# taz.de -- Leitungswechsel in der Schwankhalle: Gewachsen am Kompromiss | |
> Nach fünf Jahren geht Schwankhallen-Leiterin Pirkko Husemann zurück nach | |
> Berlin. Sie hinterlässt ein Haus, das bestens vernetzt ist. | |
Bild: Ein graues, aber überregional ausstrahlendes Haus: Die Schwankhalle in d… | |
Bremen taz | Pirkko Husemann nimmt Abschied durch die Hintertür. Allerdings | |
nicht aus Scham oder falscher Bescheidenheit, sondern wegen Corona und der | |
Gesundheit. Selbst die interne Abschiedsfeier für ihre Mitarbeiter:innen | |
hat die scheidende Schwankhallen-Chefin hygienemäßig auf zwei Abende und | |
Gruppen verteilt. | |
Nach fünf Jahren in Bremen geht es für Husemann zurück nach Berlin – | |
verhältnismäßig früh und ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als es in der | |
Bremer Kulturszene endlich mal wieder bergauf geht. Dass es nach Jahren | |
harten Sparkurses jetzt eine Verdopplung der Projektmittel für die freie | |
Szene gibt, sei großartig und längst überfällig gewesen, sagt Husemann. | |
„Und ich hätte mir gewünscht, diese Zeit noch mitzukriegen, wo ein bisschen | |
mehr Luft ist und Gruppen endlich unter halbwegs professionellen | |
Bedingungen arbeiten können.“ Aber ums Geld geht es bei diesem Abschied | |
eigentlich nicht. Der sei eine ganz persönliche und familiäre Entscheidung | |
und habe „nichts mit Frust über Bremer Verhältnisse zu tun.“ | |
Wirklich verdrossen klingt sie nicht, sondern in der Retrospektive auch | |
stolz auf die eigene Arbeit: „Wir haben es geschafft, die Schwankhalle zu | |
einem bundesweiten Player zu machen“, sagt sie und meint weniger, dass nun | |
ein überregionales Publikum angereist käme, sondern die Künstler:innen. | |
Tatsächlich werden die heute nicht mehr nur eingeladen, sondern bewerben | |
sich auch ihrerseits um Residenzen in der Schwankhalle. | |
Eine weniger erfreuliche Geschichte ist der „Theater Gau“ zum Ende von | |
Husemanns erster Spielzeit: Die Zahlen waren schlecht, das Bremer Publikum | |
noch nicht warm geworden mit dem neuen Team. Husemanns selbstkritischer | |
Bilanz trat der Weser Kurier nach, problematisierte die inhaltliche | |
Ausrichtung des Hauses angesichts der öffentlichen Fördermittel. | |
Und auch wenn sich die Schwankhalle nach außen gelassen gab und den Vorwurf | |
des zu „verkopften“ Programms direkt in eine ironische Werbekampagne | |
überführte: Die Situation war ernst, auch weil die Förderung erst mal nur | |
für ein Jahr verlängert wurde. „Das war einfach sehr früh ein Schlag in die | |
Magengrube“, sagt Pirkko Husemann, an dem ein Rattenschwanz an persönlichen | |
Entscheidungen hing. „Wer weiß: Vielleicht würde ich jetzt mit Kind und | |
Kegel in Bremen leben, wenn das nicht passiert wäre.“ | |
Doch es ging wieder bergauf. Die Schwankhalle hat die Kooperationen mit der | |
lokalen Szene ausgebaut, die heute auch in den Sälen der Schwankhalle | |
gastiert. Und man geht raus in den Stadtraum. Ein nicht nur in diesem | |
Zusammenhang wichtiges Projekt war „Sorgenfrei“ in 2017. Da hat die | |
Schwankhalle ein Haus im Hulsberg-Viertel bespielt, in dem früher | |
Mitarbeiter:innen des Klinikums lebten. Die Zwischennutzung ist | |
ambitioniert und anspruchsvoll auch in der Vermittlung zwischen | |
Künstler:innen, Klinik, Nachbarschaft – und einer Öffentlichkeit, die das | |
neue Viertel auch mit Skepsis beobachtet. „Sorgenfrei“, sagt Husemann, war | |
in dieser Gemengelage wie „maßgeschneidert für Bremen“. Für die | |
Schwankhalle war die Zwischennutzung „eine Chance, zwischen Wissenschaft | |
und Kunst zu arbeiten. Für die Klinik war's natürlich auch ein | |
Prestigeprojekt.“ | |
Veränderungen gab es aber auch im Normalbetrieb des Hauses: Statt formaler | |
und theatertheoretischer, komplexer Produktionen rücken die Themen der | |
Inszenierungen in den Mittelpunkt. Beim Publikum kommt das offensichtlich | |
an: Die Zahlen werden besser und man weiß auch zu schätzen, welches | |
politische Profil sich entlang der konkreten Inhalte abzeichnet: Die | |
Schwankhalle entwickelt umfangreiche Programmschwerpunkte für queeren | |
Feminismus und gegen den rassistischen Normalzustand. Druck von außen hin | |
oder her: Ein Einknicken gegenüber Behörden und der Lokalpresse sieht | |
anders aus. | |
Außerdem sei ohnehin völlig logisch, sagt Husemann, „dass du mit deinem | |
Konzept kommst und es dann auf die Stadt anpassen musst“. Vieles ist ja | |
auch geblieben: Die zunehmend präsenteren Bremer Künstler:innen treffen in | |
der Schwankhalle heute auf regelmäßig gastierende Gruppen aus Berlin, | |
Gießen oder anderswo – und profitieren von deren Erfahrungen. „Ohne diese | |
Netzwerke hätte ich das auch gar nicht machen wollen“, so Husemann. „Ich | |
komme nicht aus Bremen und ich wollte kein rein lokales Programm machen, | |
sondern eine Mischung.“ | |
Unterm Strich klingt sie zum Ende nachdenklich, aber nicht unzufrieden: | |
„Ich habe getan, was ich in der gegebenen Zeit tun konnte, aber jetzt ist | |
der Punkt, an dem ich die Kompromisse, die ich dafür eingehen musste, nicht | |
mehr tragen kann.“ In Berlin wird Pirkko Husemann nun Vorstandsvorsitzende | |
der Stiftung Stadtkultur, mit dem Auftrag, Immobilien einer städtischen | |
Wohnungsgesellschaft mit Kultur zu bespielen. Ein bisschen wie „Sorgenfrei“ | |
kann man sich das vorstellen, nur das zwischen den anderen kreativ zu | |
nutzenden Gebäuden in Lichtenberg zufällig auch noch so ein altes | |
Sowjettheater mit 600 Plätzen herumsteht... | |
Und so schade es um die öffentliche Verabschiedung auch ist: Für die | |
Schwankhalle hat der Zeitpunkt während Corona auch Vorteile. Bis zum Sommer | |
2022 hat die Interims-Doppelspitze aus Marta Hewelt und Florian Ackermann | |
Zeit, den Laden durch die Krise zu führen und erspart Husemanns Nachfolge | |
damit den Horror, ein neues Konzept unter Hygienebedingungen an den Start | |
zu bringen – und ermöglicht hoffentlich einen entspannteren Einstand in | |
Bremen zu begehen als ihre Vorgängerin. | |
6 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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