# taz.de -- Geflüchtete in Uganda: Neue Zukunft in Nakivale | |
> Ackerbau und Arbeit gibt es für Flüchtlinge. Im ältesten Flüchtlingslager | |
> Ugandas finden sie Frieden und Sicherheit – aber nur wenig Wohlstand. | |
Bild: Pierre Karimumujango aus Burundi mit seiner Familie in Nakivale | |
Nakivale taz | Mit nichts als den Kleidern am Leib war Familienvater Pierre | |
Karimumujango mit seiner Frau und den drei Kleinkindern aus seinem Dorf in | |
Burundi geflüchtet. Zu Fuß und mit dem Bus hat sich der Bauer bis nach | |
Uganda durchgeschlagen, um dort Schutz zu suchen. Jetzt steht er stolz vor | |
seiner neuen, kleinen Hütte, harkt mit Liebe seinen Kassawa-Acker. Bald | |
wird er zum ersten Mal ernten: „Wir haben Asyl bekommen und ein Stück Land | |
und ich bin glücklich, dass wir in Uganda Frieden gefunden haben“, sagt der | |
39-Jährige. | |
So wie der Burundier Karimumujango überqueren täglich bis zu hundert | |
verzweifelte Menschen die Grenzen, um in Uganda Schutz zu suchen. Das | |
kleine Land in Ostafrika hat eine der weltweit liberalsten | |
Flüchtlingspolitiken. Über eine halbe Million Menschen suchen derzeit in | |
Uganda Schutz, so viele wie noch nie in der Geschichte des ostafrikanischen | |
Landes. | |
Uganda gilt als stabile Insel im krisengeschüttelten Herzen Afrikas: Im | |
Nachbarland Kongo herrscht seit über 20 Jahren Bürgerkrieg, im nördlich | |
gelegenen Südsudan brach Ende 2013 der Konflikt erneut aus. In Burundi | |
terrorisiert die Staatsmacht die Bevölkerung. Mehr als 200.000 Menschen | |
sind geflohen, die meisten nach Ruanda und Tansania. Doch die Lager dort | |
sind überfüllt – jetzt ziehen auch die Burundier weiter nach Uganda, weil | |
sie wissen, dass sie sich dort auch langfristig niederlassen können. | |
Ugandas ältestes Flüchtlingslager Nakivale, gelegen im unbesiedelten Westen | |
des Landes zwischen grünen Hügeln, wo Karimumujango sein Haus gebaut hat, | |
wirkt wie eine Stadt mit seinen über 100.000 Einwohnern. Flüchtlinge der | |
verschiedenen Nationalitäten haben sich in „Stadtteilen“ zusammen gefunden | |
und benennen diese nach ihren Heimatstädten in Ruanda, Somalia, Eritrea: | |
„Klein-Kigali“ oder „Klein-Mogadishu“ oder „Klein-Asmara“ steht auf | |
Hinweisschildern, die durch das Lager führen. | |
## Ackerland für alle | |
Derzeit stampfen burundische Flüchtlinge wie Karimumujango auf einem | |
weiteren Hügel „Klein-Bujumbura“ aus dem Boden: Aus Holz und Lehm bauen sie | |
ihre eigenen Häuser mit Strohdächer. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat | |
auf einem zentralen Platz einen Brunnen gebohrt und gewaltige Wassertanks | |
aufgestellt, an denen dutzende Kinder mit Kanistern Schlange stehen. Drum | |
herum wächst die Siedlung kreisförmig in die leere Landschaft. | |
Jede Familie bekommt wie Bauer Karimumujango von Ugandas Regierung einen | |
Acker zugewiesen, den sie bepflanzen darf. Das unbevölkerte Weideland im | |
Südwesten des Landes nahe der Grenze zu Tansania gehört dem Staat. Hier | |
grasen sonst nur Rinderherden, die in den Regenzeiten durchziehen. Bis auf | |
Bauer Karimumujangos frisch angelegtem Acker in wenigen Monaten etwas | |
wächst, verteilt das UN-Welternährungsprogramm Lebensmittel. | |
„Obwohl wir eine sehr offenherzige Politik verfolgen, ist unser Problem die | |
Versorgung der Flüchtlinge, wenn sie in Massen kommen“, erklärt Ugandas | |
Flüchtlingsminister Mussa Ecweru. So wie im Juli 2016, als im Südsudan | |
erneut Kämpfe ausbrachen und sich binnen weniger Tage Zehntausende Menschen | |
über die Grenze retteten. Ugandas Regierung sei bei der Erstversorgung in | |
den Auffangzentren entlang der Grenzen auf internationale Hilfen | |
angewiesen. Diese würden jedoch immer weniger, da auch Europa mit einem | |
Flüchtlingsansturm klarkommen müsse. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR | |
spricht derzeit von der größten Flüchtlingskrise seit dem Ende des Zweiten | |
Weltkriegs. | |
## Die Produktionsmittel im Gepäck | |
Das Zentrum von Nakivale, wo die Lagerleitung ihre Büros hat und die | |
Hilfsgüter und Lebensmittel verteilt werden, wirkt wie die Gassen einer | |
Kleinstadt. Hier reihen sich Tischlereien, Schneidereien, | |
Motorrad-Werkstätten, Apotheken und Läden aneinander, alle von Flüchtlingen | |
