| # taz.de -- Die Wahrheit: Besuch zweier älterer Damen | |
| > Wenn man ein klapperndes Gerät, das mit Papageien spricht, auf Rollen | |
| > kreuz und quer über eine Insel zieht, sollten dabei keine Frauenpaare | |
| > stören. | |
| Bild: Sobald die Sonne herauskommt, skaten sie sich mächtig einen ab | |
| Ichwill hier doch ein wenig genauer ausführen, wie es seinerzeit war, als | |
| uns die beiden älteren Damen besuchten. Der Musikologe de Witt hatte mich | |
| nach dem Frühstück gebeten, mitzuhelfen, ein von ihm selbst entwickeltes | |
| und gebautes Gerät auf Rollen kreuz und quer über die Insel zu ziehen. | |
| Obwohl er als Wissenschaftler keineswegs verpflichtet war, sich einem Laien | |
| gegenüber zu rechtfertigen, erklärte mir de Witt, das – übrigens sehr | |
| schwere – Gerät sei „ein geländegetriebener Apparat, der mit dem Papagei | |
| spricht, wenn es geht“. | |
| Laut singend bahnten wir uns einen Weg durch das hohe Gras. De Witts | |
| unverwechselbarer Diskant tönte über die ganze Insel, mein in den Mitten | |
| etwas topfiger Knabensopran nur über zwei Fünftel der Landmasse. „Wir | |
| müssen wahnsinnig sein“, merkte de Witt in einer stillen Minute an. Ich | |
| erwiderte: „Ja, und zur Schande des Wahnsinns kommt noch das Klappgeräusch | |
| des Apparats.“ Das beruhte auf präziser Beobachtung, denn in der Tat | |
| erzeugte das von uns gezogene Aggregat ein regelmäßiges, sehr störendes | |
| Klappgeräusch. Um es zu überlagern, extemporierten wir Ausrufe, die so | |
| ähnlich klangen wie: „Auf und auf und keine Serenade“ oder „Von der | |
| Beschaffenheit aufwärts mit schlichtem Wuchs!“ | |
| Gegen Mittag kamen wir wieder bei dem einzigen Gebäude auf der Insel an. | |
| Wir wollten uns soeben die Hände waschen gehen, da ereignete sich die | |
| Ankunft der beiden älteren Damen. Der Vorgang wird an verschiedenen Stellen | |
| unterschiedlich dargestellt, hier liest er sich jedenfalls folgendermaßen: | |
| Die eine der beiden älteren Damen trug zwei schwere Koffer, die andere eine | |
| Art Angel, an der eine Mohrrübe hing. „Hallo, Las Vegas!“, riefen beide | |
| Frauen. „Hier ist nicht Las Vegas“, entgegnete de Witt, um Sachlichkeit | |
| bemüht. Die Damen protestierten: „Wie kann hier nicht Las Vegas sein? Wir | |
| sind immer genau der Mohrrübe gefolgt!“ | |
| „Manchmal hilft Abtupfen des Himmels mit hochprozentigem Alkohol“, murmelte | |
| ich, was gottlob niemand hörte. Was aber wollten die beiden älteren Damen? | |
| Nach eigener Aussage wollten sie „den Kantatennotstand in Las Vegas | |
| lindern“. Ob mit Elektronenmilch oder dem Papagei, verrieten sie nicht. Der | |
| Papagei indes, und darauf wiesen sowohl de Witt als auch ich ausdrücklich | |
| hin, gehörte uns und war mithin kein Verhandlungsgegenstand. Später stellte | |
| sich sogar heraus, dass der Vogel die offenkundig navigationsuntaugliche | |
| Mohrrübe der beiden Damen gefressen hatte. | |
| Es gab infolgedessen einiges Durcheinander. Der geländegetriebene Apparat | |
| sprach wegen der Mohrrübe ein ernstes Wort mit dem Papagei, ich wiederum | |
| versuchte erfolglos, alles als Sinnestäuschung hinzustellen, doch nützte | |
| das nichts. De Witt, einige Jahre älter als ich und wesentlich | |
| intelligenter, rettete die Lage zuletzt, indem er versprach, die beiden | |
| älteren Damen höchstpersönlich nach Las Vegas zu bringen und sie bei der | |
| Linderung des dortigen Kantatennotstands nach Kräften zu unterstützen. | |
| Davon hätte beispielsweise Karajan nicht zu träumen gewagt. | |
| 14 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Eugen Egner | |
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