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# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Nigeria: Immer auf Augenhöhe
> Nigeria hat als erstes Land einen Migrations- und Mobilitätsvertrag mit
> der EU unterzeichnet. Die EU-Delegation arbeitet auf Hochtouren, um eine
> Rückführungsabkommen zu verhandeln. Aber Nigeria erwartet
> Gegenleistungen.
Bild: Ein Lager für Binnenvertriebene im nigerianischen Maiduguri
Abuja taz | Gut 20 Millionen NigerianerInnen umfasst die Diaspora weltweit.
Sie stellen einen erheblichen Wirtschaftsfaktor da. Die Zentralbank
Nigerias berichtet, dass 2015 etwa 21 Milliarden Dollar gen Heimat
überwiesen wurden – Tendenz steigend. Die knapp 24.000 irregulären
nigerianischen Grenzgänger Richtung Europa fallen da eigentlich kaum ins
Gewicht.
Dennoch ist Nigeria in der neuen EU-Politik gegenüber Afrika ein
Schlüsselland. Mit keinem anderen Land auf dem Kontinent hat die EU in
jüngster Zeit so zahlreiche Abkommen verhandelt, wie mit Nigeria.
Besonderer Fokus: Migration und Sicherheit.
Das Flüchtlingsproblem ist etwas ganz Anderes. Seit Beginn des Konfliktes
mit der islamistischen Miliz Boko Haram im Nordosten 2009 sind mehr als
20.000 Menschen getötet worden, zahllose Frauen und Mädchen entführt und
Kinder als Selbstmordattentäter rekrutiert worden. Bis zu 2,5 Millionen
Menschen haben ihr Zuhause verlassen, davon gelten 2,2 Millionen als
Binnenvertriebene und 187.126 Menschen sind nach Kamerun, Tschad und Niger
geflohen.
In den Bundesstaaten im Nordosten, Adamawa, Borno, Gombe and Yobe sind bis
zu 15 Millionen Menschen direkt betroffen und benötigen humanitäre Hilfe,
davon die Hälfte Kinder, so die Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks
(UNHCR). Im Februar meldete der UNHCR, dass nur 9 Prozent der Kosten für
die Binnenvertriebenen (IDP) in Nigeria gedeckt seien. Die IDPs haben alles
verloren, über Geld für die Migration Richtung Europa verfügen sie nicht.
## Geld für Konfliktbeilegung
Zur Regulierung der Migration von Westafrika nach Europa wurde 2006 der
sogenannte Rabat-Prozess eingeleitet. Die Entwicklungshilfe wurde an
Migration geknüpft, Rückkehr von irregulären Migranten ein neuer Pfeiler
der Kooperation. Der Migrationsgipfel in Valletta, im Dezember 2015,
brachte vor Allem einen ansehnlichen Fördertopf hervor, den Treuhandfond
für Afrika, der ganz pragmatisch mit Entwicklungshilfegeldern gefüllt
wurde. 1,88 Milliarden Euro sind in den Topf geflossen, der Großteil aus
bereits existierenden Fördertöpfen der europäischen Entwicklungshilfe.
Während die meisten Gelder in Westafrika in Beschäftigungsprojekte fließen,
wird in Nigeria Friedensarbeit und Konfliktbewältigung finanziert. 52
Millionen Euro sind für Friedensprojekte im Nordosten Nigerias, wo Boko
Haram wütet, veranschlagt. Das Entwicklungshilfeprogramm der EU für Nigeria
2014 bis 2020 umfasste bereits vor dem Valletta-Gipfel 520 Millionen Euro.
Davon waren 90 Millionen für „gute Regierungsführung“ sowie Frieden und
Stabilität veranschlagt, neu ist seit Valletta lediglich deren Ausrichtung
auf Fluchtursachen und Migration. Die anderen Summen, für Gesundheit,
Ernährung und Nachhaltige Energie, haben sich nicht geändert.
## Erfolgsmeldungen dringend gesucht
Mitte Oktober 2016 reiste eine 15-köpfige Delegation aus Brüssel in
Nigerias Hauptstadt Abuja an. „Eine Aufregung, als ob sie Millionen von
Migranten aus Europa fernhalten wollten“, lästert eine ranghohe
Repräsentantin einer internationalen NGO, die den Verhandlungen beiwohnte.
„Es ging um Geld: Wieviel für die Rückkehrer? Welche Pakete müssen wir
schnüren?“.
Der Besuch der EU-Delegation galt auch dem Auftakt zu Verhandlungen eines
europäisch-nigerianischen Rückführungsabkommen. Nach wie vor unklar ist,
was Nigeria dafür bekommt. In anderen Schlüsselländern wie Äthiopien, Sudan
oder Eritrea investiert die EU hunderte Millionen Euro.
