# taz.de -- Kommentar Völkermord in Ruanda: Beim „Sorry“ darf es nicht ble… | |
> Ruandas katholische Kirche entschuldigt sich für die Mittäterschaft ihrer | |
> Angehörigen beim Völkermord 1994. Das kann nur der Anfang sein. | |
Bild: Dem Morden entkommen: ruandische Flüchtlinge in Tansania, im Mai 1994 | |
Völkermorde sind von ihrem Wesen nach unfassbar, sie entziehen sich dem | |
normalen menschlichen Verständnis. Der Massenmord an bis zu einer Million | |
Menschen in Ruanda im Jahr 1994 ist von seiner Dimension her kaum | |
nachvollziehbar. Aber um zu begreifen, was diejenigen motiviert hat, die | |
das Töten organisierten, befehligten und ausführten, spielt es keine Rolle, | |
wie viele Menschen insgesamt starben. Aufarbeitung bedeutet, das den | |
Massakern zugrundeliegende Gedankengut ernst zu nehmen und zu analysieren. | |
Die katholische Kirche in Ruanda war eine zentrale Säule des Gedankenguts, | |
das den Völkermord erst möglich gemacht hat. Kurz gefasst geht es dabei um | |
die Überzeugung, wonach die Tutsi in Ruanda eine einst von außen | |
eingedrungene ethnische Eroberer-Minderheit seien und Ruanda als Land der | |
Hutu erst dann zum Frieden und zum Glück finden könne, wenn dort keine | |
Tutsi mehr leben. | |
Diese menschenverachtende Weltsicht ohne jede historische Grundlage, die | |
Ruanda spaltete und den Hass Wurzeln schlagen ließ, gehört zum düsteren | |
Erbe des kolonialen Rassendenkens, das christliche Missionare aus Europa | |
als Vorhut der imperialen Eroberung nach Afrika trugen und dort zum | |
Bildungskanon erhoben. | |
In keinem Land Afrikas wurde während der Kolonialzeit die katholische | |
Kirche stärker als in Ruanda. Diese Stärke wirkte weit in die Zeit der | |
Unabhängigkeit hinein – als der neue Staat von jenen geprägt wurde, die als | |
junge Hutu ihre intellektuelle Prägung und ihr Weltbild in Kirchenschulen | |
und Priesterseminaren erhalten hatten. | |
Es gibt zwar einen großen Unterschied zwischen der Überzeugung, die Tutsi | |
hätten in Ruanda nichts zu suchen, und der Bereitschaft, Tutsi zu Tausenden | |
abzuschlachten. Aber ohne diese Überzeugung hätte es auch diese | |
Bereitschaft zur Gewalt nie gegeben. Die Kirche hätte außerdem ihre | |
moralische Autorität dagegen einsetzen können. Aber sie tat es nicht. | |
## Kirchentore offen für die Mörder | |
Als am Abend des 6. April 1994 die organisierte Jagd auf Tutsi in Ruanda | |
begann, die innerhalb von rund zwei Wochen das gesamte Land ergreifen | |
sollte, waren die großen Kirchengebäude Ruandas natürliche Zufluchtsorte | |
für verängstigte Menschen. Sie erhofften sich Schutz vor den Mordmilizen. | |
Stattdessen öffneten viele Priester den Mördern die Kirchentore. Manche | |
beteiligten sich sogar selbst am Töten. | |
Diese Mitschuld hat die katholische Weltkirche lange Zeit nicht sehen | |
wollen. Sie tat sich sogar schwer damit anzuerkennen, dass es in Ruanda | |
überhaupt einen Völkermord an den Tutsi gegeben hat, und gewährte in ihren | |
Publikationen und Einrichtungen den Leugnern und Hetzern jahrelang Raum. | |
Ein rigider Katholizismus prägt bis heute die letzten noch bewaffneten | |
ruandischen Völkermordtäter, die in den Wäldern der Demokratischen Republik | |
Kongo unter dem Namen „Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR) | |
Angst und Schrecken verbreiten. Ihr Führer, der mittlerweile in Deutschland | |
inhaftierte [1][Ignace Murwanashyaka], berief sich in seinen Botschaften an | |
seine Truppen ständig auf die Heilige Maria, das Gebet und die religiöse | |
Disziplin. Noch zum [2][Abschluss seines Prozesses in Stuttgart] vor gut | |
einem Jahr verglich er seine Richter mit Pontius Pilatus, der Jesus ans | |
Kreuz nageln ließ, und rezitierte Psalmverse. | |
Angesichts all dessen ist die jetzt erfolgte [3][Entschuldigung der | |
katholischen Bischofskonferenz Ruandas] für ihre Rolle 1994 mehr als | |
überfällig. Dennoch bleiben Fragen offen. Das Mitwirken von Katholiken am | |
Völkermord wird nach wie vor als Verfehlung des Einzelnen dargestellt. Aber | |
die Täter sahen ihre Taten als Erfüllung ihres Glaubens. | |
Diesem Problem stellt sich die Kirche genausowenig wie ihrer mächtigen | |
politischen Rolle in Ruanda bis 1994. Sollte die Kirche meinen, mit ihrer | |
Erklärung einen Schlussstrich gezogen zu haben, irrt sie sich. Sie ist kein | |
Schlussstrich, sondern der Anfang einer überfälligen Diskussion. | |
22 Nov 2016 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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entschuldigt. |