# taz.de -- Kampf um Aleppo in Syrien: Stadt ohne Hoffnung | |
> Die Lage in Aleppo ist für die Bevölkerung dramatisch. Die Rebellen im | |
> Ostteil der Stadt fordern eine fünftägige Feuerpause. | |
Bild: Die Rebellen geben die Stadt noch nicht auf: Blick auf die Altstadt Alepp… | |
Kairo taz | Die Altstadt von Aleppo ist ein lange geschundenes historisches | |
Juwel. Die weltberühmten Karawansereien und türkischen Bäder entlang des | |
einst längsten überdachten Basars der Welt sind teilweise zerbombt; der | |
Rest ist mit einer dicken Staubschicht überzogen, die der Altstadt das | |
typische Grau des Krieges verleiht. | |
Nach vier Jahren haben sich jetzt die Rebellen aus der umkämpften Altstadt | |
zurückgezogen, bevor sie eingekesselt und von den anderen Rebellengebieten | |
abgeschnitten wurden. Die Truppen der syrischen Regierung kontrollieren | |
inzwischen drei Viertel des einst von den Rebellen gehaltenen Ost-Aleppos. | |
Im verbliebenen Teil leben – geschätzt – noch mindestens 100.000 | |
Zivilisten. Ihre Lage scheint unbeschreiblich: Ein Friedhof in Ost-Aleppo | |
ist inzwischen so überfüllt, dass die Leichen in Hinterhöfen oder bei | |
Moscheen begraben werden. Das überforderte Leichenhaus nimmt keine Toten | |
mehr auf. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis die Stadt, je nach | |
Perspektive, erobert oder gefallen ist. | |
Die syrische Regierung und dessen Verbündeter Russland drohen allen, die in | |
dem Rebellen-Teil noch ausharren, unumwunden: „Jene, die sich weigern, | |
freiwillig zu gehen, werden ausgelöscht“, warnte der russische | |
Außenminister Sergei Lawrow in Moskau. Es gebe keine andere Lösung. | |
Bisher hatten die Rebellen alle Aufrufe, die Stadt aufzugeben, ignoriert. | |
Jetzt schlagen sie einen sofortigen fünftägigen Waffenstillstand vor: | |
Danach sollen, von der UNO überwacht, ungefähr 500 Schwerverletzte | |
evakuiert werden. Dann soll den Zivilisten erlaubt werden, Ost-Aleppo in | |
Richtung der noch von den Rebellen kontrollierten Gebiete nördlich der | |
Stadt verlassen. | |
## Territoriales Kronjuwel verloren | |
„Zivilisten sollten entweder geschützt oder in ein sicheres Gebiet | |
evakuiert werden, wo sie unabhängig von der Gnade Assads und seiner | |
Schergen sind“, heißt es in der Erklärung der Rebellen. Wenn die humanitäre | |
Krise gelöst ist, dann sollten die kämpfenden Parteien, so heißt es dort, | |
über die Zukunft Ost-Aleppos verhandeln. | |
Doch dann gibt es für sie wohl nichts mehr zu verhandeln. | |
Die unausweichlich scheinende Niederlage der Rebellen in Aleppo wird für | |
sie einschneidende Folgen haben: Nicht nur haben sie damit ihr | |
territoriales Kronjuwel verloren. Es wird für sie schwer sein, aus den für | |
sie verbliebenen Gebieten heraus das Ruder militärisch noch einmal | |
herumzureißen. | |
Baschar al-Assads Rechnung ist aufgegangen: Je länger und brutaler der | |
Bürgerkrieg ist, desto mehr radikalisieren sich die Seiten der Rebellen, | |
zumal sich viele von ihnen vom Westen im Stich gelassen fühlen. | |
Damit scheint der syrische Machthaber der Einzige zu sein, der durch einen | |
Sieg den Bürgerkrieg beenden und die Lage in Syrien normalisieren könnte. | |
Das ist aber eine trügerische Hoffnung. Auch wenn Assad immer wieder | |
moniert, dass die Rebellen vom Ausland unterstützt werden; auch wenn er | |
sich als wahrer Patriot darstellt: Diejenigen, die ihn an der Macht halten, | |
sind mindestens so zusammengewürfelt und ausländisch beeinflusst wie die | |
Rebellen. | |
## Souveränität als Schimäre | |
Assads „reguläre Truppen“ sind schon lange zu wenige und zu schwach. Das | |
Gros seiner Kampfkraft besteht aus libanesischen Hisbollah-Kämpfern, | |
iranischen und irakischen schiitischen Milizen und massiver russischer | |
Unterstützung zu Luft und zu Land. | |
Die Souveränität Syriens ist ein Schimäre. Niemand weiß, wie das Regime von | |
Baschar al-Assad das Land „normalisieren“ will, wenn die Rebellen besiegt | |
sind. Zumal diese sich bei jedem Gebietsverlust immer auf eine | |
Guerilla-Taktik verlegen dürften. Denn die politischen Konflikte bleiben | |
ungelöst. | |
Jene Syrier, die noch zu ihm stehen, hoffen, dass Assad es ihnen | |
ermöglicht, nach dem Sieg ein normales und friedliches Leben führen zu | |
können. Ein Teil der Bevölkerung sieht ihn als Garanten für etwas, das sie | |
kennen. | |
## Unmögliche Normalität | |
Die Rebellen hingegen symbolisieren die Unsicherheit und das Ungewisse; am | |
Ende sind sie daran gescheitert, sich nicht als vernünftige Alternative zu | |
dem Regime darstellen zu können – nicht in Teilen Syriens und nicht | |
international. | |
Doch mit jedem militärischen Sieg des Assad-Regimes steht dieses mehr in | |
der Pflicht, Normalität und die gewünschte Sicherheit zu schaffen. Doch das | |
ist angesichts der politischen Gegensätze in dem zerrissenen Land ein Ding | |
der Unmöglichkeit – zumal die regionalen Konflikte, die ebenfalls | |
dahinterstehen, nicht an destruktiver Kraft verloren haben. | |
Was verlangt der Iran für seine Unterstützung Assads? Werden die Türkei und | |
Saudi-Arabien die militärische Schlappe der von ihnen unterstützen Rebellen | |
einfach hinnehmen? Der Ausgang der Schlacht um Aleppo ist ohne Zweifel ein | |
wichtiger Meilenstein im syrischen Bürgerkrieg. Aber eine bevorstehende | |
militärische Niederlage der Rebellen bringt nicht automatisch den | |
politischen Triumph des Regimes. | |
7 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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