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# taz.de -- Berliner Sechstagerennen: Fossil sucht Moderne
> Das traditionsreiche Sechstagerennen kämpfte zuletzt mit finanziellen
> Problemen und zurückgehendem Interesse. Nun startet es reformiert.
Bild: Bremer Sechstagerennen: Nach dem Startschuss am 12. Januar 2017
Als Anfang dieser Woche das Sechstagerennen in Bremen zu Ende ging, war
eine der ganz wichtigen Schlagzeilen im Boulevard, dass Mickie Krause
gesungen hat. Und Radprofi Marcel Barth bezeichnete die Veranstaltung in
einer Lokalzeitung durchaus lobend als „Winter-Ballermann“. Es durfte sich
bestätigt fühlen, wer Sechstagerennen als Mischung aus Promiflash und
Zirkusveranstaltung belächelt. Lustige Chimären aus Bierzelt, Showgeschäft
und Radsport, die als Relikte aus den 1920er Jahren überdauert haben. Und
ums Überleben kämpfen.
Aber so einfach ist es nicht: Wenn heute das älteste noch bestehende
Sechstagerennen der Welt in Berlin startet, hat das mit Bremen wenig
gemein. Und die reformierte Version im Velodrom ist auch ein Testlauf, ob
das Sechstagerennen in diesem Jahrhundert eine Zukunft hat.
„Dieses Jahr wollen wir uns richtig auf den Wettbewerb konzentrieren“, sagt
Valts Miltovics. „Es geht um Sport, nicht in erster Linie um
Entertainment.“
Der Slogan ist auf Berlin angepasst, seine Umsetzung hat hier bessere
Chancen als in Bremen: Traditionell steht der Sport beim Berliner
Sechstagerennen stärker im Vordergrund. „Wenn die Leute nur Unterhaltung
wollten, gäbe es hier tausend andere Veranstaltungen“, glaubt Miltovics.
Der Lette ist seit April neuer Boss bei den – wie es neudeutsch heißt –
Sixdays und hat die anspruchsvolle Aufgabe, das traditionsreiche, kriselnde
Berliner Sechstagerennen in die Zukunft zu führen. Deutschlandweit
verlieren die Winterbahnrennen Publikum. An anderen Standorten wie Köln,
München und Dortmund wurden sie schon eingestellt; in Bremen versucht man,
es mit Showbiz zu reißen.
## Ein hart umkämpfter Markt
Auch das Berliner Sechstagerennen geriet zuletzt in Turbulenzen. „Es gab
finanzielle Probleme“, bestätigt Miltovics. „Wir müssen mit anderen
Veranstaltungen kämpfen, Berlin ist ein harter Markt. Und es ist nicht die
reichste Stadt, es gibt keine unbegrenzten Sponsorenmittel.“
2015 nach Zuschauer- und Umsatzeinbußen an die Londoner Madison Sports
Group verkauft, scheint es der neue Besitzer zumindest für zukunftsfähig
genug zu halten, um zu investieren. Generalmanager Mark Darbon fasste das
neue Konzept im Oktober so zusammen: „Schneller, kürzer, spannender.“
Die Rennen sollen ab jetzt spätestens um Mitternacht zu Ende sein, die
Jagden schneller werden. Neue Elemente wie das Jedermann-Rennen für
Amateure, ein Videowürfel oder Besichtigungsmöglichkeiten des Fahrerlagers
sollen jüngeres Publikum anlocken. Außerdem wird nur noch in Nationalteams
gefahren; für Deutschland treten die Duos Marcel Kalz/Leif Lampater sowie
Max Beyer/Christian Grasmann an.
