| # taz.de -- Agrarminister Meyer übers Wegwerfen: „Wir brauchen vielleicht Bu… | |
| > Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer will das Wegwerfen | |
| > von Lebensmitteln per Gesetz verbieten. Fast die Hälfte wird nicht | |
| > verbraucht. | |
| Bild: Nur nichts umkommen lassen: Christian Meyer testet Honig. | |
| taz: Herr Meyer, Sie fordern konkrete Schritte gegen | |
| Lebensmittelverschwendung. Wie groß ist das Problem? | |
| Christian Meyer: Fast die Hälfte aller hergestellten Lebensmittel wird | |
| nicht verbraucht. Das ist angesichts des Flächenverbrauchs der | |
| Landwirtschaft und des Welthungers ein Riesenproblem. Ein Teil der Produkte | |
| bleibt gleich auf dem Acker liegen, weil sie nicht der Norm entsprechen: | |
| Die Gurke ist zu krumm, der Apfel zu groß oder klein. Dann wird im | |
| Einzelhandel viel weggeworfen und die Privathaushalte kaufen zu viel. Im | |
| Schnitt wirft jeder Deutsche 82 Kilo Lebensmittel in die Tonne. | |
| Wie konkret können Sie die von Ihnen geforderten Schritte schon | |
| formulieren? | |
| Das französische Parlament hat vergangenes Jahr ein Gesetz gegen | |
| Lebensmittelverschwendung beschlossen. Supermärkte dürfen danach keine noch | |
| genießbaren Lebensmittel, die sie nicht verkauft haben, mehr vernichten. | |
| Sie müssen sie an Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen abgeben. | |
| Kann das französische Gesetz Vorbild für Deutschland sein? | |
| Die Weitergabe nicht verkaufter Lebensmittel an Tafeln, auch durch die | |
| Gastronomie, ist ein zentraler Punkt. Viele Unternehmen machen das ja schon | |
| freiwillig, aber es sollten alle sein. | |
| Dazu braucht es ein Gesetz? | |
| Ein Gesetz allein ist zu wenig. Wir müssen die Verbraucher informieren, die | |
| Gastronomie sensibilisieren, auf den Handel einwirken. Wie oft werden etwa | |
| total überdimensionierte Büfetts angeboten. Es geht auch um die Aufklärung | |
| von Mensen und Kantinen. Wir alle essen ja immer mehr außer Haus. | |
| In Frankreich gab es Widerstand des Einzelhandels und der | |
| Lebensmittelindustrie gegen das Gesetz. Wäre das auch in Deutschland zu | |
| erwarten? | |
| Das kann ich nicht ausschließen. Aber große Teile des Lebensmittelhandels | |
| spenden ja heute schon freiwillig ihre nicht verkauften Produkte an Tafeln. | |
| Was also spricht dagegen, wenn das alle machen müssen? | |
| Ein großes Thema ist auch die Verschwendung in den privaten Haushalten. Ist | |
| hier das Mindesthaltbarkeitsdatum etwas, das in die Irre führt? | |
| Haltbarkeitsdaten benennen ja nicht den Termin, an dem ein Produkt | |
| ungenießbar wird, sondern den Tag, bis zu dem der Produzent für die Güte | |
| des Produkts garantiert. Wenn das Haltbarkeitsdatum der Milch einen Tag | |
| abgelaufen ist, kann man sie meist trotzdem noch bedenkenlos genießen. Und | |
| bei langlebigen Produkten wie Kaffee und Zucker stellt sich sowieso die | |
| Frage nach der Sinnhaftigkeit solcher Daten. Im amerikanischen Sprachraum | |
| heißt es statt Mindesthaltbarkeit lockerer: „best before“, also nach | |
| Möglichkeit vorher essen. Was eben überhaupt nicht ausschließt, es auch | |
| danach noch zu tun. Nach Ablauf der Mindesthaltbarkeit sollte man sich ein | |
| Produkt einfach genau anschauen, statt es gleich wegzuwerfen. | |
| Können wir von Ihnen mehr erwarten als einen flammenden Appell – etwa eine | |
| Bundesratsinitiative? | |
| Wir haben als Land Niedersachsen bereits einen runden Tisch zu dem Thema | |
| eingerichtet, an dem die großen Supermärkte, Landwirte und andere Erzeuger | |
| und auch die Verbraucherzentrale sitzen. Hier sollen Maßnahmenvorschläge | |
| entwickelt werden. In Nordrhein-Westfalen etwa kann man im Restaurant | |
| gleich auf der Speisekarte ankreuzen, ob man die nicht verzehrten Reste | |
| eingepackt bekommen will – das ist dann nicht so peinlich, als das vom | |
| Kellner einzufordern. Zudem brauchen wir Kampagnen, die verdeutlichen, dass | |
| der Apfel, der eine kleine Druckstelle hat, oder der krumme Spargel auch | |
| genießbar sind. Der Einzelhandel bietet heute keinen krummen Spargel an, | |
| weil er davon ausgeht, ihn nicht so gut loszuwerden. Hier sind der Handel | |
| und die Verbraucher gleichermaßen gefragt, denn Natur ist vielfältig und | |
| eben nicht genormt. | |
| Regionale Aktivitäten können aber keine Bundesgesetzgebung erwirken, die | |
| Sie fordern. | |
| Wir haben in der Verbraucherministerkonferenz vom Bund einen Bericht zur | |
| Verschwendung von Lebensmitteln eingefordert und ein konkretes Konzept, wie | |
| dagegen vorgegangen werden kann. Niedersachsen hat 2017 den Vorsitz bei der | |
| Konferenz und steht damit im Fokus. Gleich bei der ersten Konferenz muss | |
| der Bund Anfang des Jahres seinen Vorschlag für eine gemeinsame | |
| Bund-Länder-Strategie gegen Lebensmittelverschwendung vorlegen. Wir | |
| erwarten da ein Gesamtkonzept, das über den Handel hinausgeht und etwa auch | |
| Haltbarkeitsdaten neu definiert. Wir brauchen vielleicht Bußgelder, wenn zu | |
| viel in die Tonne wandert, aber auch Anreize zum Handel mit und Konsum von | |
| Produkten, die aus der Norm fallen. | |
| Ziehen die Länderkollegen da an einem Strang? | |
| Die Aufforderung an den Bund, ein Gesamtkonzept zu erstellen, war | |
| einstimmig. | |
| 4 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Marco Carini | |
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