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# taz.de -- Massentierhaltung in Europa: Frau Vdovichenko gegen die Hühner
> Die Europäische Union fördert mit Krediten Massenställe in der Ukraine.
> In den betroffenen Dörfern protestieren die Menschen dagegen. Ein Besuch.
Bild: Ljudmilla Vdovichenko führt den Protest gegen die Hühnerfarmen an
LADYSCHYN/OLJANIZA taz | Nur eben so zum Spaß schwingt sich Igor
Leschtschenko plötzlich an die Stange, macht 20 Klimmzüge und setzt das
Gespräch, etwas außer Atem, fort. Die Klimmzugstange hat er gegenüber dem
Schreibtisch in seinem Büro in der Geflügelfabrik Winnyzjaer Masthuhn
aufgehängt. Leschtschenko ist hier der Direktor. In seiner Freizeit stemmt
er Gewichte, war 2015 Europameister im Powerlifting in der Gewichtsklasse
110 Kilogramm. Tätowierungen bedecken seine Arme, kein Gramm Fett ist an
dem schwergewichtigen Mann erkennbar. Er trainiere auch eine
Wehrsportkampfgruppe für Jugendliche, sagt er.
Mit derselben Energie verteidigt Leschtschenko seine Arbeit hier im Gebiet
Winnyzja, im Herzen der Ukraine. Es ist die Region, in der Petro
Poroschenko, der Oligarch und „Schokoladenkönig“, seine Süßwarenfabrik
aufgebaut und Milliarden erwirtschaftet hat, bevor er sich als Politiker an
die Spitze des Staates kämpfte.
„Meine Hühnerfabrik ist die größte in Europa“, sagt Leschtschenko. „Un…
wird auch so bleiben.“ Es ist ein heißer Sommertag, aber das Büro ist
angenehm kühl. Hier Direktor der Geflügelfabrik zu sein bedeutet, ein
Großunternehmen zu managen: Leschtschenko ist Chef von knapp 5.000
Mitarbeitern.
In den nächsten Jahren sollen die Mastkapazitäten verdoppelt werden, sagt
er, ein weiteres Schlachthaus sei in Planung. Bereits jetzt baue man eine
weitere Produktionseinheit, die „Brigade Nr. 13“. Zwei weitere
Produktionseinheiten seien genehmigt.
Eine sogenannte Brigade besteht aus 38 weiß gestrichenen länglichen
Gebäuden. In jeder dieser Brigaden leben 1,5 Millionen Masthühner. Zum
Vergleich: Ein deutscher Hähnchenmastbetrieb hat im Durchschnitt 21.500
Hühner. In Leschtschenkos Fabrik werden 110 Millionen Tiere jährlich
geschlachtet, das sind mehr als in allen Schlachthöfen Bayerns und
Baden-Württembergs zusammen.
## 27.000 Tonnen Fleisch von hier landen in der EU
Leschtschenkos Unternehmen ist eine Tochter des Agrokonzerns Mironivsky
Hliboproduct, kurz MHP, des größten ukrainische Geflügelproduzenten. Der
Konzern gehört dem Oligarchen und Poroschenko-Freund Jurij Kosjuk. Er ist
auch langjähriger Partner internationaler Finanzinstitutionen. Über eine
halbe Milliarde Dollar hat der Agrokonzern in den vergangenen Jahren von
Entwicklungsbanken bekommen – unter anderem von der Europäischen Bank für
Wiederaufbau und Entwicklung und von der Europäischen Investitionsbank.
Letztere ist ein Finanzinstrument der Europäischen Union mit dem Ziel,
Entwicklungspolitik mit Partnerländern zu unterstützen.
