Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bremen-Quote für Bremer Theater: „Wir wollen uns nicht abschotte…
> Die freie Theaterszene Bremens fordert angesichts der Corona-Pandemie
> eine 70-Prozent-Quote für bremische Produktionen in der örtlichen
> Schwankhalle.
Bild: Spüren viel Frust in Bremens Theaterszene: Michael Rettig (links) und Ra…
Herr Knapp, Herr Rettig: Warum muss die [1][Bremer Schwankhalle] bremischer
werden?
Ralf Knapp: Der Plan für die [2][Schwankhalle] war ja von Anfang an, eine
Spielstätte für die freie Szene Bremens zu sein. Natürlich muss die auch
Impulse von außen bekommen und darf nicht immer nur im eigenen Saft kochen.
Aber in Bremen haben wir eher das Problem, dass die freie Szene gar keinen
Ort hat! Von daher ist es etwas zynisch zu sagen: Wir müssen Raum für
überregionale Produktionen schaffen.
Michael Rettig: Hinzu kommt, dass wir eine aktuelle Situation haben, die
durch Corona definiert ist. Die Künstler:innen hier hatten über ein Jahr
lang nichts zu tun. Deshalb halten wir es für angemessen, dass wenigstens
für zwei Jahre der Programmanteil der freien Bremer Szene in der
Schwankhalle auf 70 Prozent erhöht wird.
So steht es in Ihrem offenen Brief, den neun Vertreter:innen dieser
freien Szene erstunterzeichnet haben. Und zum August 2022 bekommt die
Schwankhalle eine neue künstlerische Leitung. Die könnte das umsetzen …
Ralf Knapp: Dann könnten auch die jetzt in der Pandemie aufgelegten
Stipendienprogramme in tatsächliche Veranstaltungen überführt werden. Wo
sollen denn all die schönen Projekte, die da entstehen, sonst zur
Aufführung kommen?
Die Künstler:innen leiden doch überall im Lande unter der Pandemie.
Michael Rettig: Aber müssen sie deshalb zusätzlich darunter leiden, dass
sie keine Orte haben, an denen sie ihre Produktionen zeigen können?
Ihre Idee erinnert an die Debatte um eine Quote für deutsche Musik im
Radio. Ist das Ihr Vorbild?
Ralf Knapp: Nein. In Bremen fehlte es in den 18 Jahren, in denen es die
Schwankhalle nun gibt, stets an Vertrauen in die freie Szene der Stadt. Man
hat ihr schlicht nicht zugetraut, einen solchen Ort zu füllen. Dann kann
sich auch nichts entwickeln. Diesen Ort braucht es ganz dringend. Und die
Gelegenheit jetzt ist günstig.
Aber warum ist die Herkunft aus Bremen überhaupt ein Qualitätskriterium?
Ralf Knapp: Es geht einfach darum, dass man vor Ort Möglichkeiten schafft,
die Arbeiten zu zeigen, damit sich Qualität oder Nicht-Qualität vor
Publikum erweisen kann.
2016 hat der [3][Weser-Kurier] moniert, das Programm der Schwankhalle sei
„zu verkopft“. Sehen Sie das auch so?
Michael Rettig: Nein! Die Schwankhalle hat sich unter der Regie von Pirkko
Husemann in vieler Hinsicht positiv entwickelt. Seitdem sie weg ist,
scheint sich allerdings, soweit man das beurteilen kann, der Fokus stark
auf Fragen sexueller, kultureller und ethnischer Identitäten
einzuschränken. Man müsste das aber mit sozialen, ökologischen und
ökonomischen Themen zusammendenken. Menschen definieren sich ja nun nicht
nur beispielsweise über ihre sexuelle Orientierung, sondern sie müssen auch
arbeiten und ihre Miete bezahlen. Und dass muss sich dann eben auch im
Spielplan widerspiegeln. Es nützt ja nur bedingt, wenn die Sprache
sensibel, aber die Bezahlung beschissen ist. Das sollte man nicht
voneinander trennen!
Sie fordern einen Ort für die Kulturproduktion der freien Szene Bremens.
Aber warum wird die anderswo zu wenig gezeigt?
Michael Rettig: Da spielen viele Dinge eine Rolle – aber es liegt nicht
unbedingt an der Qualität.
Ralf Knapp: Natürlich ist Bremen für Bremer Produktionen der erste
Anlaufpunkt, zumal Gastspiele für die freie Szene sehr schwer zu
organisieren sind.
Michael Rettig: Wir haben eher den Eindruck, dass Bremer Produktionen mehr
Zuspruch beim Publikum finden als Gastspiele von anderswo. Aber wir wollen
uns da keinesfalls abschotten.
Hat die Bremer Kulturpolitik die freie Szene der Stadt vernachlässigt?
