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# taz.de -- Staatschef über bosnischen Frieden: „Ich hoffe auf künftige Gen…
> Trotz vieler Probleme ist Bosnien und Herzegowina beispielhaft für gute
> Konfliktlösung, glaubt Mladen Ivanić, serbischer Vertreter im
> Staatspräsidium.
Bild: IFOR-Truppen zur Sicherung des Dayton-Friedens am Flughafen von Sarajevo …
taz: 21 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica, auch 21 Jahre nach dem
Friedensschluss von Dayton [1][steht der frühere General Mladić] in Den
Haag vor dem internationalen Gerichtshof. Glauben Sie, dass diese
juristische Aufarbeitung hilfreich ist für die historische Einordnung des
Bosnien-Konflikts und zur politischen Einigung des Landes beitragen kann?
Dr. Mladen Ivanić: Vielleicht ist das der einzige Weg, derzeit mit der
Geschichte umzugehen. Aber können wir sagen, dass nach dem
Gerichtsverfahren alle Menschen die Ergebnisse akzeptieren werden? Das
glaube ich nicht. Eher werden sie mit ihren eigenen Erklärungen
weiterleben.
Was sind denn ihrer Einschätzung nach diese eigenen Erklärungen?
Das sehr spezifisch bosnische Problem ist doch, dass der Krieg drei
Parteien hatte. Und was haben alle drei Seiten gemeinsam? Es ist das Gefühl
jeder Seite, dass sie die Opfer und dass die jeweils anderen verantwortlich
für den Krieg waren. Egal, wen sie fragen, sie werden immer die Antwort
bekommen: „Wir sind die Opfer. Die anderen haben es getan, nicht wir. Und
wenn wir etwas falsches getan haben, dann wegen der anderen.“ Unter diesen
Umständen ist es wirklich schwer, eine gemeinsame Erklärung für den Krieg
zu finden, was die Vorbedingung wäre, damit so eine Einordnung geschehen
könnte wie beispielsweise in Deutschland oder in Südafrika. Dort war es
relativ leicht, zu einer eindeutigen Erklärung zu kommen. In unserem Falle
glaube ich nicht, dass die am Krieg beteiligte Generation, die Bedingung
für eine Erklärung erfüllen werden. Ich hoffe, dass künftige Generationen,
die verschont von den alten Geschichten aufwachsen konnten, die
grundlegenden Voraussetzungen für eine gemeinsame Erklärung dessen, was
geschehen ist, erfüllen und so zu einem wirklichen Ausgleich finden können.
Bis dahin müssen wir einfach versuchen, normal zu leben, keine neuen
Probleme zu schaffen, aber auch keine zu hohen Erwartungen in die Menschen
zu setzen, die am Krieg teilgenommen haben, dass sie alles ein paar Jahre
danach wieder zurück auf normal stellen könnten.
Wie ist denn das Verhältnis zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien und
Herzegowina auf der Alltagsebene?
Das läuft durchaus. Es gibt gegenseitige Investitionen, Import und Export,
das ist wirklich nicht das Problem. Auch die Universitätsabschlüsse werden
gegenseitig anerkannt. Auch auf kultureller Ebene gibt es Austausch.
Allerdings gibt es nicht mehr so viel Studentenaustausch wie früher. Das
ist etwas, das sehr gefährlich werden kann. Viele junge Leute haben ihren
Teil des Landes nie verlassen oder die Nachbarländer besucht. Wir haben
eine junge Generation die sehr gut ausgebildet ist, Englisch spricht, aber
komplett voneinander getrennt ausgebildet wurde. Die Jungen werden also
nicht unbedingt automatisch entspannter miteinander umgehen, als es die
alten taten.
Wie gestaltet sich denn das Zusammenleben der Menschen in Bosnien selber?
