# taz.de -- Holocaust-Überlebende über Populismus: „Es hat keinen Zweck zu … | |
> Die Erfolge der Rechtspopulisten zeigen, dass nicht viel aus dem Aufstieg | |
> der Nazis gelernt wurde. Renate Lasker-Harpprecht bleibt trotzdem | |
> optimistisch. | |
Bild: Renate Lasker-Harpprecht im Berliner Hotel Savoy | |
taz: Frau Lasker-Harpprecht, Sie haben schon ausführlich über Ihr Überleben | |
in Auschwitz berichtet. Gibt es etwas, worüber Sie sprechen wollen, | |
vielleicht einen Aspekt, der immer zu kurz gekommen ist? | |
Renate Lasker-Harpprecht: Das Einzige, worüber ich nicht reden möchte, ist | |
Mr Trump. | |
Warum nicht? | |
Weil das ein unerfreuliches Thema ist. Wissen Sie, wenn man eine der | |
wenigen Überlebenden von Auschwitz ist und ein wirklich biblisches Alter | |
erreicht hat, dann lässt man sich ausfragen – aber bei manchem sagt man | |
sich dann auch: Das will ich jetzt nicht mehr hören. | |
Gibt es etwas, was bei Interviews mit Ihnen gar nicht abgefragt wird? | |
Nun, die Leute können sich – sie sind ja meist ein halbes Jahrhundert | |
jünger als ich – aus völlig verständlichen Gründen überhaupt nicht | |
vorstellen, was Auschwitz war. Und auf der anderen Seite gibt es viele | |
Leute, die überhaupt nichts mehr davon hören wollen. Aber ich sage mir: | |
Damit muss man leben – nicht um zu überleben, sondern um zu versuchen, den | |
Rest des Lebens einigermaßen anständig zu verbringen. Auschwitz ist ein | |
Kapitel für sich. Sie können sich nicht vorstellen, was da war – und das | |
kann ich auch nicht von ihnen erwarten. | |
Was kann man erwarten? | |
Wenn man mich fragt – das finde ich eine ausgesprochen blöde Frage –, wie | |
können Sie denn überhaupt noch mit einem Deutschen sprechen? Meine | |
Schwester hatte sich geschworen, keinen Fuß mehr nach Deutschland zu | |
setzen. Aber diesen Schwur hat sie Gott sei Dank gebrochen. Und sie hat | |
gemerkt, dass inzwischen zwei, wenn nicht drei Generationen gelebt haben, | |
die erst nach Auschwitz auf die Welt gekommen sind. | |
Sie waren sogar mit einem Deutschen verheiratet... | |
Na, das kommt erschwerend hinzu. (lacht) Aber das muss ich jetzt aus Pietät | |
sagen, dass ich in erster Ehe mit einem – auch nichtjüdischen – Franzosen | |
verheiratet war. Und das war etwas akzeptabler. Aber ich war ja viele Jahre | |
mit einem Deutschen verheiratet … | |
… mit Klaus Harpprecht … | |
… der vor einigen Wochen leider gestorben ist. Deshalb war es für mich eine | |
gewisse Überwindung, hierher zu kommen. | |
Ihr Mann war ein großer Journalist, Redenschreiber und Freund Willy | |
Brandts. | |
Als er starb, dachte ich mir, vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn ich | |
nach Deutschland fahre und mir einen ganz anderen Wind, allerdings einen | |
sehr, sehr kalten, um die Nase wehen lasse. Wenn mich jemand fragt, wie | |
kann man überhaupt noch leben nach einer solchen Zeit, dann sage ich: | |
Entweder man kann es oder man kann es nicht. Einer der Gründe, weshalb ich | |
in relativ guter Verfassung so viele Jahre überlebt habe, ist, dass mein | |
Zugang zu dieser ganzen Frage lässig ist. Fragt mich nicht, wie Auschwitz | |
war! Soll ich sagen, es war beschissen? Nein. Aber man muss damit leben. | |
Ich meine, es hat keinen Zweck zu jammern. Es ist vorbei. | |
Manche Überlebende sagen ja: Ich bin aus Auschwitz nie heraus gekommen. Das | |
ist bei Ihnen nicht der Fall? | |
Wenn ich mich recht erinnere, hat das meine Schwester gesagt. Ich sage das | |
nicht, denn das würde ja bedeuten, dass ich nur an schreckliche Dinge | |
denke. | |
Martin Walser hat mal geschrieben, seit Auschwitz sei noch kein Tag | |
vergangen. Kommt Ihnen das auch so vor? | |
