# taz.de -- Vattenfall betreibt Fisch-Monitoring in Geesthacht: Wenn Fische Tre… | |
> Vattenfall zählt und vermisst Fische, analysiert ihre Bewegungen und | |
> pflegt eine Fischdatenbank. Alles um das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg | |
> profitabel zu halten | |
Bild: Die Fischtreppe in Geesthacht soll die Elbe wieder passierbar für Wander… | |
Geesthacht taz | Ein Gitterkorb von der Größe eines Kleinwagens hebt sich | |
aus der Elbe. Der Fischwirt Patrick Stähr öffnet eine lindgrüne Rinne, | |
Wasser rauscht heran und flutsch rutscht Fisch um Fisch in ein kreisrundes | |
Becken. Mit einem Kescher fischt Stährs Kollege Alexander Klar jeweils zwei | |
bis drei Tiere heraus und reicht sie durch ein Fenster in einen grauen | |
Container zum Zählen und Vermessen. | |
Stähr und Klar zählen jeden Fisch, der die im August 2010 eröffnete | |
Fischtreppe am Stauwehr in Geesthacht hochgeklettert kommt. Sie arbeiten an | |
der Rechtfertigung einer 30-Millionen-Euro-Investition und daran, das 2015 | |
in Betrieb genommene Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg profitabel zu | |
halten. Ob das klappt, ist ungewiss. | |
Die Fischtreppe wird gebraucht, weil Vattenfall sein | |
1,6-Megawatt-Kohlekraftwerk an der Hamburger Süderelbe mit Elbwasser kühlen | |
will. Das heizt die Elbe auf, was den Sauerstoffgehalt des Wassers senkt | |
und es führt dazu, dass Fische in das Kühlsystem gesaugt werden, auch | |
streng geschützte Fische wie das Fluss- und Meerneunauge, Lachs, Schnäpel | |
und der Maifisch. | |
Um die Verluste, die durch das Ansaugen entstehen, auszugleichen, soll die | |
Fischtreppe die Elbe wieder passierbar für Wanderfische machen. Das Wehr | |
hindert die Tiere daran, ihre Laichgebiete im Oberlauf des Stroms und | |
dessen Nebenflüssen aufzusuchen, was ihre Fortpflanzungsfähigkeit | |
beeinträchtigt. Zwar gibt es bereits schon lange eine Fischtreppe am | |
Südufer des Stroms. Doch nach den Zählungen der Fischwirte steigen dort | |
achtmal weniger Fische auf als über die neue Anlage. | |
Das ist kein Wunder, wenn man die alte Aufstiegsanlage von 1998, die | |
aussieht wie ein Wildbach, mit der neuen vergleicht, die je nach | |
Blickwinkel an eine Marina oder eine Kläranlage denken lässt. Die neue | |
Fischtreppe ist definitiv ein technisches Bauwerk: ein gewundener Kanal | |
zwischen rostigen Spundwänden, von übermannshohen, geflügelten | |
Betonhindernissen unterbrochen. | |
„Wir vermessen die Fische, um Fischaufstiegsanlagen zu planen“, sagt | |
Patrick Stähr. Sehr viele Fischaufstiegsanlagen in Deutschland | |
funktionierten nicht. „Da planen Leute, die davon keine Ahnung haben“, | |
kritisiert er. Um zu beweisen, dass das bei der neuen Fischtreppe in | |
Geesthacht anders ist, erfasst er jeden Fisch, der im Fangkorb landet, in | |
einer Datenbank. | |
Es ist ein ruhiger Tag. Lediglich 20 Fische schwimmen im Becken. Aber es | |
gibt auch das andere Extrem: Massenaufstiege wie 20.000 Neunaugen, die sich | |
auf einen Schlag im Becken wanden. Es sind kleine, schlanke Fische, die | |
einzeln gezählt, aber nur stichprobenartig vermessen werden. | |
## Anderen die Luft nehmen | |
Die Herausforderung dabei ist nicht nur das Zählen, sondern dass die | |
Neunaugen anderen Fischen die Luft nehmen. „Wenn da Quappen darunter sind, | |
mit hohem Sauerstoffbedarf, muss man wissen, wie man zu reagieren hat“, | |
sagt Stähr. | |
Bei den großen Fischen erfasst Stähr von jedem einzelnen die Länge, die | |
Breite und das Gewicht. Die Ansagen dazu macht Alexander Klar. Er schnappt | |
sich einen zappelnden Zander und legt ihn in eine Plastikwanne, deren | |
Wasser mit einem Beruhigungsmittel versetzt ist. Der lange, kräftige Fisch | |
soll stillhalten, wenn er gewogen und aufs Messbrett gelegt wird. Klar | |
streichelt ihn und greift ihm zärtlich über die Augen. „Im Dunkeln werden | |
Fische ruhiger“, sagt Klar. | |
Stähr notiert 52,5 für die Länge und 1.104 fürs Gewicht. Außerdem hält er | |
ein aseptisch riechendes Schächtelchen bereit. Darin stecken in einem | |
Schaumstoffbett daumennagelgroße Röhrchen: Transponder, die mit einem | |
Skalpellschnitt seltenen Fischen unter die Haut gesetzt werden. | |
