aller Grenzen | |
rufen, entgegenhalten: Überall, wo Menschen leben, passiert so etwas. | |
Leider. | |
Manchmal helfen gezielte Kampagnen an bestimmten Orten und für riskante | |
Situationen. Dann sollte man genau das tun, statt Merkel spöttisch zu | |
„danken“. Doch zur garantierten Vorbeugung von Verbrechen würde es nicht | |
reichen, die Grenzen zu schließen, auch im Inland müsste man Nachwuchs | |
komplett verhüten. Nur wo keine Menschheit, da keine Straftat. | |
Aber halt auch keine Menschheit. Also lasst uns bei der Wahrheit bleiben! | |
In ganz wenigen Fällen (zum Beispiel bei einer Bombendrohung im voll | |
besetzten Stadion) empfiehlt sich schweigen und notfalls lügen. Aber in den | |
meisten Fällen ist die Wahrheit neutral oder sogar auf unserer Seite. | |
5 Feb 2017 | |
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[1] /Debatte-Manipulation-durch-Werbung/!5305223 | |
## AUTOREN | |
Hilal Sezgin | |
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