# taz.de -- Postfaktisch, das war gestern: Die Linken halluzinierten die Wahrhe… | |
> Fake-News sind keine Erfindung des Trump-Lagers. Im Gegenteil. Mit | |
> gefakten Fakten wurden schon linke Revolutionen gewonnen und verloren. | |
Bild: Für die einen gelten Fakten, für die anderen gilt Ficken | |
Bis in die Achtzigerjahre haben wir Linke in einer Art schwarzen Aufklärung | |
noch rational um das Postfaktische gerungen. Härte und Gefühl sozusagen. | |
Ersteres wurde deduktiv eingesetzt – in Form einer grundsätzlichen | |
Gesellschaftskritik, um sodann letzteres, die gefühlten Fakten, der eigenen | |
Weltsicht unterzuordnen. Das war das Postfaktische an den Tatsachen. Auf | |
einem taz-Plenum Mitte der Achtzigerjahre sagte ein Redakteur wütend: „Wir | |
brauchen keine Tatsachen, sondern Fakten!“ | |
Man findet den Ursprung dieses nur vordergründig dummen Gedankens im | |
sowjetischen Begriff der „Sabotage“. Ich greife zur Erklärung noch einmal | |
auf ein taz-Beispiel zurück (die taz als letzter Rest DDR): Als zum zehnten | |
Mal die Frauentoilette im ersten Stock des Redaktionsgebäudes verstopft | |
war, meinte eine Kollegin aus dem Vorstand der taz: „Ich bin sicher, das | |
ist Sabotage.“ | |
Als taz-Aushilfshausmeister, der normalerweise die Frauentoilette entstopft | |
(und nicht einmal ungerne – man hat dabei schnell ein Erfolgserlebnis – | |
durch Wiederherstellung der Liquidität), gab ich zu bedenken, dass man ja | |
bei den tazlerinnen keine „peinliche Befragung“ mehr durchführen dürfe, | |
leider, und außerdem: Bei wem damit anfangen – bei dem hohen Frauenanteil | |
in der taz? | |
Wir einigten uns darauf, dass es sich um „objektive Sabotage“ handeln | |
würde. Nur der stinkbürgerlichen Justiz würde es um subjektive Sabotage | |
gehen, indem sie versucht, den oder die Schuldige(n) zu finden und zu | |
bestrafen. | |
In der revolutionären Sowjetunion war man da weiter – postfaktisch: Indem | |
das Unterbrechen eines industriellen Fließprozesses zum Beispiel untersucht | |
und gegebenenfalls als Sabotage charakterisiert wurde, war dort bereits der | |
Ursachenforschung Genüge getan. Und das darauf folgende Erschießen von | |
Schuldigen beziehungsweise Unschuldigen, zum Beispiel aus den Reihen der | |
technischen Intelligenz, quasi Nebensache. | |
So wie man ja auch beim Liquidieren der Kapitalisten oder Kulaken als | |
Klasse nicht untersucht hat, ob vielleicht ein guter Kapitalist oder Kulak | |
da drunter ist, der deswegen weitermachen darf. Sie sind allesamt objektiv | |
Feinde der angestrebten klassenlosen Gesellschaft. Man kann deswegen sagen: | |
Das Postfaktische ist ein Vorgriff auf den Kommunismus. | |
## Verlust der Deutungsmacht | |
Während die Reste der Sowjetunion nun aber zum Faktischen zurückfinden, | |
wenn auch schweren Herzens, haben die Amis gerade voller Freude das | |
Postfaktische für sich entdeckt: Die bürgerlichen Medien Washington Post | |
und New York Times listeten unter Berufung auf „zwei Teams unabhängiger | |
Forscher“ 200 Internet-Foren, -blogs und -plattformen auf, von links bis | |
rechts, die mit „Fake News“ die Präsidentschaftswahl manipuliert hätten. … | |
sei wissenschaftlich erwiesen, dass dahinter Putin mit seiner russischen | |
Propagandamaschine stehe. | |
Dieser Schwachsinn verdankt sich jedoch keinem revolutionären Schwung, auch | |
keinem klassenanalytischen Vorgehen, sondern schnödester Kapitalistenangst: | |
Mit dem Internet verlieren ihre Printmedien sowohl Abonnenten ohne Ende als | |
auch Anzeigen sonder Zahl – und damit auch die Deutungsmacht. | |
Zu unserer linken publizistischen Praxis des Postfaktischen in den | |
Siebziger- und Achtzigerjahren gehörten im übrigen die Fake News unbedingt | |
dazu. Ja recht eigentlich bezeichnete beides ein und dasselbe: Die Wahrheit | |
halluzinieren, nannten wir das damals, andere sprachen vornehm von | |
„intellectual guess“. In der taz-Redaktion hing einst groß der Spruch: „… | |
recherchiert, ist nur zu blöd zum Schreiben.“ Mit dieser Methode spart man | |
viel Geld (Reisekosten etc.), braucht – als „Gonzo-Journalist“ – höchs… | |
ein bisschen Rauschgift, und zum Anderen macht es einen sicherer in der | |
Einschätzung, dass man eh schon alles weiß – und es nur noch darauf | |
ankommt, sich zu trauen, es auch zu veröffentlichen. Und sehr oft stimmte | |
das so Halluzinierte dann auch. | |
## Wir brauchen böse Blicke | |
Das Postfaktische, die Fake News gehören eindeutig in die große Tradition | |
der deutschen spekulativen Philosophie, die bloß von den Amerikanern gering | |
geschätzt und deswegen von den hiesigen Atlantikbrücken-Arschkriechern | |
bekämpft wird. Als Eleven der „Frankfurter Schule“ wissen wir zudem, dass | |
man zum klaren Denken den „bösen Blick“ braucht – sonst ist man in diesem | |
Schweinesystem verloren, wie Theodor Adorno meinte. | |
Sogar der Spiegel ließ sich im Zuge der Studentenbewegung ein bisschen auf | |
diesen „Blick“ – das „Postfaktische“ – ein. Aber dann kam Helmut Ma… | |
mit seinem reaktionären Konkurrenzblatt Focus und bewarb es mit den Worten: | |
„Fakten, Fakten, Fakten. Und immer an die Leser denken.“ Daraus machte die | |
Titanic dann „Ficken, Ficken, Ficken, und nicht mehr an den Leser denken.“ | |
Markwort klagte wegen Postfaktizität. Und verlor. | |
3 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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