# taz.de -- Griechischer Finanzminister über Krise: „Die Zeit wird knapp“ | |
> Griechenland braucht einen Schuldenerlass, um die Unsicherheit zu | |
> beenden. Nur dann kommen wieder Investoren, sagt Euclid Tsakalotos. | |
Bild: Proteste Anfang November in Athen | |
taz: Herr Tsakalotos, auf seiner letzten Europareise kommt US-Präsident | |
Obama heute nach Athen und wird dann nach Berlin weiterfliegen. Was | |
erwarten Sie von seinem Besuch? | |
Euclid Tsakalotos: Obamas Regierung hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie | |
der europäischen Griechenlandpolitik eher kritisch gegenübersteht. Die USA, | |
aber auch der Internationale Währungsfonds, der IWF, haben darauf | |
hingewiesen, dass die griechischen Schulden nicht tragbar sind und dass ein | |
Schuldenerlass nötig ist. | |
Finanzminister Wolfgang Schäuble hat sich von solchen Argumenten bisher | |
nicht beeindrucken lassen. Stattdessen sagt er, dass die Griechen nicht | |
ausreichend sparen würden. | |
Wir haben eine enorme Menge an Reformen angeschoben, immer in enger | |
Abstimmung mit der EU, der Eurozone und dem IWF. Aber diese harten | |
Kürzungen würgen unsere Wirtschaft ab. Man kann kein Geld sparen, das man | |
nicht hat. Der IWF droht daher, sich aus Griechenland zurückzuziehen, wenn | |
es nicht zu einem Schuldenerlass kommt. Schäuble steht jetzt vor einem | |
Dilemma: Er ist gegen jede Art von Schuldenerlass – aber gleichzeitig | |
möchte er erreichen, dass der IWF bleibt. | |
Dieses Dilemma ist keineswegs neu für Schäuble. | |
Aber jetzt wird die Zeit knapp. In den Niederlanden und in Deutschland | |
stehen Wahlen an. Wenn die griechischen Schulden nicht sinken, wird | |
Griechenland nicht in der Lage sein, bis Ende 2017 an die Finanzmärkte | |
zurückzukehren. Es würde also ein viertes Rettungspaket für Griechenland | |
benötigt, das dann 2018 startet. Es ist schwer vorstellbar, dass die | |
niederländische und die deutsche Regierung ihre Wahlkämpfe damit belasten | |
wollen, dass spekuliert wird, dass ein weiteres Rettungsprogramm für | |
Griechenland nicht funktionieren könnte. | |
Viele Deutsche haben Angst, dass die Griechen einfach neue Kredite | |
aufnehmen, sobald die alten Schulden erlassen sind. | |
Der Schuldenerlass, über den wir reden, würde den normalen deutschen | |
Steuerzahler sehr wenig oder sogar gar nichts kosten. Es wäre eine | |
Win-win-Situation. Zudem würde Griechenland auf den Finanzmärkten nicht | |
etwa neue Schulden aufnehmen – sondern nur die alten Kredite refinanzieren. | |
Jedes Land, sogar Deutschland, kann seine alten Schulden nur zurückzahlen, | |
indem es neue Darlehen aufnimmt. Aber Griechenland kann an diesen völlig | |
normalen Verfahren erst wieder teilnehmen, wenn die Gesamtlast der Schulden | |
reduziert wird. Sonst bleiben die Investoren weg und die europäischen | |
Rettungsschirme müssten weiterhin als Vermittler agieren – indem sie erst | |
Kredite auf den Finanzmärkten aufnehmen und sie dann an Griechenland | |
weiterreichen. | |
Im Sommer 2015 hat Schäuble verklausuliert angeboten, dass Griechenland | |
zusätzliche Milliarden bekommen könnte, wenn es zur Drachme zurückkehrt. | |
Warum haben Sie damals nicht eingewilligt? | |
Dies wäre ein sehr schlechter Deal für Griechenland gewesen. Selbst wenn | |
wir einige Milliarden zusätzlich bekommen hätten, hätte sich an unserer | |
Schuldenlast nichts geändert – und es wären weiterhin Euro-Kredite gewesen. | |
Wie hätten wir diese Darlehen mit einer schwachen Drachme bedienen sollen? | |
Haben Sie den Eindruck, dass Kanzlerin Angela Merkel mit Schäubles hartem | |
Kurs übereinstimmt? | |
Angela ist die Kanzlerin, und ihr Blick ist daher zwangsläufig weiter. Im | |
Sommer 2015 hat sie gesehen, dass der Euro am Ende wäre, wenn ein Land den | |
Euro verlässt. Damit hatte sie recht. Europa muss zeigen, dass es seine | |
Probleme lösen kann. | |
Sie nennen sie Angela? | |
Wieso nicht, sie nennt mich Euclid. Wir alle haben die britische Sitte | |
übernommen, sich gegenseitig mit den Vornamen anzureden. Ein lockerer | |
Umgangston bedeutet keinen Mangel an Respekt. | |
Was also schlagen Sie Angela und Wolfgang vor? | |
Um die griechische Krise zu überwinden, sollte es keinen harten | |
Schuldenschnitt geben, der dann alle zwingt, die Kredite offiziell | |
abzuschreiben. Stattdessen sollte der Schuldenerlass dadurch zustande | |