Verkauft wird das Geflügel nicht nur in der Ukraine. Großbritannien,
Deutschland, die Niederlande und über ein Dutzend weiterer EU-Staaten sind
genauso Abnehmer von Geflügel der MHP wie Republiken der ehemaligen
Sowjetunion, über ein Dutzend afrikanischer und arabischer Staaten und
Länder wie Vietnam, Laos und die Mongolei. 2015 exportierte MHP 132.000
Tonnen Geflügel, über 27.000 Tonnen davon in die Europäische Union. Damit
stiegen die Lieferungen in EU-Länder um 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Noch 2008 herrschte in der Ukraine Fleischmangel. In der Folge begann man
die Hühnerproduktion zu industrialisieren. Huhn – das ist billiges Protein,
leicht massenhaft herzustellen. Nur wenige Agrarholdings konnten in diesem
Wettbewerb mithalten, allen voran die MHP. 2009 hatte das Unternehmen die
Bevölkerung noch auf ihrer Seite. Man erhoffte sich mehrere Tausend neue
Arbeitsplätze, glaubte den Versprechungen, Straßen und andere Infrastruktur
zu verbessern. Viele verpachten dem Konzern gerne ihr Land für 210 Euro pro
Jahr und Hektar oder einen einmaligen Betrag von 5.000 Euro für die
49-jährige Pacht eines Hektars.
Es waren Orte wie das 1.300-Einwohner-Dorf Oljaniza, in denen die Menschen
langsam begriffen, was für Auswirkungen das für sie hat.
Die Rentnerin Ljudmilla Vdovichenko sitzt in ihrer geblümten Küchenschürze
auf einer Bank in ihrem Garten in der Mittagssonne. Vor dem Eingang ihres
kleinen Einfamilienhäuschens in Oljaniza ist ein Rosenbeet angelegt,
daneben ein Gemüsegarten. Über dem Zaun zum hinteren Teil des Grundstücks
ragt das Dach eines blau bemalten Plumpsklos hervor. Ljudmilla Vdovichenko
bietet Äpfel aus dem eigenen Garten und Maiskolben an. Im Nachbargarten
streiten freilaufende Hühner.
Doch an der scheinbaren Landidylle brettern im Minutentakt schwere
Lastwagen vorbei. Sie rauschen über den bröckeligen Asphalt der engen
Dorfstraße direkt vor Vdovichenkos Gartentür und lassen jedes Mal das
Gespräch für einen Augenblick verstummen. Viele dieser Lkws sind offene
Tiertransporter, die acht Etagen mit eng zusammengepferchten Hühnern sind
von Ljudmilla Vdovichenkos Bank gut zu erkennen. Kommen die Lastwagen aus
der entgegengesetzten Richtung, sind sie bereits leer.
„Wir leben hier im Epizentrum der Agrarindustrie“, schimpft Ljudmilla
Vdovichenko. Bereits jetzt stehen vor ihrem Dorf zwei Brigaden Mastanlagen,
das bedeutet: drei Millionen Hühner. Bald sollen es doppelt so viele sein.
Was für den gewichthebenden Geflügeldirektor Igor Leschtschenko
unternehmerischen Erfolg verspricht, bedeutet für Ljudmilla Vdovichenko:
Gestank. Unter anderem.
Je nach Windrichtung riecht es in den Dörfern der Gegend mal mehr, mal
weniger. „Wir sind hier von Hühnerfabriken eingekesselt, da spielt die
Windrichtung keine große Rolle“, sagt Vdovichenko.
Ljudmilla Vdovichenko holt aus der Küche eine Tragtasche voller Dokumente.
Als Parteilose sitzt sie für die Fraktion „Block Petro Poroschenko“ im
Bezirksrat. Außerdem ist sie Vorsitzende einer Gruppe, die sich Komitee zur
Rettung des Dorfes Oljaniza nennt. Aus der zerknitterten Tragtasche, die
irgendwann einmal blau war, holt sie Kopien der von ihr organisierten
Unterschriftensammlungen gegen den weiteren Ausbau der Hühnerfabriken. Sie
bewahrt darin auch die Unterlagen über die erhöhte Belastung des Wassers in
ihrem Dorf mit Nitrat und anderen Giftstoffen auf. Und dann ist in der
Tragtasche noch die Einladung zu einer Informationsveranstaltung von den
Behörden und der Mastfabrik, in der diese für die Erweiterung der Anlagen
geworben hatten.
