# taz.de -- Jörg Kachelmann zur Causa Diekmann: „Wir wissen nichts. Alles is… | |
> Noch ist nicht klar, was dran ist an den Vorwürfen gegen „Bild“-Chef Kai | |
> Diekmann. Jörg Kachelmann weiß, wie wichtig Fairness auf beiden Seiten | |
> ist. | |
Bild: Frauen werden viel zu oft Opfer sexueller Gewalt – Männer oft Opfer vo… | |
Herr Kachelmann, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie [1][auf Spiegel | |
Online lesen, dass dem Noch-Herausgeber der Bild-Gruppe Kai Diekmann von | |
einer Springer-Mitarbeiterin vorgeworfen wird, sie im Sommer beim Baden | |
belästigt zu haben?] | |
Empathische Leere. Das Leben eines Menschen ist weitgehend zerstört worden. | |
Wir wissen nur noch nicht, welches Menschen. | |
Fühlen Sie so etwas wie Schadenfreude oder Genugtuung? Immerhin hat die | |
Bild-Zeitung auch ausführlich und nicht gerade sensibel über die | |
Vergewaltigungsvorwürfe berichtet, die 2010 gegen Sie erhoben worden waren | |
– und von denen Sie 2011 vom Landgericht Mannheim freigesprochen wurden. | |
Nein. Ich bin auch charakterlich nicht so, wie ich 2010 durch die | |
Diekmänner dieser Welt verzeichnet wurde. Schadenfreude wäre doppelt | |
respektlos. Ist er Opfer einer Falschbeschuldigung, weiß ich, was er | |
durchmacht und ich wünsche das wirklich niemandem. Ist die Frau das Opfer, | |
wäre ein so flaches Gefühl wie Schadenfreude gegenüber dem Täter völlig | |
unangemessen ihr gegenüber. | |
Sie haben Bild, Bild am Sonntag und Bild.de daraufhin verklagt. [2][Das | |
Oberlandesgericht Köln gab Ihnen Recht und sprach Ihnen 2016 eine | |
Entschädigung von 395.000 Euro zu] – die höchste, die in einemsolchen | |
Verfahren jemals zugesprochen wurde – wegen des schwerwiegenden Verstoßes | |
gegen Ihre Persönlichkeitsrechte. Was war geschehen? | |
Es sind so viele Furchtbarkeiten geschrieben worden, dass ich sie nicht | |
wiederholen mag. Etwas, was Herrn Diekmann zunächst erspart bleibt. Man | |
wird sehen, ob der angeblich geläuterte Korpsgeist der Hyänen hält, falls | |
es in einer Hauptverhandlung ans Eingemachte geht. | |
Auch Alice Schwarzer schrieb in der Bild über Sie und den Prozess. Was | |
denken Sie? Ist von Frau Schwarzer nun bei Diekmann Ähnliches zu erwarten? | |
Sie hat neuerdings ein neues Hobby gefunden, um nicht vergessen zu werden | |
und bei Maischberger von ihrer Vorbestrafung abzulenken. Sie wird nicht die | |
Hand beißen, die ihr aus der Bedeutungslosigkeit als Gast in Panelshows in | |
dritten Programmen geholfen hat. | |
Kann Diekmann froh sein, dass über seinen Fall nicht in der Bild berichtet | |
wird? | |
Bild wid vermutlich nur in Form von dpa-Meldungen über den Fall berichten. | |
Aber weil Hubert Burda stillhalten wird, gibt es keine gekauften Zeuginnen, | |
[3][die für 50.000 Euro berichten], dass sie auch schon mal mit Diekmann | |
gebadet hätten und ihnen später übel wurde. Die Frage ist, wie sich die | |
kleinen People-Magazine verhalten, deren Chefredakteure nicht mental davon | |
abhängen, in der Elbphilharmonie fünf Plätze schräg hinter Friede Springer | |
sitzen zu dürfen. | |
Ist Diekmann ein Sonderfall, wenn es um Persönlichkeitsrechte geht? | |
Immerhin zeichnet der Bild-Chef für zahlreiche Berichte verantwortlich, die | |
nicht gerade zimperlich mit den Persönlichkeitsrechten anderer umgingen. | |
Nein. Er ist ein Mensch. Und er mag ein böser und schlimmer Mensch sein, | |
aber ich möchte deswegen ihm nicht Dinge wünschen müssen, die ich niemandem | |
wünsche. Ich wünsche uns allen nur eines: eine gute Staatsanwaltschaft, ein | |
gutes Gericht, wenns soweit kommt. | |
Auch andere Medien berichteten damals über Sie. Die Magazine Bunte und | |
Stern brachten Titelstorys und wurden mit hohen Verkaufszahlen der | |
jeweiligen Ausgaben belohnt. Zufall, dass der Spiegel nun gerade zum 70. | |
Geburtstag des Blattes mit dem Vorwurf gegen Diekmann um die Ecke kommt? | |