kommen, dass die Zinsen sinken, die Laufzeiten länger werden und die | |
Tilgung später beginnt. | |
Die Debatte konzentriert sich auf alte Schulden. Doch Griechenlands | |
Hauptproblem ist die Zukunft: Wie soll die Wirtschaft wieder wachsen? | |
Momentan investiert niemand, weil die politische Unsicherheit zu hoch ist. | |
Wir benötigen eine endgültige Vereinbarung zwischen Griechenland und der | |
Eurozone sowie dem IWF, um diese Unwägbarkeiten zu beenden. Die Anleger | |
müssen das Gefühl haben, dass die politischen Entscheidungen gefällt und | |
nicht erneut vertagt wurden. | |
Warum sollte jemand in Griechenland investieren? Es ist ein Land in der | |
Krise. | |
Genau deswegen. Durch die lange Depression sind alle Vermögenswerte viel zu | |
billig und werden weit unter Wert gehandelt. Das gilt für Aktien genauso | |
wie für Immobilien. Es gäbe überzeugende Projekte, von denen sowohl die | |
Investoren als auch der griechische Staat profitieren würden. Um nur ein | |
Beispiel zu nennen: Von den Olympischen Spielen 2004 ist auch eine | |
Beach-Volleyball-Anlage übrig geblieben, die momentan ziemlich verfallen | |
ist. Aber man könnte sie mit relativ geringen Mitteln wieder herrichten. | |
Für europäische Volleyball-Teams wäre es viel billiger, den Winter in | |
Griechenland zu verbringen, statt in die Karibik oder nach Australien zu | |
fliegen. | |
Im Januar wird der neue US-Präsident Donald Trump sein Amt antreten. Stärkt | |
das die griechische Verhandlungsposition? | |
Wir müssen abwarten, welche Haltung der neue Präsident einnimmt. Aber wir | |
leben in einer unsicheren Welt. Dies sollte Griechenland helfen. Denn die | |
EU und die Eurozone müssen zeigen, dass sie ihre Probleme selbst lösen | |
können. Griechenland befindet sich endlich wieder auf einem guten Weg. Es | |
würde nicht viel kosten, um sicherzustellen, dass dieser Fortschritt | |
dauerhaft ist. Ein solcher Erfolg würde zeigen, dass die EU funktionieren | |
kann. Was hingegen ein Scheitern in diesen unruhigen Zeiten bedeuten würde, | |
mag man sich gar nicht ausmalen. | |
15 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
Griechenland | |
EU | |
Schuldenkrise | |
Griechenland | |
EU-Finanzpolitik | |
Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
Wolfgang Schäuble | |
Barack Obama | |
Griechenland | |
Wolfgang Schäuble | |
Griechenland | |
Alexis Tsipras | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Thriller über die Griechenland-Krise: Das 36-Milliarden-Loch | |
„Game Over“ ist ein Rückblick auf sieben Jahre Schuldenkrise: Autor Giorgos | |
Papakonstantinou war drei Jahre griechischer Finanzminister. | |
Kommentar Finanzministertreffen: Griechenland, die Euro-Kolonie | |
Seltsam, wie sich die Euro-Finanzminister das Schuldenmanagement des Landes | |
vorstellen. Schäuble bringt den Wahnsinn auf den Punkt. | |
EU-Finanzministertreffen zu Griechenland: Der Schuldenberg ruft | |
Alle Auflagen sind erfüllt, doch die EU-Politiker wollen keinen | |
Schuldenschnitt. Sie fordern Reformen und wollen die Tarifautonomie | |
aushebeln. | |
Buch über Finanzmarktregulierung: Jede Kritik ist einzustellen | |
Drei grüne Finanzexperten stellen ihr Buch „Finanzwende“ vor. Wolfgang | |
Schäuble ist auch dabei und schmettert alle Vorwürfe ab. | |
Obamas Besuch in Griechenland: Ein Lob für Perikles | |
Mit einem Plädoyer für Demokratie verabschiedet sich US-Präsident Obama. | |
Viele Griechen hoffen, dass er nicht ganz aus der Politik verschwindet. | |
Griechenland zur Zeit der Militärdiktatur: Erinnerung an einen Mörder | |
Nikos Koemtzis saß 23 Jahre im Gefängnis, weil er zur Zeit der | |
Obristendiktatur drei Menschen getötet hat – wegen eines Tanzes. | |
Schuldenerleichterung für Griechenland: Schäuble immer weiter isoliert | |
Der Bundesfinanzminister will nichts von Entlastungen für das Krisenland | |
wissen. Andere Mitglieder der Eurogruppe sehen das zunehmend anders. | |
Regierung in Griechenland: Tsipras baut sein Kabinett um | |
Gegner des Sparkurses müssen ihren Posten räumen. Künftig gibt es ein | |
Ministerium für Migrations- und Flüchtlingsfragen. | |
TV-Lizenzen in Griechenland: Syriza muss umschalten | |
Die Syriza-Regierung versteigerte Sendelizenzen für das Privatfernsehen. | |
Ein Gericht entschied nun, dass dies verfassungswidrig ist. |