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# taz.de -- Claus Leggewie über die US-Wahl: „Morgenluft für Ideologen“
> Der Politikwissenschaftler analysiert Trumps völkisch-autoritären
> Nationalismus. Er warnt vor einem amerikanisch-russischen
> Schulterschluss.
Bild: Ende der Party: nach dem Wahlabend in New York
taz: Herr Leggewie, ist die Wahl von Trump das Ende des Westens, wie wir
ihn bisher kennen?
Claus Leggewie: Zumindest könnte sich der Westen sehr stark verändern – und
zwar sicherlich nicht zum Positiven. Donald Trump hat angekündigt, die
westlichen Militär- und politischen Bündnisse zu lockern. Er hat Avancen in
Richtung Russland geäußert, er verfolgt eine klar nationalistische Politik.
Das sind alles keine guten Aussichten für eine transatlantische
Partnerschaft, die schon zuletzt nicht mehr im besten Zustand war. Außerdem
wird er den Klimavertrag und den Atomdeal mit dem Iran zerreißen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute davon gesprochen, dass die USA und
Deutschland gemeinsame Werte mit den USA teilen. Trifft das nach der
Trump-Wahl noch zu?
Sicher. Ich bin gerade zwei Wochen durch die USA gereist und habe dort sehr
viel gemeinsame Werte festgestellt, nirgendwo ist die Ablehnung von Trump
so pointiert wie in den USA selbst. Zu der Abwehr eines
völkisch-autoritären Nationalismus hat sich immerhin die Hälfte der
Amerikaner bekannt.
Aber die andere Hälfte hat Trump gewählt. Kann die Bundesregierung noch
eine gemeinsame Arbeitsgrundlage mit seiner Regierung finden?
Das ist jetzt die Aufgabe der Diplomatie. Das scheint sehr schwierig im
Moment, aber natürlich muss man es versuchen. Wir haben es hier mit der
immer noch größten Militärmacht der Welt zu tun. Wir haben es auch mit
einem Land zu tun, das immer noch für die Sicherheit Deutschlands in Europa
sorgt. Also darf man jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und so
tun, als wären die USA bereits in dem Zustand, in dem beispielsweise die
Türkei oder Russland sind.
Wenn Sie an die deutsch-amerikanische Beziehung zurückdenken: Gab es schon
mal eine ähnlich schwierige Phase?
Es gab eigentlich unter allen Präsidentschaften Konflikte. Schon der
Kennedy-Besuch in Berlin kam in einer Situation zustande, in der die
Entfremdung eher zugenommen hatte. Der Besuch war ja eine Art Placebo
dafür, dass die USA die deutsche Teilung akzeptierten. Und Kennedy war
Demokrat. Und natürlich gab es auch einen großen Dissens unter Rot-Grün
bezüglich der Intervention im Irak. Die NSA-Affäre ist ja immer noch
virulent.
Ihre Analyse hört sich sehr rational an. Haben Sie nicht heute Morgen
gedacht: Die 20er und 30er Jahre sind zurück?
Ja. Trump repräsentiert ja nicht eine bestimmte Tradition des
amerikanischen Konservatismus. Weder die libertär-wirtschaftsfreundliche
noch eben die sozial-konservative, also Familienwerte, Bedeutung der
Religion. Das sind Mobilisierungen gewesen, die ihm zupassgekommen sind,
aber das ist nicht seine eigene Weltanschauung. Die ist ein
völkisch-autoritärer Nationalismus, der an den europäischen autoritären
Nationalismus der Zwischenkriegszeit erinnert. Es ist genau die Gefahr,
dass mit der Wahl von Trump Ideologen allerorten Morgenluft wittern und
dass es insbesondere einen Schulterschluss zwischen Moskau und Washington
geben könnte. Der wäre für Europa verhängnisvoll.
Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Ich habe es fast kommen gesehen. Die Anti-Globalisierungs-Rhetorik und
Trump und auch Sanders haben in diese Richtung gedeutet, dass die Karten
neu gemischt werden sollen. Aber dann habe ich meiner eigenen Analyse
misstraut und gedacht, es wird noch mal irgendwie gut gehen. Das zeigt, wie
falsch wir im linksliberalen Milieu die Dinge einschätzen. Dass wir
unterschätzen, wie stark die Entfremdung insbesondere von Menschen aus der
Arbeiterschicht in Europa und den USA vom politischen System und auch von
dessen normativen Grundlagen geworden ist.
Was haben wir Linksliberalen falsch gemacht, dass es so weit gekommen ist?
Ich möchte mich nicht in dem Masochismus suhlen, dass die Linken am
Wahlsieg Trumps schuld seien. Aber wenn Arbeiter für Trump, Le Pen, Strache
oder die AfD stimmen, muss man deutlich machen, dass es sich um eine Art
von verschobenem Klassenkampf handelt. Für die Verwerfungen, die eine
turbokapitalistische Entwicklung gebracht hat, werden nicht deren
Nutznießer verantwortlich gemacht, sondern die Fremden.
Trump hat angekündigt, Deutschland müsse einen stärkeren Beitrag zum
Nato-Haushalt leisten. Und andererseits hat er bei den Ländern im Baltikum
offengelassen, ob die Nato sie wirklich verteidigen würde. Muss Deutschland
sich stärker beteiligen?
Die deutsche Diplomatie wird sicher ihre Tradition des friedlichen
Interessenausgleichs weiter betreiben. Die Forderung nach stärkeren
deutschen Militärausgaben wäre übrigens auch von Hillary Clinton gekommen.
Die Gefahr bei Trump ist, dass er die Nato grundlegend in Frage stellt und
im Baltikum die alten Satelliten der Sowjetunion ihrem Schicksal überlässt.
Ist es uns wert, dass wir uns dann für die Balten einzusetzen? Oder sagen
wir: Wir werden auf keinen Fall für Riga sterben.
Sollen wir denn für Riga sterben?
Das ist nicht die Alternative. Ich bin nicht dafür, kämpferische Parolen
auszugeben. Aber Hillary Clinton hätte die baltischen Staaten vor einer
russischen Erpressungspolitik in Schutz genommen. Estland, Lettland und
Litauen sind jetzt in der Zwickmühle. Wenn Trump mit seiner Ankündigung
Ernst macht, können wir ihnen nicht sagen: Pech gehabt. Die Balten sind
Mitglieder der EU. Schon heute leiden sie unter permanenten Cyberattacken
seitens Russlands. Wir müssen klar machen, dass wir das nicht hinnehmen
werden.
10 Nov 2016
## AUTOREN
Martin Reeh
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