| # taz.de -- Kommentar Kameras im Gericht: Moderne Öffentlichkeit | |
| > Die Justizministerkonferenz wird sich für mehr Übertragungen aus | |
| > Gerichtssälen aussprechen. Ein zaghafter, aber richtiger Schritt. | |
| Bild: In den USA selbstverständlich: Kamera in einem Gerichtssaal in Albany im… | |
| Die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren birgt Risiken. Zeugen und andere | |
| Verfahrensbeteiligte könnten irritiert oder beeinflusst werden. Angeklagte | |
| stehen am Pranger. | |
| Doch auch ohne Kameras kann es zu diesen Nebenwirkungen kommen. Freunde des | |
| Opfers und des Angeklagten sitzen im Publikum.Sie lachen, sie tuscheln, sie | |
| schauen feindselig. Auch Journalisten haben Zugang zu Prozessen. Am | |
| nächsten Tag stehen präzise Schilderungen in der Zeitung - oder auch | |
| ungenaue, falsche und hetzerische Artikel. Wenn erst jetzt vorgeschlagen | |
| würde, die Öffentlichkeit zu Gerichtsverhandlungen zuzulassen, gäbe es | |
| vermutlich viele Bedenken und keine Mehrheit. | |
| Zum Glück wurde die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen schon in der | |
| Aufklärung durchgesetzt und gehört zum rechtsstaatlichen Standard, den | |
| niemand in Frage stellt. Die Öffentlichkeit steht dafür, dass die Justiz | |
| transparent ist, dass Richter nachvollziehbare Urteile sprechen. Die Justiz | |
| ist fehleranfällig, wie jedes menschliche Handeln. Als öffentliche Gewalt | |
| muss sie deshalb aber auch kritisierbar sein, im Kleinen wie im Großen. | |
| Voraussetzung hierfür ist die Öffentlichkeit. | |
| Begriff und Formen der Öffentlichkeit sind aber nicht statisch. Vor 200 | |
| Jahren war der Journalist mit Stift und Block das Maß der Dinge. Inzwischen | |
| ist längst auch die Übertragung von Bildern und Tönen möglich. Sie weiter | |
| auszuschließen ist anachronistisch. Sie kann eigentlich nur begründet | |
| werden, indem das ganze Unbehagen an der Justiz-Öffentlichkeit auf die | |
| audiovisuellen Medien projiziert wird. | |
| ## Nicht nur die Schlussabstimmung | |
| Doch die Fronten sind so festgefahren, dass schon jede kleine Lockerung wie | |
| ein großer Fortschritt wirkt. Die Konferenz der Landesjustizminister | |
| schlägt heute in Stuttgart vor, dass künftig die Urteile der obersten | |
| Bundesgerichte übertragen werden können. Hier geht es oft um abstrakte | |
| Rechtsfragen, die der Rechtssetzung näher sind als einer Entscheidung von | |
| Einzelfällen. So gesehen wäre es aber konsequent, auch die Verhandlung zu | |
| übertragen. Im Bundestag ist ja auch nicht nur die Schlussabstimmung | |
| transparent. | |
| Wenn man sich allerdings auf die Übertragung von Urteilen beschränken will, | |
| dann könnten auch die Urteile von wichtigen Strafverfahren in die | |
| Liberalisierung einbezogen werden. Denken wir nur an das Urteil im gerade | |
| abgeschlossenen Tugce-Prozess. Was der Richter hier über vorschnelle | |
| Wertungen der Öffentlichkeit sagte, war von großem allgemeinen Interesse. | |
| Und wie er dann erklärte, worauf es juristisch in diesem Fall wirklich | |
| ankam, das hat viele Fehlvorstellungen gerade gerückt. | |
| Ein zweiter Reformvorschlag betrifft die Dokumentation von | |
| „Gerichtsverfahren mit herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung“. Auch | |
| dies ist zu begrüßen. | |
| ## Historisches vom NSU-Prozess | |
| Es ist ein historischer Gewinn, dass es zum Beispiel von den Nürnberger | |
| Kriegsverbrecher-Prozessen Bilder und Ton-Aufnahmen gibt. Auch der | |
| Schrecken des Freislerschen NS-Volksgerichtshof ist audiovisuell | |
| überliefert. Selbst von einigen RAF-Prozessen sind inzwischen | |
| aufschlussreiche Tondokumente aufgetaucht. Es wäre gut, wenn der Nachwelt | |
| auch das Vorgehen bei bedeutenden Verfahren wie dem NSU-Prozess in München | |
| im Original überliefert würde. | |
| Dieser Vorschlag birgt allerdings am meisten Sprengstoff. Denn wenn die | |
| Aufnahmen erst mal in der Welt sind, wird man sie kaum für fünfzig Jahre | |
| wegschließen können. Anwälte und Journalisten werden auf Herausgabe klagen, | |
| um die Dokumente nutzen zu können. Das könnte noch spannend werden. | |
| Eher eine Selbstverständlichkeit ist dagegen der dritte Reformvorschlag. | |
| Wenn das Prozessgeschehen bei großem Medienandrang in einen Nebenraum | |
| übertragen wird, ist dies gerade kein Rundfunk und deshalb eigentlich schon | |
| heute erlaubt. Nachdem aber das Oberlandesgericht München die „erweiterte | |
| Saalöffentlichkeit“ trotz großen Bedarfs abgelehnt hat, ist eine | |
| gesetzliche Klarstellung sinnvoll. | |
| Die Vorschläge der Justizminister sind zwar halbherzig, aber immerhin ein | |
| Aufbruchsignal. | |
| 18 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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