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# taz.de -- Veddeler Fischgaststätte in Not: Der Backfisch ist bedroht
> Im Internet rufen Unterstützer zur Rettung der traditionsreichen Veddeler
> Fischgaststätte auf. Die fürchtet wegen Straßenarbeiten die Schließung
Bild: Hat wegen einer Baustelle drumherum viele Gäste verloren: Die Veddeler F…
Hamburg taz | „Baby, klein oder groß?“, fragt Marion Göttsche und klatscht
einen großen Löffel Kartoffelsalat auf den Teller. Gemeint ist der
Backfisch, die Spezialität des Hauses in der Veddeler Fischgaststätte. Den
gibt’s seit jeher in drei Portionsgrößen – immer landen sieben, fünf oder
nur drei Stücke auf dem Teller, „Baby“ eben.
An diesem Montag herrscht Hochbetrieb in der kleinen Hütte am Hafen. Alle
Tische sind vollbesetzt, lautes Klappern von Geschirr erfüllt den Raum,
gesprochen wird wenig, die meisten Gäste haben ohnehin den Mund voll. Und
während Inhaberin Göttsche vorne am Tresen steht, holen die Köche Tobi und
Rüdiger in der Küche alle sieben Minuten frischen Fisch aus dem Backofen.
So voll wie heute war es in den vergangenen Monaten nie: Seit Ende März ist
die Gaststätte von einer Baustelle umgeben. Die Hafenverwaltung HPA baut
eine vierspurige Straße, eine neue Anbindung für die östliche
Haupthafenroute. In dem Durcheinander aus Bauschutt und Absperrungen hätten
viele Kunden Probleme, den Weg zu finden, sagt Göttsche. Ständig änderten
sich die Zufahrtswege. Zuletzt seien nur noch ein paar Hafenarbeiter zum
Mittagessen da gewesen, insgesamt seien 40 Prozent weniger Gäste gekommen.
Göttsche war früher Chefsekretärin im Diakonischen Werk Berlin. Heute ist
sie die Chefin der Fischgaststätte. „Das ist auch ein Werk am Menschen“,
sagt sie und lacht. Wenn es hektisch zugeht, bellt die Chefin schon mal
quer durch den Raum. Wenn sie über ihre Arbeit spricht, wird ihre Stimme
aber weich. „So viel Anerkennung bekommt man selten. Wenn die Brummifahrer
sich höflich für das gute Essen bedanken, hat sich die viele Arbeit schon
gelohnt“, sagt sie.
## Das Mobiliar stammt noch aus den Fünfzigern
Ließe sich das Konzept der Gaststätte auf eines herunterbrechen, so wäre es
wohl die Beständigkeit, der Wunsch, an Bewährtem festzuhalten. Von außen
wirkt der weiße Flachbau unscheinbar, innen schwelgt das Lokal in alten
Zeiten. Die Wände sind holzvertäfelt, überall hängen alte Hamburg-Bilder,
Schiffsanker und Fischernetze.
Das Mobiliar stammt noch von den Vorbesitzern aus den Fünfzigern. Die
gepolsterte Sitzecke neben dem Tresen ist für Stammgäste reserviert.
Alleine oder zu zweit am Tisch sitzen, „das ist hier nicht drin“, sagt
Göttsche. Dafür reiche der Platz nicht. Also sitzen Hafenarbeiter neben
Geschäftsleuten, feine Rentnerpaare neben Typen in Jogginghosen.
Seit 1932 steht das kleine Häuschen schon am Hafen, zwei Sturmfluten und
einen Weltkrieg hat es überdauert. An den Arbeitsabläufen hat sich wenig
geändert. Um sechs Uhr morgens geht’s los: Dann setzt Göttsche sich in die
weißgeflieste kleine Küche, schnippelt einen Zentner Kartoffeln klein,
knetet Frikadellen, rührt die Panaden für den Fisch an. „Alles nach
Geheimrezept“, sagt sie – jeder Mitarbeiter muss eine
Verschwiegenheitsklausel unterzeichnen, damit ja nichts nach außen dringt.
## Junge Leute rufen im Internet zum „Lunch-Flashmob“ auf
Dreimal in der Woche holt die Inhaberin isländischen Lachs vom Fischmarkt,
manchmal auch Scholle, wenn Gäste diese vorbestellt haben. An der kleinen
Speisekarte will Göttsche nichts ändern. „Warum auch? Die Leute wissen, was
sie kriegen und so ist garantiert alles frisch“, sagt sie.
Der neue Andrang in der Gaststätte kommt nicht von ungefähr: Nach
Medienberichten über die Besucherflaute kommen nun nicht nur Arbeiter und
Stammgäste vorbei, junge Leute rufen im Internet zum „Lunch-Flashmob“ auf,
um den Laden wieder zum Laufen zu bringen. Göttsche freut sich über die
Solidarität. Es sei ohnehin ein kleines Wunder, dass der Laden an dieser
Stelle so lange bestehe.
Eingezwängt zwischen Autobahn und S-Bahngleis ist die Veddel alles andere
als ein trendig-urbanes Viertel, auch ohne Baustelle liegt der ehemalige
Zollhof abgelegen, selbst so mancher Anwohner kennt das Lokal nur vom
Hörensagen. Tatsächlich kämen nur wenige Veddeler zum Essen vorbei, sagt
Göttsche, wohl auch weil der Migrationsanteil in dem Stadtteil hoch ist.
„Die kommen einfach nicht“, sagt die Inhaberin.
Ob ihre neuen Gäste wiederkommen, ist ungewiss. Bis September bleibt die
Baustelle vor der Tür. „Wenn wieder so wenig Leute kommen, müssen wir einen
der sechs Mitarbeiter entlassen“, sagt Göttsche.
18 Jan 2017
## AUTOREN
Annika Lasarzik
## TAGS
Gastronomie
Baustelle
Flashmob
Hamburg
Gesundheit
Lebensmittel
Landwirtschaft
AfD Hamburg
Hamburg Schanzenviertel
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