Bosnien und Herzegowina ist keine perfekte Gesellschaft. Wir können das
auch nicht sein. Wir können nicht die schönste, idealistischste und
demokratischste Gesellschaft sein, so kurze 21 Jahre nach dem Krieg. Aber,
ganz ehrlich: Ich sehe kein anderes, so erfolgreiches Beispiel für eine
Befriedung, weltweit. Wir leben jetzt ganz normal hier. Und dafür haben wir
nur fünf Jahre nach Ende des Krieges gebraucht. Sie werden in der jüngeren
Geschichte kaum ein anderes Beispiel dieser Art finden. Die Menschen haben
gelernt, miteinander zu leben. Wenn sie Bosnien mit anderen Konfliktherden
vergleichen, dem Nahen Osten, Syrien, Libyen, dann ist unser Land immer
noch der bestmögliche Fall. Nicht unbedingt schön, wie gesagt, voll von
Problemen. Dazu erwarten uns auch in der Zukunft viele potentielle
Konflikte. Aber meiner Meinung nach ist Bosnien immer noch eines der besten
Beispiele für den friedlichen Aufbau in einer sehr kurzen Zeit.
Sie schätzen Dayton also als Garant für Stabilität und Frieden?
In diesem Rahmen haben wir in der Vergangenheit viele schwierige
Entscheidungen getroffen. Ich möchte nur daran erinnern, dass Bosnien ja
nicht einmal eine eigene Armee hatte. Wir hatten drei Armeen, die im Krieg
gegeneinander gekämpft hatten, jetzt aber haben wir eine gemeinsame. Wenn
wir also eine Lösung finden wollen, dann können wir das auch. Tun wir das
nicht, kann auch die beste Verfassung, das idealistischste Stück Papier
unsere Probleme nicht lösen, das hängt einzig von den Menschen selber ab.
Die entscheidende Vorbedingung für einen funktionierenden Staat ist mehr
Vertrauen. Ich würde also sagen, dass unser größtes Problem der Mangel an
Vertrauen ist. Dafür benötigen wir Zeit.
Bleiben Sie optimistisch was die Zukunft des Landes angeht?
Ja, vorsichtig optimistisch. Und ich sage, dass ich vorsichtig optimistisch
bin, weil die Menschen der Konflikte überdrüssig sind. Sie wollen das
einfach nicht mehr, und ganz offen gesprochen, ich sehe nicht, dass irgend
eine der regionalen Kräfte stark genug wäre, das ohne Unterstützung aus dem
Ausland zu ändern. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass eine der
Großmächte den Status Quo in unserem Land antasten will. Ich glaube also,
dass wir in dem Rahmen von Dayton bleiben werden, es wird mehr positive
Schritte geben.
Und wie fügen sich da nationalistische Initiativen ein, wie jene aus der
bosnischen Republik Srpska wo Präsident Milorad Dodik ein umstrittenes
Referendum über einen serbischen Feiertag durchführte?
Natürlich wurde das Referendum nicht von allen in Bosnien begrüßt. Ich
glaube aber, die Menschen überschätzen die Bedeutung eines öffentlichen
Feiertages. Niemand diskutierte über die Sache selber. Alle sprechen über
ein mögliches anderes, neues Referendum über die Unabhängigkeit der
Republika Srpska. Ich weiß das, da ich lokal von der Opposition bin. Auf
der Staatsebene bin ich im Präsidium aber in der Repulika Srpska gehöre ich
zu der Opposition, die einem solchen Referendum nicht zustimmen würde. Auch
Serbien unterstützt ein solches Unabhängigkeitsreferendum nicht. Das
Referendum ist also keine wirkliche Bedrohung, es ist einfach nur eine
wilde Geschichte. Nur die deutschen Zeitungen haben so aufgeregt darüber
geschrieben.
Aber welche Bedeutung hat eine Person wie Dodik, worauf zielt er ab?
Ich glaube, es ist zu einfach, Dodik als Erklärung für alles zu benutzen,
was in Bosnien passiert. Er hat seine Argumente und Positionen und manchmal
überreagiert er. Er will im Amt bleiben und sieht seine Vorstöße als guten
Weg, Wahlen zu gewinnen.