## Dorfbewohner blockieren die Zufahrtsstraßen
Es ist 2010, als die Menschen in ihrem Dorf unter Leitung von Ljudmilla
Vdovichenko zum ersten Mal gegen Bauarbeiten protestierten. Damals wird
auch das Komitee zur Dorfrettung gegründet. Ein Jahr später schreiben die
Bewohner einen offenen Brief an den damaligen Präsidenten Janukowitsch, in
dem sie öffentliche Anhörungen zu den ökologischen Auswirkungen der
Hühnerfabrik fordern. Dann suchen sie nach anderen Mitteln: 2012 wird in
Oljaniza erstmals die Durchgangsstraße blockiert. Die Bewohner fordern eine
Umgehungsstraße, eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 Kilometer pro
Stunde, Schadenersatz für durch den schweren Verkehr entstandene Risse in
den Häusern. Im November 2015 blockieren Bewohner eines Nachbardorfs aus
Protest gegen den geplanten Ausbau der Hühnerfabrik drei Tage lang die
Zufahrtswege zu den Mastanlagen.
Doch der Protest hat plötzlich ganz andere Folgen als erhofft: 2015 und
2016 werden vier Gegner des Ausbaus der Hühnerfabriken von Unbekannten so
schwer zusammengeschlagen, dass sie ärztliche Hilfe benötigten. Zwei
weitere Aktivisten werden plötzlich zur Armee einberufen und müssen an die
Front.
Im Sommer diesen Jahres wendet sich Jurij Urbanskij, der Vorsitzender der
ukrainischen Umweltorganisation Necu, an den ukrainischen Innenminister.
Die Gewalt gegen Gegner der Hühnerfabriken nehme zu. Er möge doch die
jüngsten Überfälle gegen diese Aktivisten zur Chefsache machen, bittet
Urbanskij den Innenminister. Regelmäßig suchen Umweltschützer des Necu die
Anwohner der Ortschaften auf, in denen sich Betroffene über Mastanstalten
beschweren, bieten ihnen Beratung und juristische Unterstützung an.
Gemeinsam mit Bankwatch, einer international agierenden bankenkritischen
Umweltgruppe, kritisiert Necu die Unterstützung der Massentierhaltung durch
europäische Banken wie die Europäische Bank für Wiederaufbau oder die
Europäische Investitionsbank.
Die halbe Milliarde Dollar hätten die Banken besser für andere Projekte
verwendet, kritisieren die Aktivisten. Zur Förderung kleiner und mittlerer
Unternehmen, zum Beispiel in den Bereichen ökologische Landwirtschaft oder
Tourismus. „Die Europäische Bank für Wiederaufbau erklärt, dass sie nur
Projekte fördere, die nachhaltig und demokratiefördernd seien und kleine
und mittlere Unternehmen stärken. Mir scheint, die Förderung des
ukrainischen Agro-Giganten MHP erfüllt keines dieser drei Kriterien“, sagt
Fidanka Bacheva McGrath von der Organisation Bankwatch.
## Man habe nichts zu verbergen, sagt der Fabrikdirektor
Die Europäische Bank für Wiederaufbau weist diese Kritik zurück. Man habe
das Unternehmen geprüft und sei zu der Auffassung gekommen, dass die MHP in
Übereinstimmung mit Umweltstandards der EU arbeite, erklärt Gilles
Mettetal, der Direktor der Bank für den Bereich Landwirtschaft. „Wir sind
der Auffassung, dass diese Firma in der Lage war, eine sehr effektive und
konkurrenzfähige Geflügelproduktion aufzubauen und gleichzeitig gute
Standards bietet. In der Folge bringt sie dem Land zunehmende
Exporteinnahmen, schafft eine beträchtliche Zahl an Arbeitsplätzen.“ Die
Ukraine, so Mettetal, brauche Firmen wie die MHP.
Es sind vor allem die Umweltschützer aus Kiew, London und Brüssel, die in
den Geldern europäischer Banken ein Druckmittel erkennen. Die Aktivistinnen
wie Ljudmilla Vdovichenko vor Ort sehen vor allem einen lokalen Oligarchen,
der mit Hühnerfabriken reich wird. Sie sehen die Berge von Kot, abgekippt
neben den Maisfeldern, und die toten Hühner am Straßenrand, die Lkws ohne
Nummernschilder verloren haben.
