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# taz.de -- Neue Spielzeit in der Schwankhalle: Hinschmelzende Erfahrung
> Die wegen vermeintlich zu verkopften Programms in die Kritik geratene
> Bremer Schwankhalle eröffnet die Spielzeit mit einer Performance zur
> Liebe.
Bild: Nicht gerade berühmt als Schauplatz von Liebesgeschichten: Europas nörd…
BREMEN taz | Im Film auf der Leinwand läuft einer durchs ewige Eis. Eine
Stunde lang knirschende Schritte, gelegentliches Straucheln, immer zu auf
einen Fjord, der mal täuschend nah zu sehen ist, dann wieder für Minuten
hinter einer Anhöhe verschwindet. Um Liebe geht es hier, behaupten
Experimentalfilmer Daniel Kötter und Komponist Hannes Seidl, die das Stück
gemeinsam konzipiert haben. Und wer heute ein Stück über Liebe macht, so
sagen sie weiter, der könne dafür unmöglich zwei Menschen auf die Bühne
stellen: „Die Geschichte wäre damit schon erzählt.“
Dies ist ein dritter Teil über gesellschaftliche Kräfte. Vorher haben sie
das Geld erforscht und das Recht.Auch das als Verbindung von Film und
Bühnengeschehen. Bei der Liebe ist Wolfram Sander, der Mann im Eis, zwar
irgendwie schon, dann aber doch nicht so richtig allein. Denn während er
oben im Film durch Norwegen stapft, steht er live auch auf der Bühne der
Schwankhalle, wo er einen Eisklotz fachmännisch in Einzelteile sägt, bohrt
und kloppt.
## Bescheidene Zuschauerzahlen
Ein echter „Icebreaker“ ist also die Performance zum Auftakt der neuen
Schwankhallen-Spielzeit. Und das ist zwar zugegebenermaßen ein Kalauer,
darum aber nicht weniger wahr. Denn tatsächlich hätte die Stimmung im Hause
zum Ende der Sommerpause besser sein können. Kürzlich hatte Leiterin Pirkko
Husemann selbstkritisch über die bescheidenen Zuschauerzahlen ihrer ersten
Spielzeit berichtet und auch gleich Ansätze skizziert, das Problem in den
Griff zu bekommen (taz berichtete). Der Weser Kurier trat nach, schrieb vom
„Theater-Gau“ und von der Verantwortungslosigkeit, so mit öffentlichen
Zuschüssen umzugehen. Also Aufführungen zu präsentieren, „die so verkopft
sind, dass Zuschauer ratlos zurückbleiben“.
Nun waren sie aber doch wieder da, die Vermeintlich-Ratlosen, und
diskutierten im Anschluss an die gut besuchte Aufführung mit Performern,
Produzenten und der Hausleitung. Der neue Zuschauerinnenbeirat ist mit
dabei, eines von Husemanns neuen Instrumenten, mit den Bremer Publikum in
den Dialog zu treten. Jetzt reden sie über die Liebe, über das technisch
schwierige Filmen im Eis. Und wie es sich anfühlt, wenn die vom Darsteller
im Raum verhängten Eisbrocken langsam schmelzen, die Luft befeuchten – und
Musik spielen.
## Liebe durch Zerstörung
Denn das ist der Clou der Performance: Die Schmelzwasser-tropfen fallen auf
ein Schlagzeug nieder, spielen Bass- und Gitarrenseiten, dröhnen als
schwerer Brocken, der auf Keybordtasten liegt und beim Verflüssigen langsam
leiser wird. Über sein Wegschmelzen ist der Eisblock mit der Zeit
irgendwann überall: Als wäre aus dem Klotz ein Gletscher um das Publikum
erwachsen, knarzt, tropft und birst es überall.
Die Liebe also erscheint im Bild oben zielstrebig und klingt unten
zauberhaft atmosphärisch und ist dabei technisch kaum zu steuern. Der
Performer reagiert nur, stellt sich und seine Gerätschaften aufeinander
ein. Die Liebe ist nur durch Zerstörung zu haben, trotzdem fragil und dazu
noch vergänglich: Ist das Eis nach einer guten Stunde geschmolzen, dann
sind Stück und Musik vorbei.
Ob es hier nun überhaupt ums Verstehen geht, oder doch eher um die neue
gemeinsame Erfahrung – darüber diskutieren die BesucherInnen noch eine
ganze Weile angeregt weiter. Und über „diese Kulturjournalisten“. Nur
klingt es, als hätte man von denen, anders als vom postdramatischen
Theater, die Schnauze gestrichen voll.
„Liebe: Ökonomie des Handelns 3“ zieht bereits über Stuttgart weiter nach
Wien weiter.
In der Schwankhalle feiert nun das „Steptext Dance Project“ 20. Geburtstag:
Samstag um 19 Uhr, Sonntag um 14 Uhr.
3 Sep 2016
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
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