# taz.de -- Berichterstattung über Flüchtlinge: Und Abdul Karim hört zu | |
> Der Journalist Jaafar Abdul Karim spricht mit Geflüchteten statt nur über | |
> sie. Populär ist er vor allem in arabischen Ländern. | |
Bild: Geboren in Monrovia, aufgewachsen in der Schweiz und im Libanon, nun in D… | |
Für einen Moment knackt seine professionelle Schale. Jaafar Abdul Karim, | |
Reporter der Deutschen Welle, steht mit Kefah Ali Deeb, geflüchteter | |
Kinderbuchautorin aus Syrien (und taz-Autorin), in ihrer neuen Wohnung in | |
Berlin. Die Kamera filmt ihr Gespräch. Ob es jemanden gebe, der ihr | |
nahestehe und im Gefängnis sitze, will Karim wissen. Da wendet Deeb der | |
Kamera den Rücken zu, schluchzt und sagt, sie möchte nicht darüber | |
sprechen. Jaafar Abdul Karim schluckt, guckt ein bisschen hilflos, dann | |
fängt er sich. | |
Eigentlich ist er solche Situationen mittlerweile gewöhnt. Seit gut einem | |
Jahr berichtet er monatlich in einem [1][Videoblog für Spiegel Online] und | |
die Deutsche Welle über Flüchtlinge, besucht Erstaufnahmeeinrichtungen, | |
sendet aus den Flüchtlingslagern auf Lesbos. Für eine RBB-Reportage hat er | |
nun fünf KünstlerInnen in Berlin begleitet. Er fragt nicht mehr, warum sie | |
da sind. Er will wissen, wie sie sich eingelebt haben. „Die Politik und | |
einige Medien sind sehr damit beschäftigt, auf die Unterschiede zwischen | |
deutscher Kultur und den Flüchtlingen hinzuweisen. Aber was soll das | |
bringen?“, fragt Abdul Karim. | |
Viele Migranten sähen ihn als „einen von ihnen“, sagt er. Geboren ist er in | |
Monrovia, Liberia, aufgewachsen im Libanon und in der Schweiz. Er spricht | |
fließend Arabisch, hat braune Augen, schwarze Haare. Das mache es ihm | |
leichter, mit den Menschen aus der arabischen Welt ins Gespräch zu kommen, | |
sagt er. Man sieht das auch: In vielen Filmsequenzen ist er umgeben von | |
einer Traube von Menschen. Jede und jeder will gehört werden. Und Abdul | |
Karim hört zu. | |
Als halb Deutschland im Sommer über Frauen in der Burka spricht, ist Jaafar | |
einer der ersten Journalisten, der eine vor die Kamera bekommt. [2][In | |
seinem Videoblog] stellt er sie einer Muslimin aus Saudi-Arabien gegenüber, | |
die die Burka abgelegt hat, und lässt sie diskutieren. Am Ende serviert | |
Abdul Karim keine Meinung, kein Richtig oder Falsch. „Es geht mir darum, zu | |
verstehen, warum die Leute denken, was sie denken“, sagt er drei Wochen | |
nach der Sendung. Er sitzt im Café der Deutschen Welle und spricht schnell, | |
fast gehetzt. | |
## Qutenmigrant, na und? | |
Stört es ihn nicht, dass er in deutschen Medien als der | |
„Flüchtlingsvermittler“ auftritt? Fühlt er sich festgenagelt auf die Them… | |
Migration und Islam? „Überhaupt nicht“, sagt er und wird energisch. „Ich | |
spreche vier Sprachen, komme durch meine eigene Geschichte leicht mit | |
Geflüchteten und Ausländern ins Gespräch – wieso soll ich das nicht nutzen? | |
Wenn jemand meint, ich erfülle damit die Rolle des Quotenmigranten, dann | |
soll er das meinen.“ | |
2001 kam er nach Dresden zum Studieren. Neben dem Studium hat er beim MDR | |
gearbeitet. Der schickte ihn 2006 für eine Reportage in den Libanon, in den | |
Krieg. „Da habe ich gemerkt, dass ich genau das machen will: berichten aus | |
der arabischen Welt.“ Er landete bei der Deutschen Welle, dort entwarf er | |
mit einem Team die Idee des „[3][Shabab Talk]“. Shabab ist arabisch und | |
heißt Jugend. Die Sendung soll junge Menschen zusammenbringen, die sonst | |
nicht zusammenkommen. In der ersten Sendung 2011 standen sich ein Mitglied | |
der Jungen Union und eines der Muslimbrüder gegenüber. Ihre Diskussion | |
wurde hitzig, aber genau das ist es, was Abdul Karim will. „Viele Zuschauer | |
erwarten von so einer Sendung, dass da nur Experten sprechen: Politiker, | |
Wissenschaftler, Philosophen. Aber jeder ist Mitglied der Gesellschaft. | |
Also soll auch jeder sprechen können.“ | |
„Shabab Talk“ diskutiert die Themen, die viele staatliche Nachrichtensender | |
in der arabischen Welt nicht anfassen: Warum gibt es keine weiblichen | |
Imame? Wie lebt es sich als Homosexueller in der arabischen Welt? Wie viel | |
Macht hat die Jugend in diesen Ländern? Die Sendung wird schnell ein Erfolg | |
in der arabischen Welt. Rund vier Millionen Menschen sehen sie wöchentlich. | |
Allein in diesem Jahr hat das arabische Programm der Deutschen Welle seine | |
Reichweite um rund 50 Prozent gesteigert – auch dank Karims Popularität. | |
## „Shabab Talk“ vor Ort | |
Seit gut einem Jahr tourt die Sendung durch arabische Länder. Einmal im | |
Monat sendet Abdul Karim von vor Ort, zuletzt aus den kurdischen Gebieten | |
im Nordirak, in zwei Wochen aus Beirut, dann Bagdad und Kuwait. Abdul Karim | |
ist in diesen Ländern mittlerweile bekannt. Das zeigt sich auch in den | |
sozialen Netzwerken: Herzen und Likes bekommt er fast nur von | |
arabischsprachigen Usern. | |
Trotzdem ist „Shabab Talk“ nicht unumstritten: „Nach unserer Sendung über | |
weibliche Imame haben uns viele wütende Zuschauer geschrieben, wir hätten | |
die Regeln des Koran in Frage gestellt. Weibliche Imame seien nun mal nicht | |
vorgesehen, und das dürfe man nicht hinterfragen.“ Nach diesen Mails, sagt | |
Abdul Karim, wusste er, dass die Sendung das richtige Thema angesprochen | |
hatte. Dennoch: „Die Mentalität dieser Diskussionskultur kenne ich aus den | |
arabischen Ländern. Da gibt es nur: Entweder du bist für eine Sache oder | |
gegen sie. Als neutraler Journalist bist du für sie schon Gegner.“ | |
Abdul Karim ist es wichtig, Distanz zu wahren. Neben seinem Wohnhaus in | |
Berlin ist eine Flüchtlingsunterkunft. Er war als Journalist einmal drin, | |
als Privatperson würde er das nicht machen. Da ist er sich seiner | |
professionellen Schale ganz sicher. | |
15 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.spiegel.de/thema/jaafars_videoblog/ | |
[2] http://www.spiegel.de/video/jaafars-videoblog-ueber-burka-verbot-video-1697… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=roT8XTFUo1s | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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