Klar hält das Lesegerät dazu an die Fischleiber und erkennt so, wenn alte | |
Bekannte mal wieder vorbeischauen. Der Transponder hilft auch dabei zu | |
verstehen, wie die Fischtreppe en detail funktioniert. 18 Sender-Empfänger | |
verfolgen den Weg der markierten Fische durch die Anlage. Sie stellen fest, | |
wie schnell ein Fisch von einem der 49 Becken zum anderen schwimmt, wie oft | |
und wann er sich ausruht. | |
Jedes Becken ist zum nächsten etwa zehn Zentimeter in der Höhe versetzt. | |
Die Wände haben links und rechts Öffnungen, die eine deutliche Strömung | |
erzeugen, die die Fische dazu verlockt, aufzusteigen. Nicht nur die | |
Strömung ist ausgetüftelt und kann durch Zugabe von Wasser aus dem Strom | |
nötigenfalls verstärkt werden – jedes Becken hat auch eine | |
strömungsberuhigte Ruhezone, in der die Fische verschnaufen können. | |
Klar und Stähr haben noch eine zweite Zählstation zu betreuen: die für die | |
Aale. Sie liegt 300 Meter treppab am oberen Ende einer Art Hühnerleiter – | |
einem mit grünen Plastik-Borsten besetzten Band. Es ist zwar an manchen | |
Stellen sehr steil, doch die jungen Aale, für die die Strömung in der | |
großen Anlage zu stark ist, winden sich um die Borsten nach oben. | |
## Auswurf für Wollhandkrabben | |
Für die aus Asien eingeschleppten Wollhandkrabben, die diesen Aufstieg | |
ebenfalls gerne nutzen und verstopfen, gibt es einen Auswurf: einen | |
Kletter-Abzweig senkrecht nach oben, der sie in ein Rohr führt, durch das | |
sie in eine grüne Sammeltonne fallen. Die schütten die beiden Fischwirte | |
dann wieder in die Elbe. | |
Klar und Stähr sind beim Institut für angewandte Ökologie angestellt, dass | |
die Anlage mitkonzipiert hat. Sie pflegen die Fischdatenbank, halten die | |
Fanggeräte und die Anlage in Schuss und betreuen auch die alte Fischtreppe | |
auf dem Südufer. | |
Insgesamt seien 19 Leute mit dem Monitoring der Fischtreppe befasst, sagt | |
Gudrun Bode, die im Auftrage Vattenfalls Öffentlichkeitsarbeit für die | |
Anlage macht. Einmal pro Woche kämen zwei Mitarbeiter aus der Werkstatt des | |
Kraftwerks Moorburg, um nach der Anlage zu sehen. 1,8 Millionen Euro | |
kosteten das Monitoring und die Unterhaltung der Fischtreppe pro Jahr. | |
Ob sich das aus Sicht Vattenfalls rentiert, wird derzeit vor dem | |
Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verhandelt. Dort hat die | |
EU-Kommission Deutschland wegen der Verletzung europäischer | |
Umweltvorschriften verklagt. Bei dem Streit geht es um die Frage, ob die | |
Fischtreppe den Schaden durch die Kühlwasseransaugung begrenzt oder | |
verringert – oder ob sie diesen „bloß“ ausgleicht. | |
## Schadenbegrenzung oder doch nicht | |
Die EU-Kommission findet im Einklang mit dem Umweltverband BUND, dass die | |
Fischtreppe den Fischen, die von der Moorburger Kühlanlage angesaugt | |
werden, nichts nütze und damit den Schaden nicht begrenze. Sie komme bloß | |
den Fischen zugute, die es an der Anlage vorbei bis Geesthacht geschafft | |
hätten. | |
Bezeichnenderweise sei im Ergebnis der städtischen | |
Umweltverträglichkeitsprüfung zu lesen: Ziel der Fischaufstiegsanlage sei | |
es, „die Beeinträchtigungen durch den Betrieb des Kraftwerks Moorburg | |
adäquat auszugleichen“. Dieses Ziel sei erreicht, wenn wenigstens nicht | |
weniger geschützte Arten als bisher die Schutzgebiete oberhalb des Wehrs in | |
Geesthacht erreichten. | |
Hat die EU-Kommission recht, kommt es nicht darauf an, wie gut die | |
Fischtreppe funktioniert. Vattenfall müsste die Durchlaufkühlung für sein | |
Kohlekraftwerk abstellen und ganzjährig einen für Warmwetterperioden | |
gebauten Kühlturm nutzen. Das würde die Effizienz und damit auch die | |
Rentabilität des Kraftwerks senken, das aufgrund der Energiewende ohnehin | |
weniger rentabel ist als erhofft. | |
Stähr und Klar kann das egal sein. Wenn ihre sedierten Fische wieder | |
richtig wach sind, öffnet Stähr einen Schieber und die Fische flutschen | |
durch ein großes Rohr in die Elbe. Sollte das Kraftwerk Moorburg scheitern | |
– an der mangelnden Funktionsfähigkeit der Fischtreppe wird es nicht | |
gelegen haben. | |
24 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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