# taz.de -- Kinderarmut per Gesetz: Leider, leider? Her damit! | |
> Was?! Bund und Länder haben sich wieder nicht auf die Reform des | |
> Unterhaltsvorschusses geeinigt? Wie lange soll's denn dauern? Ein | |
> Wutausbruch. | |
Bild: Ostberlin, Winter 1989: Das Kind auf dem Weg in die Bundesrepublik | |
Als vor gut einem Vierteljahrhundert „die Mauer fiel“, wurde ich zur | |
„alleinerziehenden Mutter“. Bis dahin hatte ich begrifflich gesehen einfach | |
ein Kind gehabt – mit der deutschen Vereinigung erlangte ich schlagartig | |
gesellschaftlichen Opferstatus. Arme, arme Alleinerziehende! hieß es | |
plötzlich. So toll, wie sie das hinkriegt – mit dem Kind und dem Job und | |
der Armut. | |
Ich wunderte mich. Was sollte das denn plötzlich? Als Erwachsene mit einem | |
Kind zusammen zu leben war nach meiner Erfahrung deutlich jenem Zustand | |
vorzuziehen, den ich hinter mir hatte. Nämlich mit einem Kind zusammen zu | |
wohnen und mit einem Kindsvater, mit dem ich mich stritt und stritt. Lieber | |
mal heulen, weil keiner außer mir die Kohlen aus dem Keller holt, als jeden | |
Tag wegen allgemeiner Verzweiflung zu weinen. Den Unterhalt bekam ich | |
pünktlich aufs Girokonto überwiesen, er wurde meinem Ex-Mann automatisch | |
vom Gehalt abgezogen. | |
Dann wurden das Kind und ich und der Mann BundesbürgerInnen. Ich war nun | |
tatsächlich Alleinerziehende, weshalb das Kind vom Jugendamt einen | |
„Amtsvormund“ zur Seite bekam. Der Ex-Mann machte sich selbstständig und | |
frisierte seine Steuererklärung. Unterhalt sah ich nicht mehr. Es reichte, | |
dass der Tochtervater kein Namensschild am Briefkasten hatte. Damit war er | |
fürs Jugendamt leider, leider unerreichbar. Ich begann zu spüren, was es | |
heißt, nicht mehr genug Geld fürs Kind zu haben. | |
Das neue Land hielt aber eine Lösung für Leute wie uns bereit: das | |
Unterhaltsvorschussgesetz. Gute Sache, dachte ich. Das Kind brauchte neue | |
Schuhe, wir wohnten jetzt in einer Wohnung mit Zentralheizung, die | |
Kitagebühren hatten sich verdoppelt. Ja klar, gute Sache, dieser | |
Unterhaltsvorschuss. Können wir gut gebrauchen. Machen wir. | |
Dann las ich das Kleingedruckte. Unterhaltsvorschuss wurde nicht nur für | |
maximal sechs Jahre gezahlt – er endete auch allerspätestens mit dem | |
zwölften Geburtstag des Kindes. | |
## Macht man halt ein klügeres Gesetz | |
Quatsch im Quadrat, dachte ich. Und dass sich die Leute in dem neuen Land | |
ganz offensichtlich geirrt haben mussten. Ein Kind, das ist ja jeden Tag | |
da. Das wächst und will gekleidet und gefüttert, bespielt und | |
beklassenfahrtet werden. Das verliert mal was und macht eine Menge kaputt. | |
Das hat ganz nebenbei auch ein paar Wünsche. Gut, wenn es Großeltern hat, | |
die die bezahlen können. Und wenn so ein Kind zwölf Jahre alt ist, hört es | |
ja nicht plötzlich auf zu existieren – nur weil ein Gesetz das sagt. | |
Kurzum, ich war fest überzeugt, dass dieses offensichtlich komplett | |
bescheuerte „UhVorschG“ im Nu abgeräumt sein würde. Dass das nur so ein | |
dummer Denkfehler war. So was konnte jedem mal passieren. Macht man halt | |
ein klügeres Gesetz. | |
Das ist jetzt 26 Jahre her. Meine Tochter ist längst erwachsen; die | |
Unterhaltsschulden ihres Vaters habe ich schon vor zwanzig Jahren unter | |
„Leck mich!“ abgebucht. Aber was soll ich sagen? Dieses beknackte | |
„UhVorschG“ gilt immer noch! | |
Bei den Finanzverhandlungen der Großen Koalition sollte es endlich, endlich | |
geändert werden: Weg mit der bescheuerten Befristung und Deckelung, her mit | |
der Anerkennung der Lebensrealität. Geld für Kinder, die es brauchen. Aber | |
Regierung und Ländervertreter haben sich nicht geeinigt. | |
Sie haben zwar beschlossen, Straßen zu bauen und Brücken, es gibt jetzt | |
Milliarden Euro für den Ausbau der Verwaltungen und um Flüchtlinge | |
abzuschieben. Aber für die Kinder alleinerziehender Mütter und Väter hat es | |
leider, leider nicht gereicht. Wieder mal. In ihrer nächtlichen | |
Pressekonferenz sprach Angela Merkel in diesem Zusammenhang von „einigen | |
Details“. Einzelne Beratungen zur Feinabstimmung seien noch nötig. Ist es | |
denn zu fassen? | |
## Ein blöder Opfersatz | |
Ich sage diesen Satz nicht gerne, denn er ist ungut abgegriffen. Aber: | |
Kinder haben in diesem Land keine Lobby. | |
Ein blöder Opfer-Satz. Aber er ist leider wahr. Dieses Land, seine | |
wechselnden Regierungen – sie bringen es einfach nicht fertig, eine so | |
offensichtliche Ungerechtigkeit zu beseitigen. Politiker zieren sich, sie | |
jammern und stöhnen. Der ganze Verwaltungsaufwand! Zahlen wir nicht schon | |
Kindergeld und Herdprämie? Und mal ehrlich, täte es nicht auch ein | |
billigerer Kinderwagen? | |
Dahinter steht der Grundgedanke, dass Leute, die allein Kinder großziehen, | |
eine sozialpolitische Last darstellen. Dass, wer arm ist, es vielleicht | |
doch irgendwie nicht besser verdient hat. Dass diese Leute immer nur haben, | |
haben wollen, statt mal endlich arbeiten zu gehen. | |
Übelster Auswuchs des (vielleicht, irgendwann, naja, im Frühjahr oder so) | |
doch zu verabschiedenden reformierten Gesetzes ist, dass | |
Hartz-IV-EmpfängerInnen gar nichts davon haben sollen. Bekommen sie | |
Unterhaltsvorschuss, wird dieser umstandslos mit ihren Bezügen verrechnet. | |
Für diese Pfennigfuchserei reichen die Fähigkeiten des deutschen | |
Verwaltungswesens offenbar doch aus. | |
Wie gesagt, vor einem Vierteljahrhundert habe ich begriffen, was dieses | |
Land und seine Politiker an den jüngsten Bürgern für eine Ungerechtigkeit | |
begehen. Bis heute haben sie es nicht vermocht, sie zu beseitigen. Nicht, | |
weil sie nicht könnten. Sie wollen es nicht. Möglicherweise brauchen sie | |
für ihre politische Erzählung eine Unterschicht, an der sich die | |
Mittelschicht die Seele wärmen und sagen kann: Gott sei Dank, ich bin nicht | |
so. | |
9 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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