# taz.de -- taz-Debattenserie Digitalisierung: Wie, das iPhone zählt meine Sch… | |
> Eine Million Health-Apps gibt es, viele stammen von Krankenkassen. Sie | |
> können Apple und Google mit Daten füttern – oder ihnen Konkurrenz machen. | |
Bild: Laufen: Ging 360 Millionen Jahre lang auch ohne Health-App | |
iPhone-Nutzer haben es gut. Ihr Telefon zählt für sie die Schritte. Ganz | |
automatisch. Sie müssen dafür nicht einmal eine App installieren, irgendwo | |
unterschreiben oder etwas aktivieren. Alles ist schon fertig eingerichtet, | |
wenn sie das Gerät in Betrieb nehmen. Nur laufen müssen sie noch selbst. | |
Health App heißt die entsprechende Anwendung, die auf den Telefonen | |
vorinstalliert ist. Für Nutzer, die sie erst mit Verspätung entdecken, | |
birgt sie mitunter Überraschungen: Wie, ich laufe nur 3.000 Schritte | |
täglich? Wie, mein iPhone zählt meine Schritte? Wie, dank Verknüpfung mit | |
dem GPS kennt das System nicht nur meine Standorte, sondern sogar die | |
eigene Schrittlänge? Na ja: ja. | |
Natürlich ist so eine Schrittzähler-App sehr simpel. Apple bietet aber noch | |
einiges mehr an Gesundheits-Tracking an, vom Blutdruck über Gewicht bis zur | |
Fruchtbarkeit, und auch die eigene Krankenakte können Nutzer importieren. | |
Aber, böse gesagt: Wer seine Krankenakte in seine iPhone-Umgebung | |
importiert, der twittert vermutlich auch die Messwerte seiner | |
Personenwaage. | |
Die Bundesdatenschutzbeauftragte schätzt in einer Auswertung vom Dezember | |
die Zahl der Apps mit Gesundheitsbezug auf eine Million. Und warnt: | |
Gesundheitsapps und -tracker seien häufig problematisch in Sachen | |
Privatsphäre. Unverständliche Datenschutzbedingungen, unbefugte Weitergabe | |
der Daten an Dritte, und löschen ließen sich die eigenen Daten meist auch | |
nicht. Da könnte man auf die Idee kommen, es wäre ohne Risiko, sich an die | |
Apps von etablierten Institutionen zu halten. Ministerien zum Beispiel oder | |
Krankenkassen, die zwar, auch zusammengenommen, nicht annähernd auf die | |
Angebotsbreite eines Google Play Store kommen. Andererseits: Wer braucht | |
die schon? | |
## Ah, Sie leiden unter Tinnitus | |
Von Arztsuche bis Abnehm-App, von Rezepten für Menschen mit | |
Glutenunverträglichkeit bis zur App für werdende Mütter – das bieten allein | |
die Krankenkassen. 13 Apps mit Gesundheitsbezug hat die AOK im Portfolio, | |
die Barmer bringt es auf drei, die Techniker Krankenkasse auf vier. | |
Darunter sind Apps, bei denen es um sehr sensible Daten geht: ein Tagebuch | |
für Diabetes-Patienten etwa. Eine Migräne-App. Ein Tinnitus-Coach. | |
Alle diese Apps haben eines gemeinsam: Wer sie herunterladen will, wird von | |
der Seite des Anbieters, also der Krankenkasse, auf die Seite von Googles | |
Play Store oder Apples iTunes geleitet. Eine datenschutzfreundlichere | |
Quelle, etwa die Möglichkeit zum Download auf der Webseite des jeweiligen | |
Anbieters, die es zumindest Android-Nutzern möglich machen würde, um den | |
Play Store herumzukommen, gibt es nicht. | |
Google und Apple dürfen sich freuen. Denn auch, ganz ohne Einblick in die | |
in der App generierten Daten zu bekommen, bekommen die IT-Giganten | |
aufschlussreiche Informationen. | |
Beispiel Google Play: Selbst, wenn sich Nutzer auf kostenlose Apps | |
beschränken und keine Zahlungsdaten hinterlegen, sind sie in der Regel für | |
