# taz.de -- Rechtshistoriker über Gerichtsaufnahmen: „Originale für die For… | |
> Ralf Oberndörfer fordert Tonbandaufzeichnungen von Alltagsprozessen. Sie | |
> würden viel über das Verhältnis von Staat und Bürgern aussagen. | |
Bild: Historische Aufnahmen dokumentieren den Prozess gegen NS-Verbrecher Adolf… | |
taz: Herr Oberndörfer, die Bundesregierung plant, dass das Fernsehen | |
künftig Urteile von Bundesgerichten übertragen darf. Prozesse von | |
„herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung“ könnten bald komplett | |
dokumentiert werden. Braucht die rechtshistorische Forschung solche | |
Aufnahmen? | |
Ralf Oberndörfer: Gerichtsverfahren sagen viel über das Verhältnis von | |
Staat und Bürger. Für Rechtshistoriker ist dabei nicht nur das Urteil, | |
sondern auch die Interaktion im Gerichtssaal interessant. Wie reden die | |
Richter mit Angeklagten? Sind die Prozessparteien unterwürfig oder | |
selbstbewusst? Wie plädieren die Anwälte? Presseberichte interpretieren das | |
Geschehen im Licht ihrer Zeit. Deshalb ist es sinnvoll, wenn für die | |
Forschung auch Originalaufnahmen zur Verfügung stehen. | |
Was sind Prozesse von „herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung“? | |
Zum Beispiel die Nürnberger Prozesse gegen die NS-Führung. Sicherlich waren | |
auch der Frankfurter Auschwitz-Prozess in den 1960er Jahren und die | |
RAF-Prozesse in Stammheim für die Entwicklung der Bundesrepublik wichtig. | |
Was ist mit dem NSU-Verfahren gegen Beate Zschäpe und Co.? | |
Ein Prozess, der große mediale Aufmerksamkeit erhält, ist deshalb nicht | |
unbedingt von herausragender historischer Bedeutung. Allerdings geht es im | |
NSU-Prozess auch um Rassismus und die Kontrolle der Geheimdienste. Gut | |
denkbar, dass der Prozess auch später noch als wichtig angesehen wird. | |
Ob ein Prozess dokumentiert wird, muss ja geklärt werden, bevor er beginnt. | |
Wer soll das entscheiden? | |
Laut Gesetzentwurf entscheidet das Gericht selbst, ob sein Verfahren von | |
„herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung“ ist. Das kann zu | |
Fehlsteuerungen führen. Wenn ein Gericht von seiner historischen Rolle sehr | |
überzeugt ist, wird es gern eine Aufnahme beschließen. Ein Gericht, das | |
lieber nicht von der Nachwelt bewertet werden möchte, wird nein sagen. | |
Deshalb wäre hier die Mitwirkung von Archivaren oder Historikern gut. | |
Ist die Beschränkung auf „herausragende“ Prozesse sinnvoll? | |
Nein. Geschichte zeigt sich nicht nur am großen Fall. Genauso wichtig ist | |
die Alltags- und Sozialgeschichte. Dazu gehören etwa Hartz IV-Verfahren vor | |
dem Sozialgericht oder Verhandlungen wegen Abschiebungen vor dem | |
Verwaltungsgericht. Solche Verfahren lassen später vielleicht genauere | |
Rückschlüsse auf die Gesellschaft des Jahres 2016 zu als der NSU-Prozess. | |
Wie sollte ein Prozess dokumentiert werden? Sind Kameras nötig oder reichen | |
Mikros? | |
Eine akustische Aufnahme dürfte im Zusammenspiel mit den Akten eine sehr | |
detaillierte Dokumentation ermöglichen. Ob bewegte Bilder in dem statischen | |
Rahmen einer Gerichtsverhandlung noch einen großen zusätzlichen Nutzen | |
bringen, bezweifle ich. Kameras im Saal könnten auch die Prozessbeteiligten | |
verunsichern und deshalb Gerichte von einer Dokumentation abhalten. | |
Wie lange bleiben die Aufnahmen gesperrt? | |
Nach Archivrecht endet die Schutzfrist erst 30 Jahre nach dem Tod der | |
betroffenen Personen. Die Schutzfrist kann aber bei Personen der | |
Zeitgeschichte wie Exbundespräsident Christian Wulff verkürzt werden – oder | |
wenn die Ergebnisse anonymisiert veröffentlicht werden, etwa bei einer | |
Analyse von Hartz-IV-Verfahren. | |
26 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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