Aber was will er?
Er spricht ein paar harte Worte, will aber letztlich nichts tun, das
unseren Alltag ernsthaft bedroht, das ist schon die ganze Geschichte.
Wenn es nun schon nicht bei den Feiertagen klappen will, was könnte denn
ein einigendes Symbol zwischen den verschiedenen Gruppen in Bosnien sein?
Es ist schwer, etwas zu finden, dass uns allen gemein ist. Wir versuchen
es. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Als ich Außenminister war, wollte
ich, dass wir eine kurze „Geschichte Bosniens“ haben. So kurz wie möglich,
einfach nur eine Broschüre, aber unter einer Bedingung: Der Text dürfte nur
Themen beinhalten, über die sich Historiker aller drei Gruppen geeinigt
hätten. Das ist jetzt zehn Jahre her und bis heute haben wir keine „Kurze
Geschichte Bosniens“. Und das ist nur ein kleines Beispiel. Im Moment sehe
ich nur wenig, das potentiell allen Seiten gemeinsam ist. Die Situation ist
nun einmal nicht einfach schwarz und weiß. Wir brauchen Zeit, um unsere
Gemeinsamkeiten heraus zu arbeiten.
Wie ist denn Russlands und Serbiens Rolle in Bosnien und der Republika
Srpska?
Der Schlüssel für mögliche Instabilität ist die Position von Serbien und
Serbien macht deutlich: wir lieben die Republika Srpska und lieben die
Serben dort, aber wir werden nichts tun, was die Einheit von Bosnien und
Herzegowina gefährdet. Ansonsten sehe ich da keine Bewegung oder besondere
äußere Einflussnahme.
Aber was glauben Sie, sind die russischen Absichten in der Region?
Ich denke, sie werden politisch und wirtschaftlich vielleicht einen Fuß in
der Tür halten wollen, aber mehr sehe ich da nicht.
Und die EU?
Die Europäische Union ist ein wichtiger Garant für unsere politische
Stabilität, auch die Tatsache, dass wir die Mitgliedschaft anstreben.
Außerhalb der EU zu bleiben, würde voraussetzen, dass wir uns wirklich so
einig wären, dass uns Europa egal sein könnte. Aber so einig sind wir
nicht. Ein offenes Bosnien, das Teil von etwas größerem ist, ist die
Bedingung für uns, ein normales Land sein zu können.
Sie sagen, dass die EU ihre Zukunft sein kann, aber was erwarten Sie, wie
es überhaupt mit der Europäischen Union weitergeht? Schließlich steckt die
selber in einer Krise.
Zunächst einmal glaube ich, dass die EU ihre Krisen überleben wird. Schon
vor sechs Jahren haben wir gehört, dass die EU zusammenbrechen würde.
Europa ist noch da. Nun gibt es wieder die Diskussionen, ob die EU
fortbestehen wird. Ich denke, sie wird. Warum? Weniger wegen der natürlich
existierenden ökonomischen Gründe, sondern hauptsächlich wegen Fragen der
Sicherheit. Ich sehe zum Beispiel kein Land, das alleine gegen den
Terrorismus kämpfen könnte. Deshalb wird die EU überleben.
Aber schauen wir nicht auf eine immer polarisiertere politische Landschaft,
auch in der EU, ein Versagen klassischer politischer Strukturen? Macht
Ihnen das keine Sorgen?
