# taz.de -- Linker Kongress zu digitalem Kapitalismus in Hamburg: „Mut haben,… | |
> Das „Ums Ganze!“-Bündnis diskutiert in Hamburg über Digitalisierung und | |
> Kapitalismus | |
Bild: Das kommunistische Ums Ganze!-Bündnis, hier in Berlin, tagt dieses Woche… | |
taz: Herr Jasper, warum heißt der Kongress „reproduce(future)“ ? | |
Anton Jasper:Wie bei einer Programmiersprache ist „Reproduce“ die Funktion, | |
die die Eingabe „Future“ umsetzen soll. | |
Sie haben sich nichts Geringeres vorgenommen, als die Zukunft herzustellen? | |
Es ist eine imaginäre Programmiersprache, weil das eben nicht geht: Man | |
kann nicht über einen Programmierbefehl das Offene und Neue herstellen. Wir | |
aber wollen die Zukunft als Horizont begreifen, der gestaltbar ist. | |
Ändert Digitalisierung die Struktur des Kapitalismus? | |
Der Kapitalismus ist immer noch der gleiche. Aber die Mittel, die zum | |
Einsatz kommen, ändern sich. Und die Verhältnisse, in denen er wirkt. Alle | |
gesellschaftlichen Bereiche werden auf Basis neuer digitaler Technologien | |
neu strukturiert. Arbeitsverhältnisse und Arbeitszeiten ändern sich, es | |
gibt immer mehrWorking Poor, also Leute, die mehrere Jobs haben, oder | |
befristete Jobs. Das ist eine allgemeine Tendenz, die mit dem Umbau der | |
kapitalistischen Wirtschaftsweise einhergeht. Aber das passiert nicht | |
bruchlos. Da sind Widersprüche, es gibt subversive Potenziale. | |
Wurden FabrikarbeiterInnen als Subjekte von digitalen TagelöhnerInnen | |
abgelöst? | |
Es gibt neue Subjektivitäten, neue Arten, wie Arbeiter diszipliniert werden | |
und wie die Arbeit in das Leben zurückwirkt. Da entstehen auch neue Kämpfe, | |
zum Beispiel an der Frage: „Ist es okay, dass ich nach 21 Uhr nicht mehr | |
für meinen Arbeitgeber erreichbar bin?“ Das heißt aber nicht, dass es eine | |
neue gesellschaftliche Klasse gibt. | |
Verlaufen Klassengrenzen anhand neuer Kriterien – statt Eigentum an | |
Produktionsmitteln nun am Zugang zu Technologien? | |
Nee. Die Klassenfrage ist immer noch „Besitzende oder Nichtbesitzende“. | |
Aber darüber legen sich vielfache Ausdifferenzierungen. Wie die Frage: Habe | |
ich Zugang zu Ressourcen, die man braucht, um im digitalen Kapitalismus zu | |
bestehen. Kann ich mit den Ressourcen umgehen und mich frei verhalten? Das | |
ist global ganz ungleich verteilt. | |
Warum jetzt dieses Thema? | |
Einerseits gibt es eine wahnsinnige Beschleunigung. Gleichzeitig verändert | |
sich nichts, alles bleibt gleich: Nach der Finanzkrise gelten die gleichen | |
Regeln wie vorher, Merkel stellt wieder die Kanzlerkandidatur. Wir fragen | |
deshalb: „Sollen wir der Scheiße immer nur hinterherrennen und gleichzeitig | |
die Technik an uns vorbeiziehen lassen – und dadurch in einer ständigen | |
doppelten Überforderung leben? Oder selber Mut und Fantasie haben, die | |
Zukunft zu erschließen?“ | |
Wird alles immer schlechter oder birgt das Digitale auch Chancen, der | |
Revolution näher zu kommen? | |
Die Chancen stehen immer schlecht. Aber das entbindet einen nicht davon, es | |
zu versuchen. In so einer Übergangszeit, wenn fundamentale Veränderungen | |
stattfinden, wie der Kapitalismus sich organisiert, kann man gut | |
intervenieren. | |
Wie muss sich Kapitalismuskritik ändern – muss man Marx noch lesen? | |
Das kann nicht schaden. Kritik muss grundsätzlich und umfassend sein, aber | |
auch konkret verstehen, wie die Weltwirtschaft funktioniert, welche | |
technologischen Entwicklungen es gibt. Gleichzeitig muss sie auch | |
erreichbar und nachvollziehbar sein. | |
Besonders niedrigschwellig klingt das alles aber nicht. | |
Aber die Umbrüche erlebt ja jeder im Alltag– zum Beispiel, wie viele Emails | |
man bekommt, wie sich Berufe verändern, oder dass man nachts aufwacht, sein | |
Handy checkt und vielleicht sogar auf Nachrichten antwortet. Das sind | |
einzelne Phänomene, mit denen jeder im Alltag zu tun hat. | |
Kann der Kongress denn Antworten auf Alltagsprobleme liefern? | |
Antworten können wir nicht liefern, aber wir können anfangen, gute Fragen | |
zu stellen. Das Amazon-Streikbündnis wird beim Kongress sein und berichten, | |
was passiert, wenn jeder Schritt, den man im Lager macht, durch eine | |
Trackingsoftware verfolgt wird. Es gibt auch zwei Workshops, in denen es um | |
Grundlagen digitaler Selbstermächtigung und Sicherheit geht, also zum | |
Beispiel, wie man Mails verschlüsselt und wie meine Bewegungen im Internet | |
nicht nachvollzogen werden können. Es geht aber auch darum, nicht in einer | |
Schockstarre zu verharren, sondern zu fragen: Wie können wir bewegungsfähig | |
werden? | |
Kongress „reproduce(future)“ des Ums Ganze!-Bündnisses, 25.-26.11., Uni | |
Hamburg. [1][https://techno.umsganze.org/] | |
25 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://techno.umsganze.org/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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