# taz.de -- Frankreichs Mitschuld im 2. Weltkrieg: Größe zeigen, zur Geschich… | |
> Präsident Hollande räumt eine Mitverantwortung an Verfolgungen unter | |
> Nazi-Besatzung ein. Betroffen waren Gitans, Manouches, Sinti und Roma. | |
Bild: Hollande: Frankreich sollte zu seiner Vergangenheit stehen | |
PARIS taz | „Für ein Land wie das unsere kann es nur ein Zeichen von Größe | |
sein, wenn es zu seiner Geschichte steht“, hat Staatspräsident François | |
Hollande in Montreuil-Bellay am Samstag bei der Einweihung einer | |
Gedenkstätte für die verfolgten Nomaden während des Zweiten Weltkriegs | |
erklärt. In dieser Ortschaft in Westfrankreich stand eines der 31 Lager, in | |
denen während des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besetzung zum Teil | |
aber bis 1946 (das heißt auch nach der Befreiung noch) Tausende von Nomaden | |
interniert worden sind. | |
Für das Kollaborationsregime von Marschall Pétain in Vichy, das oft den | |
Repressionsforderungen der Nazis zuvorkam, waren die „Zigeuner“ oder | |
heimatlosen „Landstreicher“ keine französischen Bürger. Sie wurden verfol… | |
und eingesperrt. Viele von ihnen haben die Entbehrungen des harten | |
Lagerlebens nicht überlebt. Auch rund 45.000 internierte Geisteskranke sind | |
nach Schätzungen von Historikern aufgrund der von Vichy angeordneten | |
Vernachlässigung verhungert. Im nationalsozialistisch besetzten Europa sind | |
während des Zweiten Weltkriegs insgesamt rund 500.000 „Zigeuner“ ermordet | |
worden. | |
Im Unterschied zur französischen Mitverantwortung für die Deportierung und | |
Ermordung von Juden und Widerstandskämpfern kamen diese Verbrechen bisher | |
in den Geschichtsbüchern kaum vor. | |
Hollande war es nun ein Anliegen, diese Lücke in der | |
Vergangenheitsbewältigung zu füllen und seine Unterschrift | |
darunterzusetzen. In Montreuil-Bellay östlich von Nantes stehen noch einige | |
Überreste des ehemaligen Lagers, in dem nach 1940 bis zu 2.000 Menschen | |
interniert waren. An diesem Ort erklärte der Präsident vor einer Skulptur | |
zum Gedenken an die Opfer: „Die Republik anerkennt die Leiden der Nomaden, | |
die interniert wurden, und räumt ein, dass Frankreichs Verantwortung dabei | |
groß ist.“ | |
## Die Aufarbeitung steht vor dem Ende | |
Auf solche Worte der offiziellen Transparenz und der Reue hatten die | |
Angehörigen und Nachkommen bisher vergeblich gewartet. Dass der | |
französische Staat bisher nie öffentlich und in so klarer Weise seine | |
Mitschuld bei der Verfolgung der „Zigeuner“ (die Gitans, Manouches und | |
Sinti, die Jenischen und die Roma) zugeben wollte, war für sie eine | |
zusätzliche Diskriminierung. | |
Noch länger warten die Fahrenden von heute, schätzungsweise 250.000 | |
Personen, auf das definitive Ende der diskriminierenden | |
Registrierungspflicht und dem 1912 eingeführten „Carnet de voyage“, das sie | |
in Frankreich ständig mit sich tragen müssen. Diese Sonderbestimmungen | |
würden ersatzlos gestrichen, hat Hollande nun versprochen. Ein | |
entsprechender Antrag liegt den beiden Parlamentskammern vor. | |
„Lieber spät als gar nicht“, kommentiert der Vorsitzende der Vereinigung | |
der Reisenden „France Liberté Voyage“, Fernand Delage. „Für uns ist die… | |
Anerkennung (der Schuld) sehr wichtig. Es sind Abertausende von Familien, | |
die Angehörige verloren haben. François Hollande ist der erste Präsident, | |
der diese Opfer würdigt.“ | |
Natürlich denkt man in Frankreich auch an die historische Rede von Jacques | |
Chirac, der 1995 als erster Staatschef die Worte fand, um Frankreichs | |
Mitschuld an der Judenverfolgung durch das „Dritte Reich“, einzugestehen. | |
Wenn man aber an die Kolonialzeit und die Unabhängigkeitskriege denkt, | |
begreift man, dass mit Hollandes Geste die Aufarbeitung der Schattenseiten | |
der französischen Geschichte vor dem Ende steht. | |
30 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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