Am meisten fürchten Ljudmilla Vdovichenko und ihre Nachbarn um die Qualität
des Wassers. In den Dörfern um Ladyschyn gibt es keine zentrale
Wasserversorgung. Wer in seinem Garten keinen eigenen Brunnen hat, holt
sich vom Brunnen auf der gegenüberliegenden Seite der Straße sein Wasser.
Eine Nachbarin von Ljudmilla Vdovichenko beklagt schon, dass seit einigen
Jahren der Wasserspiegel in ihrem Brunnen sinke. Sie zeigt einen der vielen
Abfallberge von Hühnermist unweit ihres Hauses vor dem Ortseingang. Die
Nachbarin hält sich die Nase zu. Einige dieser Abfallberge liegen auf einem
Betonboden, sind mit einer meterhohen Mauer umgeben. Ein Schutz vor einem
Eindringen der gefährlichen Stoffe in den Boden ist das nicht. Jedes Mal
nach dem Regen sei das Wasser hier ungenießbar.
Wer die werkseigene Kläranlage sehen wolle, könne das gerne tun, sagt der
Fabrikdirektor Igor Leschtschenko in seinem Büro mit der Klimmzugstange. Zu
verbergen habe man nichts, im Gegenteil. Gerade hatte Leschtschenko noch
erklärt, dass es in der Regel 41 Tage dauere, bis die Küken, die in den
Nachbardörfern von Ljudmilla Vdovichenko zur Welt kommen, in der
Hühnerfabrik geschlachtet werden. Man habe allerdings auch Kunden aus Asien
und die bevorzugten jüngere Masthähnchen. „Bei denen ist schon nach 30
Tagen Schluss“, sagt er und macht mit seinen gekreuzten flachen Händen eine
vielsagende Geste.
Leschtschenkos Mastfabrik hat eigene Umweltbeauftragte, Ökologen,
angestellt. Sie würden sogar eine Übererfüllung der Umweltauflagen
umsetzen, sagt der Direktor.
Und so führt Valerij Korol, der Chefökologe der Fabrik, die Besucher stolz
durch die werkseigene Kläranlage. Alles ist vollautomatisiert, pro Schicht
seien nur vier Personen im Einsatz. „Die Anlage entspricht modernsten
europäischen Standards“, sagt der Chefökologe und zeigt auf Fische, die
sich in einem Klärbecken tummeln.
Jeden Monat entnehme ein unabhängiges Labor in Kiew Grundwasserproben, sagt
Korol. Der Chef des Kiewer Labors bestätigt am Telefon, dass sein Betrieb
unabhängig von der Mastfabrik in Winnyzja sei. Allerdings werde das Labor
von MHP, dem Mutterkonzern, also dem Agrargiganten selbst, finanziert.
Und es landen längst nicht alle Verunreinigungen in der Kläranlage. Man
reinige lediglich die Abwässer von Schlachthaus, Inkubator und
Futtermittelanlagen, erklärt der Chefökologe Korol. Die Abwässer der
Masthäuser werden eine gewisse Zeit in Sedimentierbecken gehalten und
würden dann auf die Felder gekippt. Was mit dem Sediment geschieht, kann er
nicht sagen.8.400 Tonnen des Treibhausgases Methan, haben lokale
Umweltschützer berechnet, gebe die Hühnerfabrik Winnyzja jährlich an die
Umwelt ab. Auch 250.000 Tonnen Kohlendioxid und knapp 100 Tonnen Ammoniak
würden jährlich erzeugt.
Ljudmilla Vdovichenko ist jetzt auf dem Weg zur anderen Seite ihres Dorfes.
Sie wird schon erwartet. „Sehen Sie sich meine Beine an, meinen Bauch.
Überall Flecken, Ausschläge. Solche allergische Reaktionen habe ich früher
nie gehabt“, schimpft eine ältere Frau. Ihr Blick schweift zu den Dutzenden
weiß gestrichene Bauten, ungefähr 300 Meter vom Dorfeingang entfernt.
Früher seien die Enkelkinder noch häufig wegen der Landluft aus Kiew
gekommen, sagt sie. Heute fährt sie nach Kiew, um sich zu erholen.
19 Oct 2016
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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