# taz.de -- Heterosexuelle Homo-Ehe in Italien: All you need is Pragmatismus | |
> In Italien wollen zwei Männer heiraten. Schwul sind sie nicht. Sie haben | |
> andere Gründe, vor allem finanzielle – und bringen einiges durcheinander. | |
Bild: Gegen gleichgeschlechtliche Ehe: Familiy Day in Rom Anfang des Jahres | |
ROM taz | Eigentlich wäre das auch in Italien keine Nachricht mehr: Zwei | |
Männer wollen heiraten, am nächsten Samstag, im am Fuße der Alpen gelegenen | |
Kleinstädtchen Schio. Schließlich ist in Italien die Homo-Ehe seit Mai | |
dieses Jahres gesetzlich möglich, und seitdem sieht man von Bozen bis | |
Palermo immer wieder lesbische oder schwule Paare, die einander auf den | |
Rathäusern ihr Jawort geben. | |
Dennoch haben es Gianni Bertoncini und Piero Principe in die Medien | |
geschafft – aus dem einfachen Grund: Die beiden, die da die Homo-Ehe | |
schließen wollen, sind bekennende Heteros. „Gute Freunde“ seien sie, mehr | |
nicht, auf jeden Fall „kein Paar, sondern eher wie Brüder“, erklärten sie | |
im Interview. Zudem lebten sie seit 2005 unter einem Dach, „jeder mit | |
seinem eigenen Bereich“, aber das war es auch schon. Der 56-jährige | |
Jazzmusiker Bertoncini und der 70-jährige Principe sind wild entschlossen | |
zu heiraten, aus ganz praktischen Erwägungen. | |
Als allererstes Beispiel fallen dem Jazz-Schlagzeuger ausgerechnet die | |
Rundfunkgebühren ein. Bisher mussten beide zahlen, damit ist in Zukunft | |
Schluss, macht 100 Euro Ersparnis pro Jahr. Und dann wären da noch die | |
gegenseitigen Ansprüche auf Hinterbliebenenrente, von denen Bertoncini | |
allerdings erst auf Nachfrage redet. „Das Gesetz eröffnet nun mal diese | |
Möglichkeit“, erklärt er lapidar, „angesichts unserer von gegenseitigem | |
Respekt und gegenseitiger Hilfe geprägten Beziehung sehe ich nicht, wieso | |
wir darauf verzichten sollten.“ | |
Mit solchem Pragmatismus brachten es die beiden zum ersten | |
gleichgeschlechtlichen Paar, das jetzt in Schio getraut wird, nicht vom | |
Bürgermeister allerdings. Der hat es abgelehnt, die Zeremonie | |
durchzuführen, nicht etwa weil er Gesetzesmissbrauch fürchtet, sondern weil | |
er gegen die Homo-Ehe ist – auch für Heterosexuelle. | |
Ein wenig anders positioniert sich Aurelio Mancuso, einer der bekanntesten | |
Gay-Aktivisten des Landes und Chef der Organisation Equitalia. „Legal und | |
legitim“ sei die Entscheidung von Gianni und Piero, schickt er voraus, doch | |
dann poltert er, die beiden seien „Schlitzohren“, die „unter moralischen | |
Gesichtspunkten einen Betrug“ begingen. Ist Mancuso da so sicher? | |
Schließlich unterscheidet sich die Homo- von der klassischen Ehe in Italien | |
in zwei entscheidenden Punkten. Das Recht auf Adoption bleibt verpartnerten | |
Homosexuellen vorenthalten. Im Gegenzug sieht das Gesetz für sie wiederum | |
nicht die „Pflicht zur ehelichen Treue“ vor. | |
Ihr Eheversprechen können die beiden also nicht brechen, weder bei | |
Komplettverzicht auf Sex noch durch Sex mit anderen, Frauen gar. Deshalb | |
wohl freut sich das in Moralfragen konservativ aufgestellte | |
Berlusconi-Blatt Il Foglio schier eckig über die anstehende | |
Homo-Hetero-Vermählung. Hoffentlich biete der niemand Einhalt, etwa mit der | |
Frage, ob die beiden tatsächlich schwul seien, dann nämlich begebe sich | |
Italien auf den Weg zu einem „romantischen Polizeistaat“, heißt es da. | |
Die Initiatorin des Gesetzes, Monica Cirinnà, würde sich wohl nie auf | |
diesen Weg begeben. Sie sieht auch in dem vorgeblichen Gesetzesmissbrauch | |
einen Schritt zur Gleichberechtigung, schließlich könne „auch eine Frau | |
einen Mann heiraten, den sie nicht liebt, aus puren Interessenserwägungen“, | |
das habe es immer gegeben, und „wenn jetzt zwei Männer so handeln, denke | |
ich, dass das Gesetz den Bürgern diese Freiheit gewährt“. | |
Ganz so entspannt mögen dagegen die echten katholischen Fundamentalisten | |
die Irrungen und Wirrungen um die Homo-Ehe nicht sehen. Vor ein paar Tagen | |
erregte Radio Maria mit einer Nachlese zu den schweren Erdbeben der letzten | |
drei Monate Aufsehen. „Göttliche Strafe“ seien die, Strafe für die | |
Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaften. Doch auch in Italien, | |
auch in der katholischen Kirche haben sich die Zeiten geändert. Radio Maria | |
musste den eifernden Pater auf Druck des Vatikans beurlauben. Eine | |
Stellungnahme der Kurie zur heterosexuellen Homo-Ehe steht noch aus. | |
18 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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