Ich kann darauf nicht sachlich antworten, weil ich keine Freundin von | |
Martin Walser bin. Ich finde, jemand, der nicht in Auschwitz war, soll auch | |
nicht über Auschwitz sprechen. Er soll Fragen stellen, wenn es ihn | |
interessiert. Ich war mit meinem Mann beinahe 60 Jahre verheiratet. Wir | |
haben nie über Auschwitz gesprochen – nur wenn ich mal irgendwann das | |
Bedürfnis hatte, etwas zu erzählen. Aber von sich aus hat er nie ein | |
Gespräch über Auschwitz angefangen. Niemals. Weil es für ihn eigentlich | |
unerträglich war. | |
Sie haben gesagt, Sie wollten nicht über Donald Trump reden. Aber ich würde | |
dennoch gern wissen, wie Sie diesen Rechtspopulismus, der auch in Europa | |
immer mehr Anhänger findet, einschätzen. Manche sagen ja, das, was da | |
entsteht, sei ist fast so wie in den 30er Jahren … | |
Es gibt gewisse Ähnlichkeiten, obwohl ich in den 30er Jahren ja noch ein | |
Kleinkind war. Aber ich erinnere mich, als ich anfing, in die Schule zu | |
gehen, wie sich langsam, aber sehr sicher dieser Nazismus in Familien | |
breitgemacht hat. Und der hat ja, wie man weiß, in rapider Weise zugenommen | |
– da gibt es schon eine gewisse Ähnlichkeit. | |
Können Sie sich vorstellen, dass der Rechtspopulismus, den wir erleben, | |
sich am Ende wieder gegen Juden richtet? | |
Ich bin von Hause aus, wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, eine | |
Optimistin. Ich bin auf der anderen Seite froh, dass ich keine Kinder habe, | |
die einer wahnsinnigen Zukunft entgegengehen. Vielleicht wird es fabelhaft, | |
das weiß man nicht, aber wenn es so weitergeht, wie es im Augenblick läuft, | |
kann es ganz schrecklich ausgehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mr | |
Trump, über den ich eigentlich nicht reden wollte (lacht) … | |
Ich finde es gut, dass Sie es trotzdem machen … | |
… ein Vollidiot ist. Das ist ein total ungebildeter Mann. Aber er ist ein | |
Milliardär. Seine Vorfahren kamen aus Deutschland. | |
Ja, aus der Pfalz. | |
Ja, und die Familie hieß: Trump. Vielleicht sind wir ja schon zu lange aus | |
den USA zurück, um uns wirklich zu erinnern, wie Wahlkämpfe normalerweise | |
geführt werden. Aber so einen dreckigen Wahlkampf wie diesen hat niemand | |
jemals gesehen. | |
Sie haben Angst, dass Trump völlig unqualifiziert ist und es einfach nicht | |
kann? | |
Ich halte ihn für total unqualifiziert. Er hat keine Ahnung. Aber er ist | |
mehrfacher Milliardär, da kann man nicht ganz blöd sein. | |
Er hat gesagt: Belgium is a beautiful city … | |
Ja, solche Sachen. Aber ich habe ihn nicht so oft gehört – mir ist einfach | |
schlecht geworden. | |
Haben Sie auch den Eindruck, dass die Demokratie nicht mehr so leuchtet wie | |
früher? | |
Ihr ist ein ständiger Schaden zugefügt worden. Wenn Sie sich die Visage von | |
diesem schrecklichen Kerl angeschaut haben! Das sind ja widerwärtige | |
Grimassen gewesen, nicht? Da fragt sich ein einfacher Mensch, von denen es | |
viele gibt: Von dem soll ich mich jetzt beherrschen lassen? Das geht doch | |
gar nicht! Aber er, wenigstens, baut Mauern, sagt, dass alle Leute, die | |
eine dunkle Haut und kräuselige Haare haben, sowieso Verbrecher und | |
Vergewaltiger sind. | |
Auch die europäische Idee hat an Glanz verloren. Hat das gemeinsame | |
Wurzeln, das zunehmende Misstrauen gegenüber dem demokratischen Prozess und | |
die Verachtung Europas? | |
Ich weiß es nicht. Aber wenn mein Mann das erlebt hätte, was mit Europa | |
passiert, wäre er noch verzweifelter gewesen. | |
Den Brexit hat er noch erlebt … | |
Ja, und auch den Aufstieg von diesen Ultrarechten – wie heißt noch die | |
Partei in Deutschland? | |
AfD. | |
Das haben wir auch damals nicht so ernst genommen. | |
Sie meinen die NSDAP? | |