betrieben. Viele bringen ihre Nähmaschinen, Werkbänke, Werkzeuge oder gar | |
die Getreidemühle aus ihrer Heimat nach Nakivale. Ein Internetcafébetreiber | |
floh samt seiner Computer und baute sie im Lager wieder auf: Hier sitzen | |
Jugendliche vor den Rechnern und chatten online mit ihren ehemaligen | |
Schulfreunden aus der Heimat in anderen Lagern der Region. Jenseits der | |
Holzhütten spielen junge Männer Fußball auf einem Bolzplatz mit einem | |
wackeligen Tor: Kongolesen gegen Somalis. Sport ist eine gute | |
Beschäftigung, Traumata zu bewältigen und auch Konflikte unter den | |
Flüchtlingen im Lager auszutragen. | |
Vor dem Verwaltungsgebäude des Lagers werden Namen in alphabetischer | |
Reihenfolge aufgerufen. Auf dem großen Platz inmitten des gewaltigen | |
Flüchtlingslagers drängen sich tausende Menschen. Sie stehen Schlange, um | |
Kleidung zu erhalten. Die meisten stammen aus Südsudan oder Burundi, beides | |
Länder in welchen Angst und Terror regieren. Viele kamen mit leeren Taschen | |
und besitzen lediglich die paar Fetzen, die sie am Leib tragen, berichtet | |
Brian Akankunda, Beauftragter der ugandischen Regierung im Flüchtlingslager | |
und zeigt auf die Containerboxen voller Altkleiderspenden aus Europa: | |
Pullover, Hosen, Hüte, Jacken. Akandkunda prüft einen Jogginganzug: „Sie | |
sind alle in gutem Zustand, sie sehen gut aus!“, freut er sich. Jede | |
Familie bekommt zwei Kleidungsstücke pro Person. Heute verteilt er an 5000 | |
Familien. „Doch die Vorräte reichen nicht für alle“, klagt er. | |
Jenseits der Verwaltungsgebäude geht es in den staubigen Gassen etwas | |
ruhiger zu: Hier beginnen die ruandischen und kongolesischen Viertel, die | |
ältesten in Nakivale. Die Häuser und Grundstücke sind massiver gebaut, | |
viele mit Mauern aus Ziegensteinen und mit Wellblechdach. Zwischen den | |
Grundstücken wachsen Hecken meterhoch, um Privatsphäre zu schaffen. Die | |
meisten Ruander und Kongolesen leben schon seit über 20 Jahren hier, seit | |
dem Völkermord in Ruanda 1994 und dem daraus resultierenden Krieg im | |
Ostkongo. Die ethnischen Konflikte sind auch in Nakivale nicht zu | |
übersehen. Man lebt getrennt: auf der einen Seite der Straße die Hutu und | |
der anderen die Tutsi. Viele Tutsi sind samt ihrer Kühe nach Uganda | |
geflohen, sie sind ein Vermögen wert und können bei Bedarf verkauft werden. | |
Sie grasen jetzt auf den Weiden rund um das Lager. | |
Auch vor dem Haus von Olive Nyirandambyza rupft eine Kuh mit langen Hörnern | |
an Grasbüscheln. Die 38-jährige Kongolesin sitzt auf einem Schemel vor | |
ihrem Haus und gibt einem kleinen Baby die Brust. Sie lebt mit ihrem Mann | |
schon seit 2007 im Lager. Fünf ihrer sieben Kinder sind in Nakivale geboren | |
und haben ihr Heimatland nie kennen gelernt. In der Schule lernen sie | |
Englisch nach dem ugandischen Kurrikulum, nicht französisch wie in ihrer | |
Heimat. Sie hat keine Hoffnung je wieder zurückzukehren, sagt sie: „Die | |
Lage im Kongo ist aussichtslos“, klagt sie und selbst wenn Friede einkehren | |
würde, könne sie nicht zurück: „Unser ganzes Hab und Gut, unser Grundstüc… | |
unsere Äcker – nichts ist mehr da“, sagt sie leise und zeigt auf die Kuh: | |
die letzte von einer Herde, die einst über hundert Tiere zählte, ein | |
Vermögen. Die übrigen Kühe habe ihr Mann im Laufe der Jahre verkauft, um | |
sich die Schulgebühren leisten zu können. | |
Sechs kostenlose staatliche Grundschulen gibt es im Lager. Zur | |
Sekundarschule müssen die Jugendlichen allerdings ins vier Kilometer | |
entfernte ugandische Dorf marschieren. Sie ist gebührenpflichtig, die | |
meisten Flüchtlingsfamilien können sich die Schulgebühren nicht leisten. Um | |
die letzte Kuh nicht zu verkaufen, sei ihr Mann nun in die nahe gelegene | |
Stadt Mbarara gezogen, um Geld als Tagelöhner zu verdienen. Nyirandambyza | |
sorgt sich: „Wenn eines meiner Kinder krank wird, haben wir kein Geld für | |
Medizin oder das Krankenhaus“, sagt sie. Dennoch sei sie für das Leben in | |
Uganda jeden Tag dankbar – immerhin herrsche Frieden und sie seien | |
willkommen. | |
13 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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