| # taz.de -- Sechstagerennen ohne Zukunft: Da waren's nur noch zwei | |
| > Das Berliner Sechstagerennen war seit dem Jahr 1909 eine Institution in | |
| > der Hauptstadt. Über ein Sportereignis, das aus der Zeit gefallen ist. | |
| Bild: Typische Sixdays-Szene: Ein Radler zieht den Partner mit Schwung auf die … | |
| Ach, es sind ja so furchtbar viele Fake News in der Welt: Das Neunauge hat | |
| gar nicht neun Augen, der Siebenschläfer schläft mehr als sieben Nächte, | |
| und so manche Eintagsfliege summt auch am zweiten Tag noch. Das | |
| neunmalkluge Kind ist meist nicht schlauer als das siebengescheite, und die | |
| Fünftagewoche meint mitnichten, dass es am Wochenende keine Arbeit gäbe. | |
| Wen verwundert es da, dass auch beim Sechstagerennen nun nicht mehr sechs | |
| Tage Bahnradsport betrieben wird. Das Berliner Sechstagerennen, seit dem | |
| Jahr 1909 eine Institution in der Hauptstadt, dauert heuer nur noch zwei | |
| Tage. [1][Das Sechstagerennen in Bremen] geht immerhin über vier Tage. Gut, | |
| es soll hier und da noch sechs Tage geradelt werden, aber in Zukunft wird | |
| die Frage lauten, wenn vom Sechstagerennen die Rede ist: Fein, und wie | |
| lange dauert die Schose wirklich? | |
| Das Sechstagerennen war früher einmal ein nicht nur fixer, sondern auch | |
| wichtiger Termin im Winter. Man mag es kaum glauben, aber die kulturelle | |
| Elite bezog sich auf das Jahrmarktsspektakel mit Tamtam und Trallala, etwa | |
| 1929 der expressionistische Maler Max Oppenheimer. [2][Die Schriftstellerin | |
| Irmgard Keun schrieb 1932 in „Das kunstseidene Mädchen“]: „Mein Leben ra… | |
| wie ein Sechstagerennen.“ | |
| ## 144 Stunden auf der Bahn | |
| Vor 124 Jahren gewann in Berlin, also in den Ausstellungshallen am Zoo, | |
| nach 144 Stunden und 3.865,7 gefahrenen Kilometern das US-Paar Jimmy Moran | |
| und Floyd MacFarland. Sie wechselten sich, wie das eben üblich war, Tag und | |
| Nacht ab, einer war immer auf der Piste, der andere schlief in einem | |
| Holzverschlag. Sie kämpften sich durch rauch- und alkoholgeschwängerte | |
| Luft, rangen mit inneren Schweinehunden und einer Konkurrenz, die | |
| Müdigkeitsattacken mit Aufputschmitteln zu überbrücken suchte. | |
| Dieses im Grunde archaische Szenario im Beisein einer mal mehr, mal | |
| weniger am Sport interessierten Partygesellschaft hatte seine Reize, aber | |
| jetzt verblassen sie immer mehr. Die Konturen verschwinden, werden zum | |
| Palimpsest, die Tradition stirbt. Der Manager des Berliner Rennens, Valts | |
| Miltovičs, beklagt sich müde über fehlende Unterstützung aus der Politik. | |
| Für Sponsoren ist das Ganze eh nur noch im kleinen lokalen Umfeld | |
| interessant. | |
| Die mit dem größeren Geldbeutel sagen: zu oll, zu verstaubt, zu piefig. Und | |
| tatsächlich denkt der geneigte Beobachter der Rundenhatz an | |
| Frank-Zander-Gesangseinlagen, prolliges Herumgegröle und Gerhard | |
| Mayer-Vorfelder auf der rotierenden Pilsbar im jovialen Austausch mit | |
| einem C-Promi. Und so ist das Sechstagerennen mit dem Publikum gealtert und | |
| uninteressant geworden. Die treuen Fans gehen schon noch hin und sorgen für | |
| ein bisschen Stimmung, aber man muss die Kräfte und die Interessen eben auf | |
| zwei oder vier Tage bündeln, damit die Idee des Rennens weiterlebt. | |
| ## Diagnose bleibt düster | |
| In München, Dortmund, Stuttgart, [3][Köln] oder Zürich hat das nicht mehr | |
| geklappt, in Amsterdam versucht man es noch einmal mit der vollen Distanz, | |
| auch Gent und Rotterdam wollen noch an der Tradition festhalten. Die | |
| Diagnose bleibt düster: Das Sechstagerennen droht zu einem Relikt zu | |
| verkommen. Nur Subventionen und politischer Wille könnten die Unternehmung | |
| retten, aber auch nicht dauerhaft. | |
| Das Sechstagerennen geht den Weg anderer Sportarten: Der klassische | |
| Hallenfußball ist tot; er wurde immerhin von Influencern mit Netzaffinität | |
| gekapert – und verhunzt. Radball, früher gern mal zu Gast in der | |
| „Sportschau“ ist gänzlich verschwunden. Sportlerinnen in Rhönrädern sieht | |
| man auch nicht mehr. | |
| Ist das schlimm? Nicht wirklich. Aber ein bisschen wehmütig kann man schon | |
| werden – angesichts eines Patienten, der einmal mopsfidel, ja sogar Talk of | |
| the Town war. | |
| 31 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.sixdays.de/ | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Das_kunstseidene_M%C3%A4dchen | |
| [3] https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-koelner-… | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Völker | |
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