Google identifizierbar. Die Telefonnummer würde schon reichen, darüber | |
hinaus verfügt das Unternehmen bei vielen Nutzern über die Standortdaten, | |
und die sind meist ziemlich einzigartig. Zu dieser Identifizierung kommt | |
nun noch eine – sensible – Information mehr: Leidet unter Tinnitus. Oder | |
Diabetes. Ob Google den Betroffenen irgendwann unauffällig-auffällig | |
Werbung für die Blutzucker messenden Kontaktlinsen aus dem eigenen Haus | |
zukommen lassen wird? | |
## Ein europäisches Google? | |
Auch Ministerien sind nicht unbedingt Vorbilder. Das nordrhein-westfälische | |
Gesundheitsministerium hat die App „Superdad“ entwickelt, einen | |
Gesundheitsratgeber für junge Väter, aus Bayern kommt „Gesundheit Männer!�… | |
Und, genau, auch hier werden Nutzer zu den entsprechenden Seiten der großen | |
IT-Konzerne weitergeleitet. Jetzt ist der Datenschutz das eine. Das andere | |
ist das Signal. | |
Es gibt immer noch Politiker, die sich – mal laut, mal leise – eine Art | |
europäisches Google wünschen. Dass das nichts werden wird, schon allein | |
deshalb nicht, weil Google, beziehungsweise Konzernmutter Alphabet, längst | |
nicht nur Suchmaschine ist, sondern vom Werbenetzwerk bis zum Hersteller | |
von Gesundheits-Gadgets so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann, | |
ist klar. | |
Aber hier gäbe es mal eine Möglichkeit. Eine klitzekleine natürlich, | |
nichts, was Google nur im Ansatz Konkurrenz machen würde, aber eine | |
Möglichkeit: Warum nicht sämtliche Apps, die öffentliche Institutionen in | |
Europa entwickeln, über eine eigene Plattform zur Verfügung stellen? Eine | |
Plattform, die es, datenschutzfreundlich gestaltet, ohne Registrierung, | |
Nutzern ermöglicht, die Apps herunterzuladen? | |
## Weniger Geld für die großen Konzerne | |
Und wenn man schon dabei ist – auch wenn das schon die Eins mit Sternchen | |
wäre – ließe sich gleich noch verankern, dass Apps, wenn sie schon durch | |
Steuergelder oder Krankenkassenbeiträge finanziert werden, – direkt als | |
Open Source konzipiert werden müssen. Klar, das wäre alles ein größeres | |
Projekt, das dauert in der EU ein paar Jahre. Die Apps auf die eigene Seite | |
zu stellen, das ginge aber von heute auf morgen. | |
Nicht alle Anbieter zeigen sich da auf Anfrage aufgeschlossen: Die Barmer | |
befürchtet hohe Kosten für eine eigene Infrastruktur, die AOK argumentiert, | |
die Nutzer seien es eben so gewöhnt, und die TK favorisiert einen | |
einheitlichen Ort, an dem User die „autorisierte und aktuellste Version“ | |
der App erhalten. Das NRW-Gesundheitsministerium plant dagegen einen | |
Direktdownload – und aus Bayern heißt es, man würde diese Möglichkeit | |
anbieten, wenn es eine „relevante Zahl solcher Anfragen“ gebe. | |
Nach dem Datenschutz und der Signalwirkung geht es noch um einen dritten | |
Punkt: Geld. Momentan füttern die von Steuer- oder Beitragszahlern | |
finanzierten Apps indirekt die großen Internetkonzerne. Mit jedem | |
zusätzlichen Angebot, das nur über Google und Apple herunterzuladen ist, | |
wird die Marktmacht der Konzerne, die ohnehin unübersehbar groß ist, weiter | |
gestärkt. Es wird Zeit, aus diesem Kreislauf auszusteigen. | |
Die Serie zur Digitalisierung unter: taz.de/digidebatte | |
31 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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