Was nicht funktioniert, ist das, was ich typische Routine-Politik oder
klassische Parteipolitik nennen würde. Nicht nur in Europa, in der ganzen
Welt. Die Gegenbewegung haben wir zum Beispiel mit Syriza in Griechenland
oder Podemos in Spanien gesehen. Mir geht es dabei gar nicht um die
ideologischen Fragen, sondern darum, dass es allgemein ein neues,
alternatives Politikverständnis gibt. Wir sehen das auch bei uns in der
Region in Kroatien zum Beispiel mit der Bewegung Most oder mit Trump in den
Vereinigten Staaten. Die Routinepolitik muss sich also ändern und ich hoffe
sehr, dass die extreme Rechte nicht einfach die nächsten Wahlen gewinnen,
ob nun in Frankreich oder den Niederlanden. Ich hoffe auch, dass das
positive Signal aus Österreich nicht das einzige bleibt.
Was denken Sie, was die EU Ihnen bieten kann?
Was ich von der EU erwarte, ist, dass sie uns Regeln gibt: Regeln über
demokratische Abläufe und das Bewusstsein, dass Institutionen wichtiger
sind als Persönlichkeiten, denn unsere Gesellschaften sind immer noch an
Einzelperson gebunden, die wichtiger als demokratische Institutionen
erscheinen. Geld und Investitionen würde ich nicht unbedingt in großem Maße
erwarten, wir sind doch ein eher kleiner Markt.
In welchem Zeitrahmen erwarten Sie denn einen Beitritt?
Ich bin jetzt nicht überoptimistisch, dass wir das sehr schnell erledigen
können. Das wird seine Zeit brauchen, nicht wegen uns, mehr wegen der EU.
Man könnte es so sagen: Ich wäre sehr froh, wenn das vor 2025 geschieht.
Aber allein, dass uns diese Tür offen steht, wird uns helfen, die internen
Spannungen zu überwinden.
Warum sollte die EU an einem bosnischen Beitritt interessiert sein?
Haben Sie mal auf eine Karte von Europa geschaut? Wir haben dort ein Loch,
und das ist der westlichen Balkan. Man kann natürlich eine Umgehung nach
der nächsten um diese Region herum bauen, aber sie ist immer noch da.
Umgeben ist sie von der Eurozone und mittendrin haben Sie ein Loch, einen
blinden Fleck. Jetzt stellen Sie sich vor, es gibt dort neue
Instabilitäten, neue Probleme, vielleicht auch einen neuen
Flüchtlingsstrom. All das könnte ins Desaster führen. Die EU sollte also im
Interesse der eigenen Sicherheit und Stabilität den Beitritt Bosniens
befürworten.
Sollten Bosnien und Serbien denn eigentlich gemeinsam und gleichzeitig der
EU beitreten oder lieber nacheinander Schritt für Schritt?
Rein akademisch gesprochen wäre es sicher der logische und vernünftige Weg,
alle Balkanländer gleichzeitig aufzunehmen und keines vorzuziehen.
Aber der Zug ist ja schon unterwegs…
Ja, und ich habe auch kein Problem damit, wenn das nacheinander geschieht,
aber es muss ein fortlaufender Prozess sein. Nicht wie bisher, erst ein
Land und dann nach einer langen Wartezeit das nächste. Dieses Vorgehen kann
neue Probleme schaffen, denn wenn man einzelne Länder auf dem Balkan den
anderen vorzieht, wird das nicht lange gut gehen.
Was würden Sie für die Zukunft speziell von Deutschland und der deutschen
Politik erwarten?
Deutschland war lange nicht genug in Europa engagiert und ganz besonders
nicht in der Entwicklung des Balkans. Auf der deutschen Verwaltung und
Politik lastet aber eine große Verantwortung. Gerade in den vergangenen
zwei Jahren wurde diese verantwortungsvolle Rolle nun sehr positiv, sehr
ausgeglichen und sehr bodenständig ausgefüllt. Ich hoffe, dass in
Deutschland die politische Wahrnehmung dergestalt ist, dass weiter so
gemacht werden sollte. Ich weiß, dass sehr viele Probleme im Fokus deutsche
Politik stehen. Aber ich hoffe, dass wir darüber nicht vergessen werden.
14 Dec 2016
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## AUTOREN
Barbara Oertel
Daniél Kretschmar
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