| # taz.de -- Tanzsport versus Bühnentanz: Hochburg gegen Hochburg | |
| > In Bremen treffen zwei Protagonisten des modernen Tanzes auf den | |
| > Tanzsport der Lateinformation des Grün-Gold-Clubs. Doch die Welten | |
| > bleiben sich fremd. | |
| Bild: So sehen WeltmeisterInnen aus | |
| BREMEN taz | Tanz und Tanz, soviel ist jetzt sicher, passen gar nicht | |
| zusammen. Aber das macht nichts. Und diese, ja nicht einmal überraschende | |
| Erkenntnis spricht auch gar nicht gegen das Stück. | |
| „And now with music“ gleicht ohnehin eher einer Versuchsanordnung, und von | |
| Anfang an ist dieser Test eher von forschender Neugier getragen denn von | |
| einer klaren These. Es ist ein Selbstversuch der beiden TänzerInnen Magali | |
| Sander Fett und Tomas Bünger. Die beiden waren unter dem Choreografen Urs | |
| Dietrich viele Jahre lang feste Ensemblemitglieder am [1][Bremer Theater], | |
| ehe sie 2013 das Tanz-Kollektiv-Bremen gründeten. Und nach all der Zeit, in | |
| der sie eben nur zeitgenössischen Tanz gemacht haben, erkunden sie nun ihre | |
| eigene Welt aus dem Blickwinkel des Tanzsports: Sie haben sich auf die | |
| Lateinformation des [2][Grün-Gold-Clubs Bremen] eingelassen, die im | |
| Dezember gerade wieder mal Weltmeister geworden sind, zum achten Mal jetzt | |
| schon. Das Ergebnis ist an diesem Wochenende in der Bremer | |
| [3][Schwankhalle] zu sehen. | |
| Die Idee zu diesem Stück ist im Grunde naheliegend, zumal Bremen eben nicht | |
| nur seit Langem ein Zentrum des Tanzsportes ist, sondern auch des | |
| zeitgenössischen Tanzes. Trotzdem ist sie immer noch neu. Nicht obwohl, | |
| sondern vielleicht gerade weil beide Sparten des Tanzes hier auf sehr hohem | |
| Niveau arbeiten. | |
| Viele Spielarten, viele renommierte ProtagonistInnen des modernen | |
| Tanztheaters sind eng mit Bremen verbunden, seit Johann Kresnik es hier in | |
| den Sechzigern neu erfand. Viele, die in dieser Szene einen großen Namen | |
| haben, waren hier: Reinhild Hoffmann, Susanne Linke, fast alle, so scheint | |
| es, außer Pina Bausch. Sie machten aus dem Tanz- ein politisches Theater – | |
| fortan sollte es eine Aussage bekommen, die Gesellschaft reflektieren und | |
| dabei die traditionelle Ballett-Ästhetik hinter sich lassen. | |
| ## Ein „Kuriosum“ | |
| „Die Profitänzer aus dem zeitgenössischen Tanz sehen Formationstanz wohl | |
| eher als Kuriosum“, sagte Tomas Bünger in einem Interview mit der | |
| [4][Kreiszeitung]. | |
| Und umgekehrt ist es genauso: „Wir belächeln diese Tänze, bei denen alle | |
| auf dem Boden herumrollen“, sagt einer der Tänzer von Grün-Gold in einem | |
| der Videos, die in dem Stück die mehrwöchigen Recherchen des | |
| Tanz-Kollektivs widerspiegeln. Dass Bremen auch eine Hochburg des | |
| Tanztheaters ist – das war ihm „völlig neu“. Hier treffen zwei Welten | |
| aufeinander, die sich nur auf den ersten Blick irgendwie nahe sind. Beide | |
| begegnen sich auch in Bremen so gut wie nie. | |
| Leider, und das hätte den Perspektivwechsel von Magali Sander Fett und | |
| Tomas Bünger sicher noch spannender gemacht, ist dieser Versuch ein | |
| einseitiger. Der Platz für das zweite Paar, eines von Grün-Gold, bleibt | |
| leer. Aber die SpitzensportlerInnen aus dem Team um den künstlerisch | |
| durchaus ambitionierten Choreografen Roberto Albanese haben eben alle einen | |
| Beruf zum Geldverdienen und neben dem Training deshalb kaum Zeit für ein | |
| Projekt wie dieses. Im vergangenen Jahr wurde die Bremer Lateinformation | |
| gerade das fünfte Mal in Folge Weltmeister und zum zehnten Mal Deutscher | |
| Meister. Selbst die B-Mannschaft um Uta Albanese tanzt bundesweit ganz vorn | |