Die deutsche Botschaft in Nigerias Hauptstadt Abuja möchte den Entwurf der
Vereinbarung nicht veröffentlicht sehen. Godwin Morka, Direktor für
Recherche von NAPTIP (National Agency for the Prohibition of trafficking in
Persons), der Behörde gegen Menschenhandel, sagt, dass das Abkommen ihnen
die Arbeit erleichtern werde. Ihr Anliegen sei vor Allem der Schutz von
Opfern von Menschenhandel: In der Absichtserklärung, wurde gegenseitige
Rechtshilfe geklärt und die „Frage nach der Identifizierung von Personen“.
Festgelegt werde auch der „Austausch von Informationen, insbesondere zu
irregulärer Migration, Schutz von Menschenrechten, sichere Rückführung,
Rehabilitation, auch internationaler Opferschutz, garantiert von beiden
Seiten.“ Die EU-Delegation einigte sich mit den nigerianischen Partnern
sofort auf eine „Identifizierungsmission“ in verschiedenen Ländern der EU.
So steht es zumindest im „Fortschrittsbericht“ der EU.
## Partner in der Energiepolitik
Wird damit die von der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS
nach dem Vorbild der EU eingeführte Freizügigkeit unterminiert? „Man kann
doch keine Mauern errichten“, sagt Direktor Morka von der NAPTIP. „Wir
müssen professionell und schlau sein, um die Kriminellen zu erwischen. “
Die Behörde setzt auf Tipps aus der Bevölkerung, Technologie und
Ermittlungstätigkeit. Bis 2015 war die NAPTIP ausschließlich für
Menschenhändler zuständig. Mit dem neuen Gesetz gegen Menschenschmuggel von
2015 sind auch die Helfer bei irregulären Grenzübertritten im Visier. Mit
dem neuen Abkommen hofft NAPTIP, auch mehr Ausrüstung zu bekommen. Ein
20-Millionen Euro EU-Projekt zur Bekämpfung von Schmuggel und
Menschenhandel ist in Vorbereitung.
In vielen EU-Papieren wird die Wirtschaftskraft und die Öl- und
Gasproduktion als Grund für die enge EU-Bindung an Nigeria genannt. In der
neuen EU-Außen- und Sicherheitsstrategie vom März 2016 ist neben
Terrorismus, Klimawandel auch Energiesicherheit als Hauptanliegen genannt.
Energiesicherheit soll durch Diversifizierung erreicht werden.
Nigerias Ölressourcen sind daher für Europa von strategischer Bedeutung.
Dies betrifft nicht nur die aktuelle Förderung im Niger-Delta, sondern auch
die potentiellen Vorkommen unter dem Tschadsee, die Region, in der Boko
Haram ihre Hochburg hat, sowie die geplante Transsahara-Öl- und
Gas-Pipeline von Nigeria über Niger, Algerien nach Spanien. Erste Abkommen
mit Algerien zur Pipeline wurden bereits 2002 geschlossen. Im Dezember 2016
unterzeichnete Nigeria’s Präsident anlässlich eines Besuches von König
Mohammed ein Abkommen, dass auch Marokko an die Gas-Pipeline anschließen
soll. Nigerias Ölpipelines sind in der Vergangenheit immer wieder zerstört
worden. Die Milizen im Niger-Flussdelta haben mittlerweile gemeinsam mit
nigerianischen Wirtschaftsgrößen einen regelrechten Parallelmarkt
geschaffen, auf dem gestohlenes Öl in der Größenordnung von Schiffsladungen
verkauft wird.
## Bilaterale Verträge mit halb Europa
Umgekehrt ist Nigeria nicht nur an Handelsbeziehungen und der Lieferung von
Rohstoffen, sondern auch an Knowhow und Technologie sowie Unterstützung im
Aufbau einer eigenen Wirtschaft interessiert. Das EU-Handelsabkommen EPA
kommt diesem Interesse jedoch nicht entgegen. Auch in dem internen
EU-Papier, dass die Interessenlage bezüglich eines möglichen
Rückkehrabkommens abklopft, ist davon nicht die Rede. Ganz oben auf der
Agenda von Nigeria ist auch die Repatriierung der von Politikern
gestohlenen Milliarden auf europäischen Konten. In dem internen EU-Papier
das erst ganz am Ende aufgegriffen.