Ich habe schon in meiner Kindheit in den 60er Jahren den Spiegel jede Woche | |
gelesen und auch wenn ich damals nicht alles verstanden habe, sehe ich das | |
Heft immer mit Ehrfurcht. Es mag alles nicht mehr so toll sein wie früher, | |
aber das Wehklagen allgemein hat auch viel mit Verklärung und selektiver | |
Wahrnehmung zu tun. Es glauben auch viele Leute, dass es früher im Sommer | |
immer Sonne und zu Weihnachten Schnee gab. Und ich hätte auch gerne Willy | |
Brandt zurück. | |
Was würden Sie sich wünschen? Wie sollten Journalisten und Journalistinnen | |
mit Diekmann und den Vorwürfen gegen ihn umgehen? | |
Fair und respektvoll. Nicht nur ihm, auch der Anzeigeerstatterin gegenüber. | |
Und nicht Richter spielen, bevor das Gericht gesprochen hat. Wir wissen | |
nichts. Alles ist möglich. | |
Ungeachtet dessen, was Sie erlebt haben: Es ist auch erwiesen, dass sehr | |
viele Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, diese nicht zur | |
Anzeige bringen. Auch deshalb, weil sie fürchten müssen, dass man ihnen | |
nicht glaubt, oder dass sich das, was ihnen widerfahren ist, vor Gericht | |
nicht zweifelsfrei beweisen lässt. Ein Dilemma? | |
Die größte Gefahr für echte Opfer sind Falschbeschuldigerinnen. Die größte | |
Gefahr in dieser Diskussion sind dumme Frauen, dumme Männer und dumme | |
PolitikerInnen, die vor allem in der Bedienung erster Klientel eine Chance | |
sehen. Lassen Sie mich kurz ausholen. Vergewaltigung ist ein furchtbares | |
Verbrechen, dessen Folgen nie aufhören und das zu Recht zu hohen Strafen | |
führt. | |
Ich bin mit allen Feministinnen völlig einig und überzeugt, dass 15, eher | |
20 Prozent aller Frauen in ihrem Leben furchtbarerweise Opfer einer | |
sexuellen Übergriffs wurden. Es ist auch leider so, dass die Mehrheit | |
dieser echten Opfer nicht anzeigt. Nicht, weil diese kein Vertrauen in | |
Polizei und Justiz hätten, sondern eben jeder einzelne Fall zu anderen | |
Verarbeitungsmechanismen bei den betroffenen Mädchen und Frauen wird – und | |
diese führen nicht immer über eine Anzeige. | |
Können Sie ein ein Beispiel geben? | |
Ein Mädchen macht mit den Eltern Urlaub in einer ausländischen Großstadt. | |
Bleibt einmal müde im Hotelzimmer zurück, wird durch einen Bediensteten | |
vergewaltigt. Die junge Frau hat nie angezeigt, weil sie ihre Eltern nicht | |
bis ans Ende derer Tage unglücklich machen wollte. Es kommen leider auch | |
viele Väter straffrei davon, die sich an ihren Töchtern vergehen, weil | |
diese nicht anzeigen, um nicht auch noch die Mutter verlieren, von der die | |
misshandelten Kinder wiederum ahnen, dass sie nicht nichts gemerkt hat in | |
all der Zeit. Wie so oft, es ist komplizierter als in der schlichten | |
Emma-Welt, echte Opfer haben oft viele individuelle Gründe, nicht | |
anzuzeigen. | |
Es wäre natürlich gut, richtig und wichtig, dass jede Frau anzeigt, aber | |
wir können sie nicht dazu zwingen. Der Versuch aber, so zu tun, dass man | |
die Anzeigequote erhöhen könnte, wenn man nur auch möglichst viele | |
unschuldige Männer vorsichtshalber verurteilt, ist zynisch und | |
menschenverachtend. Das Problem ist, dass Menschen, denen nichts am | |
Schicksal der echten Opfer gelegen ist, dieses instrumentalisieren, um ihr | |
gesellschaftspolitisches Süppchen damit zu kochen. | |
Dann gibt es noch das Problem der Falschbeschuldigungen. | |
Ein Verbrechen, das auch ein Menschenleben erfolgreich bis ans Ende der | |
Tage zerstört. Seriöse Schätzungen (alle anderen kursierenden Statistiken | |
sind frei erfunden von interessierter Seite) besagen, dass etwa 50 bis 80 | |
Prozent der Anzeigen Falschbeschuldigungen sind. Dumme Frauen und dumme | |
Männer versuchen nun diese zwei vollkommen unabhängigen Sachlagen | |
miteinander zu verquicken. Dumme Frauen sagen: Es würden mehr echte Opfer | |
anzeigen, wenn wir endlich Männer einfach erst einmal einbuchten. Erst | |
schießen, später fragen, sozusagen (was übrigens sowieso in den meisten | |