| mit. An einer Choreografie, die im Oktober aufgeführt wird, arbeiten die | |
| TänzerInnen von Grün-Gold seit April. | |
| Anders als im Bühnentanz gibt es im Tanzsport immer „ein Richtig und | |
| Falsch“, sagt Bünger. Es geht nicht um den Stil oder den Einzelnen, es geht | |
| erst einmal um reine Technik, um die möglichst perfekte Einhaltung der | |
| vorgegebenen Regeln. In der Formation wird daraus eine Art Massenphänomen – | |
| und genau daraus bezieht sie auch ihre unglaubliche Energie, ihre | |
| Faszination. Zugleich bekommen die TänzerInnen etwas maschinenhaftes, | |
| selbst wenn ihre Bewegungen natürlich wirken. Und die Choreografie ein | |
| wenig den Charakter eines Aufmarsches, einer Parade. | |
| ## Das „absolute Einheitsgefühl“ | |
| „In der Formation weißt du, wo du hingehörst“, sagt einer der Tänzer von | |
| Grün-Gold. Und das „absolute Einheitsgefühl“, dass daraus entsteht, macht | |
| eben auch den „Kick“ aus. Dass gerade der lateinamerikanische Tanz dabei | |
| auch die überkommenen Rollenklischees unhinterfragt weiter trägt, der Mann | |
| also führt und die Frau eben folgt, ist klar. Auch wenn Magali Sander Fett | |
| am Ende fragt: Kann nicht auch mal die Frau der Mann sein – und | |
| andersherum? Aber um solche Dimensionen geht es im Tanzsport halt nicht. | |
| Am Ende entzaubert „And now with music“ den Mythos von Grün-Gold, ein wenig | |
| jedenfalls. Ihren Tänzen, der Rumba etwa, begegnen die beiden TänzerInnen | |
| immer wieder mit Ironie, und vielleicht steckt auch ein wenig eigene, | |
| vielleicht auch ungeliebte Erinnerung darin: Die beiden mussten all das ja | |
| auch mal lernen. Manchmal bewegt sich das Stück dann an der Grenze zur | |
| Überheblichkeit, und natürlich kommen Magali Sander Fett und Tomas Bünger | |
| am Ende zu dem Ergebnis, dass ihre eigene die überlegene Form des Tanzes | |
| ist. Tanzsport ist eben näher am Ballett als am modernen Tanz. Und damit, | |
| zumindest aus dessen Sicht, eine Art Relikt. | |
| ## Liebenswert selbstironisch | |
| Liebenswert gebrochen – und damit auch wieder angemessen respektvoll – wird | |
| das Stück, weil die beiden TänzerInnen auch die nötige Selbstironie haben. | |
| Sie haben kein Scheu, sich auch über sich selbst lustig zu machen. Eines | |
| ihrer Videos, mit „Lernen“ überschrieben, zeigt auf ganz wundervolle, | |
| witzige Weise, wie sehr das Paar deklassiert wird, sobald es sich auf das | |
| Terrain von Grün-Gold begibt. Dieser empirische Versuch degradiert sie zu | |
| AnfängerInnen – und hält ihnen eben auch selbst einmal den Spiegel vor. | |
| Denn natürlich kann es hier nicht darum gehen, genauso gut zu sein wie die | |
| TänzerInnen von Grün-Gold. | |
| Am Ende ist der Versuch von Magali Sander Fett und Tomas Bünger nicht | |
| gescheitert. Aber er hat die beiden Welten, ihre Traditionen und | |
| Sichtweisen eben auch nicht näher zusammengebracht. Enttäuscht kann nur | |
| sein, wer etwas in dieser Art erwartet hat. Der Abend ist ein ganz | |
| wunderbarer. | |
| Übrigens auch, nein: gerade für jene, die es sonst nicht so mit dem | |
| Tanztheater haben, sondern lieber ins Schauspiel gehen (oder ins Kino). | |
| Schließlich ist „And now with music“ auch sehr viel geerdeter und weniger | |
| abstrakt als es Tanztheater sonst oft ist. | |
| 13., 14., 15. Januar, jeweils 20 Uhr, Schwankhalle Bremen, | |
| Buntentorsteinweg 112/116 | |
| 13 Jan 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.theaterbremen.de | |
| [2] http://www.ggcbremen.de | |
| [3] http://www.schwankhalle.de | |
| [4] http://www.kreiszeitung.de/kultur/taenzerin-choreograph-magali-sander-fett-… | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
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