# taz.de -- Aufnahmen aus wichtigen Prozessen: Film ab im Gerichtssaal | |
> In Deutschland ist es strikt verboten, im Gerichtssaal zu filmen. | |
> Justizminister Maas will das Verbot für bedeutende Verfahren aufheben. | |
Bild: Gibt es bald aus Gerichtssälen mehr als Kurzaufnahmen oder Symbolbilder? | |
BERLIN taz | Das Ende des NSU-Prozesses könnte zu historischen Zwecken | |
aufgezeichnet werden. Zuvor müsste der Bundestag allerdings noch einen | |
Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums beschließen. Derzeit befindet | |
sich der Entwurf in der Ressortabstimmung der Bundesregierung. | |
Seit Jahrzehnten ist es in Deutschland strikt verboten, Gerichtsprozesse in | |
Bild und Ton aufzunehmen oder sogar live zu übertragen. So sollen | |
Persönlichkeitsrechte gewahrt und die Beeinflussung der Beteiligten | |
verhindert werden. | |
Der Entwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) schlägt nun drei | |
Lockerungen vor: Urteile von Bundesgerichten sollen künftig übertragen | |
werden können. Bei großem Presseinteresse soll ein separater | |
Medienarbeitsraum mit Tonübertragung eingerichtet werden. Am | |
spektakulärsten ist aber der dritte Vorschlag: Prozesse von „herausragender | |
zeitgeschichtlicher Bedeutung“ können künftig in voller Länge in Bild und | |
Ton dokumentiert werden. | |
Bisher sind solche zeitgeschichtlichen Tondokumente nur zufällig | |
aufgetaucht, wenn Gerichte für interne Zwecke Aufzeichnungen angefertigt | |
hatten und später die Löschung vergaßen. So gibt es Mitschnitte vom | |
Frankfurter Auschwitz-Prozess der 60er Jahre und vom Stammheimer | |
RAF-Prozess der Jahre 1975 und 1976. Zeithistoriker waren begeistert. Nun | |
soll eine gesetzliche Regelung solche Aufzeichnungen ausdrücklich erlauben. | |
Deutschland würde damit dem französischen Beispiel folgen, wo es längst | |
zulässig ist, bedeutende Prozesse für die Nachwelt zu dokumentieren. | |
In der Begründung zum Gesetzentwurf wird davon ausgegangen, dass es in | |
Deutschland „nur alle fünf Jahre“ ein so wichtiges Verfahren geben wird. | |
Das aber ist keine rechtliche Vorgabe. Vielmehr soll jedes Gericht selbst | |
entscheiden, ob es einen Prozess aus historischen Gründen aufzeichnen | |
lässt. Eine Mitsprache der Verfahrensbeteiligten ist dabei nicht | |
vorgesehen. Rechtsmittel gegen die Entscheidung sind auch ausgeschlossen. | |
## Begehrlichkeiten auf Aufnahmen | |
Die Aufnahmen sollen anschließend dem zuständigen Landesarchiv oder dem | |
Bundesarchiv angeboten werden. Wenn das Archiv die Aufzeichnungen nicht | |
haben will, müssen sie vernichtet werden. Damit ist freilich nicht zu | |
rechnen: Denn Archive sammeln alles von „bleibendem Wert“. Dort sind die | |
Aufnahmen zunächst mindestens 30 Jahre gesperrt. Da Persönlichkeitsrechte | |
betroffen sind, gilt zudem eine Sperre bis zehn Jahre nach dem Tod der | |
Hauptbeteiligten – im Bundesarchiv sogar bis 30 Jahre. | |
Die Sperrfristen können nach Archivrecht allerdings verkürzt werden, etwa | |
für wissenschaftliche Projekte oder wenn berechtigte Interessen anderer | |
überwiegen. Vor allem Personen der Zeitgeschichte sind wenig vor | |
Offenlegung geschützt. | |
Wenn solche Aufnahmen existieren, werden sie sicher Begehrlichkeiten von | |
Prozessbeteiligten wecken. Anwälte und Staatsanwälte könnten Einsicht | |
verlangen, um sich besser auf ihre Plädoyers vorzubereiten. Nach dem Urteil | |
könnten die Aufzeichnungen für die Begründung von Rechtsmitteln benutzt | |
werden. So könnte etwa bewiesen werden, dass eine Zeugenaussage im Urteil | |
falsch wiedergeben wurde. | |
Im Gesetzentwurf heißt es nur: „Die Aufnahmen sind nicht zur Akte zu | |
nehmen.“ Es gibt aber kein ausdrückliches Verbot, die Aufnahmen vor oder | |
nach dem Urteil prozessual zu nutzen. | |
18 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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