Fällen passiert, wie ich berichten kann). | |
Und dumme Männer? | |
Dumme Männer sagen wiederum nach jeder Falschbeschuldigung: sind alles nur | |
Falschbeschuldigungen, was natürlich auch völliger Blödsinn ist und | |
übrigens jetzt auch ein falscher Reflex im aktuellen Fall wäre. Wir haben | |
es mit zwei getrennten Verbrechen zu tun. Die hohe Zahl der | |
Falschbeschuldigungen liegt daran, dass Täterinnen meist völlig straffrei | |
ausgehen. Es ist das perfekte Verbrechen, um einen Mann aus dem Weg zu | |
räumen, ohne selbst ein Risiko einzugehen. | |
Sie sehen es an meinem Beispiel: Frau Dinkel ist zwar zivilrechtlich | |
verurteilt, aber läuft immer noch frei rum; das Strafrecht überlegt noch | |
und ich darf mit 58 gucken, wie ich mein Berufsleben mit | |
kachelmannwetter.com von Null nochmal anfange. Die Erkenntnis, dass ich | |
Opfer eines Verbrechens wurde, interessiert niemanden sehr und am wenigsten | |
Frau Schwesig oder Herrn Maas. Und das geht nicht nur mir so, sondern allen | |
männlichen Falschbeschuldigungsopfern. Uns möchte man nicht sehen, wir | |
passen nicht in den Kram. | |
Was also müsste sich ändern? | |
Das hohe Vergewaltigungsrisiko kann nicht durch die Justiz am Ende der | |
Präventionskette gemindert werden, sie hat schon alle Werkzeuge in der | |
Hand. Wir müssen alle mehr aufeinander aufpassen. Es gibt leider eine hohe | |
Sorglosigkeit bei vielen Frauen und auch deren männlichen Begleitern („wird | |
schon nichts passieren…“). Es kann jede Frau treffen, man muss durchgehend | |
risikobewusst sein, wie das auch Männer sein müssen, um nicht Opfer einer | |
Falschbeschuldigung zu werden. Frauen müssen zusammen nach Hause gehen, | |
vertraute Männer müssen Frauen notfalls nach Hause begleiten, einer darf | |
nichts trinken, der alle nach Hause fahren kann. Das wäre der erste | |
Schlüssel: dass alle aufeinander Acht geben. Schließlichbehördlicher Druck: | |
Bin ich in den USA, begegne ich in urbanen Räumen laufend Streifenwagen der | |
Polizei, in Deutschland kaum je. Woran mag das liegen? | |
Und, auch wenn es lächerlich klingt: Das Sparabschalten von Straßenlaternen | |
nach Mitternacht ist des Teufels. Dunkel ist immer falsch. Und wir brauchen | |
Kameras. Das ganze Überwachungsstaat-Gelaber ist nachrangig zu einer | |
Erhöhung der Sicherheit gerade von Frauen. Und nochmal zur Anzeigequote: | |
Politiker und auch Sie müssen aufhören, Frauen mit fürsorglichem Sexismus | |
als Wesen zu sehen, die ein bisschen schwach und doof sind und die so gerne | |
anzeigen würden, wenn's ein bisschen schöner wäre, wie Sie gleich schon in | |
Ihrer Frage eben mitteilten. Wir können Frauen nicht zwingen, konsequent | |
anzuzeigen. Und die Gründe, das nicht zu tun, sind vielschichtiger als die | |
frei erfundene These in Ihrer Frage, dass Frauen immer etwas fürchten. Ich | |
habe Frauen zeit meines Lebens ziemlich furchtlos erlebt, während Sie | |
bemerkenswerterweise nur verschreckte Heimchen zu kennen scheinen. | |
Für wie glaubwürdig halten Sie es, wenn Springer nun behauptet, die | |
Trennung von Diekmann, die nur wenige Tage vor der Veröffentlichung bekannt | |
gegeben worden war, habe nichts mit der Anschuldigung zu tun? | |
Keine Ahnung. | |
Was kommt jetzt auf Diekmann zu? Was denken Sie, wird passieren? | |
Keine Ahnung. | |
Nach allem, was Sie erlebt haben, wozu würden Sie Diekmann raten? | |
Zur Wahrheit. | |
Das Interview wurde auf Wunsch von Herrn Kachelmann schriftlich geführt. | |
Nachfragen waren nicht möglich. | |
8 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/kai-diekmann-springer-mitarbeiterin-w… | |
[2] http://www.spiegel.de/kultur/tv/joerg-kachelmann-gegen-die-bild-a-1102548.h… | |
[3] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/kachelmann-ex-geliebte-erhielt-50-000… | |
## AUTOREN | |
Malte Göbel | |
Jürn Kruse | |
Marlene Halser | |
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