Die NSDAP, die SA und das alles hatte ja einen solchen Typ an Ordinärheit, | |
auch durch ihre – ich will mich jetzt nicht zu unfein ausdrücken – braune | |
Uniform. | |
Was den Aufstieg der Rechtspopulisten angeht: Zeigt der nicht, dass wir, | |
die heutige Generation, gar nichts aus Auschwitz gelernt haben? | |
Offensichtlich nicht. Denn es gibt ja in Frankreich Parallel-Parteien. Die | |
Erste, die Mr Trump gratuliert hat, war Madame Le Pen – und dann kam Putin | |
als nächstes. (lacht) | |
Kann man überhaupt irgendetwas lernen aus Auschwitz? | |
Man könnte vieles lernen – aber ich weiß nicht, ob man es tut. | |
Manche sprechen vom „postfaktischen Zeitalter“, in dem die Leute sich nicht | |
mehr für Fakten interessieren. Trump wurde nachgewiesen, dass er alle drei | |
Minuten gelogen hat – trotzdem wurde er gewählt. Ist das das Ende der | |
Aufklärung? | |
Ich habe mal einen Franzosen, als gerade viel Unsinn geredet wurde, sehr | |
schockiert mit meinem Satz: Du bist dir nicht im Klaren, dass 80 Prozent | |
der Menschen dumm sind. Sie sind nicht ordentlich in die Schule gegangen, | |
sie haben keine Ahnung von Geschichte, und wenn sie etwas hören, was | |
angenehm in ihren Ohren klingt, wie: Bringt sie um! Hängt sie auf! Alle | |
Juden sind Volksverräter! Kauft nicht beim Juden! – Das merken sie sich | |
schnell und finden das eigentlich völlig in Ordnung. Es ist Dummheit und | |
totale – das klingt natürlich wahnsinnig snobistisch – Unwissenheit und | |
Ungebildetheit. Und das wiederum ist die Schuld von Eltern. | |
Glauben Sie trotzdem noch an so etwas wie Aufklärung? | |
Ich glaube und ich hoffe. Aber ich bin nicht so wahnsinnig optimistisch. | |
Mein Optimismus zeigt sich darin, dass ich, obwohl ich jüngst verwitwet | |
bin, das Leben immer noch genieße. Und es auch liebe, das Leben – so wie es | |
mein Mann auch geliebt hat. | |
Was genießen Sie denn? | |
Nun, ich lebe in einer göttlichen Gegend von Frankreich, wo es warm ist und | |
viel die Sonne scheint, wo die Leute vergnügt sind und guten Wein trinken – | |
ein ganz normales, ordinäres, schönes Leben. Das genieße ich. | |
Und diesen Optimismus haben Sie sich bewahrt über den Tod Ihres Mannes | |
hinaus? | |
In Grenzen. Es ist ja erst kurz her. Aber ich bin ganz sicher, dass ich | |
hier nie mit einem langen Gesicht herumlaufen werde. Und wenn ich in | |
Frankreich auf die Straße gehe und einkaufe, wo ich die einzige Jüdin bin – | |
nicht deshalb bin ich denen sympathisch, aber die kennen mich einfach alle, | |
die umarmen einen alle und sagen: Nur Mut! Nur Mut! Ich sage: Mach dir | |
keine Sorgen, Renata schafft’s schon! (lacht) | |
Es gibt viele Leute, die den Holocaust überlebt haben und nicht mehr | |
glauben konnten. Wie ist das bei Ihnen? | |
Ich glaube noch. Ich meine, ich bin völlig unfromm erzogen worden. Meine | |
Eltern und auch wir Töchter sind zweimal im Jahr in die Synagoge gegangen, | |
einmal zu Neujahr und dann zu Jom Kippur. Ich bin hingegangen, weil ich – | |
da durfte man ja auch nicht essen – im Hof jüdische Jungen getroffen habe, | |
die sich auch in der Synagoge etwas gelangweilt haben. Und mit denen hat | |
man dann rumgealbert. Aber in schweren Zeiten habe ich gebetet. Und es hat | |
mir geholfen. | |
Und der Glaube ist Ihnen nicht verloren gegangen? | |
Nein. Sonst säße ich nicht hier. | |
Aber wie kann Gott sechs Millionen tote Juden zulassen? | |
Das fragt auch meine Schwester. | |
Haben Sie eine Antwort? | |
Nein, aber Tatsachen: Ich sitze hier in einem feinen Hotel. | |
Und deshalb glauben Sie noch? | |
Nicht, weil ich in einem feinen Hotel sitze. (lacht) | |
24 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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