Nachdem 2006 der Rabat-Prozess eingeleitet wurde, um Migration an
Entwicklung zu koppeln und Rückführungen von irregulären Migranten zu
ermöglichen, hat Nigeria frühzeitig wegweisende Verträge abgeschlossen:
Bilaterale Verträge mit Italien (2011), Großbritannien (2004 und 2016),
Spanien (2001) über Rückführung von abgelehnten Migranten und nicht zuletzt
die gemeinsame Agenda für Migration und Mobilität (CAMM, 2015), dem ersten
Vertrag dieser Art in Subsahara Afrika. Das Gemeinschaftsprogramm, will
legale Migration fördern, europäische Programme für Nigerianer öffnen und
gleichzeitig Rückführungen und Grenzkontrollen ausbauen.
Die Zusammenarbeit mit Frontex wurde bereits 2012 vertraglich vereinbart
und heute ist Nigeria Mitglied der Frontex Geheimdienst-Community. In dem
Vertrag ist auch die Rede davon, dass Nigeria an gemeinsamen
Grenzkontrollen und gemeinsamen Rückführungsaktionen teilnimmt. Dies ist
sicherlich der massiv umworbenen Behörde gegen Menschenhandel NAPTIP
geschuldet, mit der die Europäische Union (EU), die Internationale
Migrationsbehörde IOM, die europäische Grenzschutzbehörde Frontex, die
internationalen Polizeibehörden Interpol und Europol, die Organisation der
Vereinten Nationen gegen Drogen und Kriminalität (UNODC) und nationale
Sicherheitsdienste zusammenarbeiten.
NAPTIP ist letztlich eine paramilitärische Strafverfolgungsbehörde, die die
Arbeit von Geheimdienst und Polizei in Sachen Menschenhandel und seit einem
Jahr auch Menschenschmuggel koordiniert. NAPTIP selbst hat auch mehrere
bilaterale Kooperationsverträge mit europäischen Sicherheitsbehörden
(Spanien, UK, Niederlande) geschlossen. Frontex wiederum, hat mindestens
sowohl mit NAPTIP als auch der Migrationsbehörde (National Immigration
Service, NIS) jeweils einen Vertrag geschlossen. Beide Behörden unterstehen
dem Ministerium für Inneres. Internationale Verträge gehören indes in den
Aufgabenbereich des Außenministeriums. Insofern betont der Frontex-Vertrag
mit der Migrationsbehörde, dass es sich nicht um ein international
anerkanntes Dokument handelt.
Diese Vielzahl an Verträgen und Absichtserklärungen erweckt den Eindruck
eines Meisterschülers europäischer Migrationskontrolle. Aber wie so vieles
in Nigeria, mangelt es nicht an Gesetzen und Politiken, sondern an der
Umsetzung in die Praxis und an Integrität in der Verwaltung von Geldern.
Entscheidend ist oft eine Berechnung, welchen Gewinn die Vertragserfüllung
bringt.
Jenseits von Grenzkontrolle und Friedens- und Wiederaufbauarbeit in den von
Boko Haram kontrollierten Gebieten hat Nigeria großen Bedarf an
Unterstützung der Sicherheits- und Verteidigungskräfte. Nigerias Armee ist
vom Kampf gegen Boko Haram ausgelaugt, die Ausrüstung dezimiert. Aufgrund
der Menschenrechtsverletzungen der Armee liefert die USA jedoch keine
Waffen- und Kriegstechnik. Das sogenannte Leahy-Gesetz kontrolliert
Waffenexporte aus den USA aufs Schärfste.
Das skrupellose Vorgehen der nigerianischen Armee, nicht nur gegen Boko
Haram, sondern auch gegen die Biafra-Separatisten im Osten, die wie in den
60er Jahren einen eigenen Staat fordern und gegen die schiitische Gruppe im
Nordwesten des Landes, hat nicht nur sehr kritische Berichte der
internationalen Menschenrechtsorganisation Amnesty International
hervorgebracht. Auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag
ermittelt.
In einem internen Papier der Europäischen Union werden die Interessen der
EU und Nigerias ausgelotet und wie ein Rückführungsabkommen verhandelt
werden könne. In der langen Liste von Infrastrukturmaßnahmen, Training und
Verbesserung der Aktivitäten gegen Menschenhandel bis hin zu vereinfachter
Visa-Erteilung für ausgewählte Personenkreise ist daher von einer
Unterstützung des Militärs und anderer Sicherheitskräfte nicht die Rede.
Die findet sich jedoch in einem gemeinsamen Informationspapier des
Bundesverteidigungsministeriums und des Auswärtigen Amtes. In dem Schreiben
vom 17. Mai 2016 an die Abgeordneten des Bundestages wird eine
'Ertüchtigungsliste’ aufgeführt, die auch die „Beschaffung von
Bodenradarsystemen“ anführt, die der Beschaffung von Informationen im Kampf
gegen Boko Haram dienen sollen.
12 Dec 2016
## AUTOREN
Andrea Stäritz
## TAGS
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