Die vielleicht wichtigste Neuerung aber ist die Internationalisierung: Das
Rennen wird zum ersten Mal als Teil einer europäischen Serie mit Finale
ausgetragen – und der TV-Sender Eurosport wird an jedem Abend 150 Minuten
lang übertragen. „Früher war es ein Rennen in Berlin für Berlin“, sagt R…
Zehr, Präsident des Berliner Radsport-Verbandes (BRV). „Jetzt ist der Markt
europäisch. Wir hoffen, dass das frischen Wind bringt.“
Die Reformen sind überfällig: Das aktuelle Publikum rekrutiert sich
vielfach aus Ü50-Klientel, oft eingefleischten Fans aus Ostberlin, die halt
schon immer die DDR-Rennen schauten.
Bei den jungen Berlinern und Zugezogenen tut sich das Sechstagerennen
schwer. Und die Zuschauerzahlen sagen nicht unbedingt etwas über die
Einnahmen: In den letzten Jahren gab es zwar immer um die 70.000 Zuschauer,
aber rund ein Drittel der Tickets, sagt Miltovics, seien als Freikarten
vergeben worden. „Die Leute müssen langsam lernen, für die Karten zu
bezahlen.“
Allerdings steht das Sechstagerennen in Konkurrenz zu zahlreichen anderen
Sportveranstaltungen. „Die Sehgewohnheiten im Sport haben sich geändert“,
sagt Valts Miltovics. „Wir müssen schneller werden, weniger Pausen machen.“
## An Traditionen festgehalten
„Man hat zu lange nur auf alte Traditionen gesetzt“, glaubt Ralf Zehr vom
BRV. „Das war ein Fehler.“ Hinzu kommen die üblichen Probleme einer
Randsportart: Wenig Medieninteresse, wenig bekannte Sportler, teils
komplexe Regeln, die kaum jemand kennt. Und der Dopingsumpf im Radsport
hilft auch nicht unbedingt in Sachen Popularität.
„Der Radsport hat es bisher nicht geschafft, sich erfolgreich zu
kommerzialisieren“, sagt Ralf Zehr. Um Leute zu erreichen, brauche es vor
allem Testimonials. „Uns fehlen in Berlin momentan die lokalen Helden. Es
wäre wichtig, deutsche Stars zu haben, aber noch wichtiger wäre es,
Berliner Stars zu haben.“
Publikumslieblinge wie Robert Bartko sind zurückgetreten. Nachwuchstalente
wie Calvin Dik oder Elias Richter sind bislang eben nur Nachwuchstalente.
Und ausländische Stars kosten Geld oder haben volle Terminkalender. Die
Sixdays versuchten etwa, den britischen Weltstar Mark Cavendish zu
gewinnen, doch der fährt gerade Straßenrennen in Australien. „Straßenrennen
waren früher im Oktober zu Ende“, sagt Valts Miltovics. „Jetzt gibt es sie
fast das ganze Jahr, weil die Sportler nach Dubai oder nach Australien
fliegen. Für Sechstagerennen macht das die Sache kompliziert.“
Berlin soll, so der ambitionierte Plan des Veranstalters, seine eigenen
Stars aufbauen. Bleibt dafür Zeit? Miltovics mahnt Geduld an: „Wir glauben
an die Veranstaltung. Aber man kann nicht alles von heute auf morgen um 180
Grad drehen.“ Die Madison Sports Group habe sich fünf Jahre als Rahmen
gesetzt: Bis dahin soll Berlin ausverkauft sein, die Freikarten reduziert
haben und finanziell profitabel werden.
Ralf Zehr sagt, er habe ein gutes Gefühl bei der Madison Group. „Sie
wissen, worauf sie sich eingelassen haben.“ Aber auch er weiß, dass Geld
und Zeitrahmen endlich sind: „Im ersten Jahr müssen sich die Leute an die
Neuerungen gewöhnen. Im zweiten Jahr müssen mehr Leute kommen. Im dritten
Jahr muss es sich durchgesetzt haben.“ Dann wird das Fossil entweder in der
Gegenwart angekommen sein oder Schwierigkeiten bekommen.
19 Jan 2017
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Radsport
Tour de France
Kolumne Press-Schlag
Sixdays
Doping
Amateursport
Berlin
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