Michel Rettig: Wir formulieren erst einmal einen Anspruch an die
Findungskommission des Trägervereins der Schwankhalle. Die Behörde ist
nicht Mitglied der Findungskommission. Etwas merkwürdig, ist aber so.
Die Schwankhalle muss „ein Ort der Debatte, des Austausches, des Streits
über ästhetische, kulturelle und politische Fragen“ werden, heißt es in
ihrem offenen Brief. Was fehlt bisher?
Michel Rettig: Zum Teil findet das schon statt, aber man könnte es noch
intensivieren. Das könnte zusätzliches und auch jüngeres Publikum
generieren. Nehmen Sie die Debatte um Cancel Culture oder Klassismus: Es
gibt keinen Ort in Bremen, an dem das debattiert wird – dabei bewegt das
viele Menschen. Das Theater hätte da eine große Chance, sonst wird es
unfreiwillig zum Musentempel.
Das [4][Theater am Goetheplatz] oder auch die Bremer [5][Shakespeare
Company] nimmt aber doch auch für sich in Anspruch, solche
gesellschaftlichen Fragen zu verhandeln.
Michael Rettig: Ja, doch wir wollen das in der Schwankhalle programmatisch
mit einem festen Format verankern.
Aber richten sich Ihre inhaltlichen Forderungen nicht auch an andere
Theater der Stadt?
Ralf Knapp: Die Schwankhalle ist als höchst nervöser Ort mit einem
hellwachen Publikum einfach prädestiniert für solche Debatten.
Hat die Anbindung an die Szene der Stadt in der Vergangenheit der
Schwankhalle schon mal besser funktioniert?
Ralf Knapp: Nein: Das Problem haben wir seit fast 20 Jahren! Pirkko
Husemann, die mit einem sehr rigiden künstlerischen Programm gestartet ist,
hat später total umgesteuert und sich der freien Szene Bremens geöffnet.
Absurd vielleicht, dass ausgerechnet wir als alte weiße Männer nun eine
Perspektive für die freie Theaterszene einklagen, aber wir arbeiten an
dieser Öffnung schon seit einer Zeit, als wir noch gar keine alten weißen
Männer waren.
Pirkko Husemanns eigene Bilanz mündete in dem Satz: „Wir haben es
geschafft, die Schwankhalle zu einem bundesweiten Player zu machen“. Würden
Sie da widersprechen?
Ralf Knapp: Der Einfluss und die Wirkung der Schwankhalle nach außen kann
ich schwer beurteilen, scheint mir aber, was Eigenproduktionen angeht, eher
gering.
Wie ist die Resonanz auf Ihren offenen Brief?
Michael Rettig: Überwiegend zustimmend! Hier und da mit interessanten
Differenzierungen. Wir wünschen uns eine offene Debatte zu dem Thema, am
besten in der Schwankhalle.
Ralf Knapp: Aber es ist in den Reaktionen schon auch viel Frustration
darüber zu spüren, dass die freie Szene Bremens in der Schwankhalle nur
bedingt vorkommt.
Soll deren neue künstlerische Leitung denn auch aus Bremen kommen?
Michael Rettig: Ich finde es nicht zwingend, dass das jemand aus Bremen
wird. Genauso wenig zwingend allerdings wie aus Berlin.
31 Mar 2021
## LINKS
[1] /Leitungswechsel-in-der-Schwankhalle/!5693825
[2] https://schwankhalle.de/
[3] https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-kultur_artikel,-Kommentar-Theater…
[4] https://www.theaterbremen.de/de_DE/home?p=1#?d=2021-03-30&f=a
[5] https://www.shakespeare-company.com/
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Freies Theater
taz.gazete
Quote
Schwankhalle
Deutsche Kultur
Bremer Theater
Performance
taz.gazete
sexuelle Selbstbestimmung
Schwankhalle
## ARTIKEL ZUM THEMA
Abschied von der Bremer Schwankhalle: „Es wird auch emotional“
Eine Party mit Performances von 15 bis 3 Uhr: So sagt die Leitung der
Bremer Performing-Arts Spielstätte nach sieben Jahren Lebewohl.
Leitungswechsel in der Schwankhalle: Gewachsen am Kompromiss
Nach fünf Jahren geht Schwankhallen-Leiterin Pirkko Husemann zurück nach
Berlin. Sie hinterlässt ein Haus, das bestens vernetzt ist.
Projekte der sexpositiven Szene: Hilfreiches Pornogucken
In Zeiten der Kontaktsperre verlegen auch sexpositive Theatermacher:innen
und Sexshop-Betreiber:innen ihre Workshops und Performances ins Internet.
Autor Rettig über Marx Jubiläum: „Die Sinnlichkeit des Denkens“
Die Schwankhalle feiert den Jubilar Karl Marx: Den Auftakt macht am
Donnerstag Michael Rettig mit einer Bühnenfassung von „Das Kapital, Band
1“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.