# taz.de -- Nach dem Putsch in der Türkei: Erdoğan will die Todesstrafe | |
> Der Präsident hält an der Wiedereinführung von Hinrichtungen fest. Zudem | |
> will er die USA offiziell um die Auslieferung Fethullah Gülens ersuchen. | |
Bild: Die Toten in der Türkei: Ein Polizist wird zu Grabe getragen | |
Istanbul dpa | Ungeachtet aller Mahnungen aus Europa ist der türkische | |
Präsident Recep Tayyip Erdoğan bereit, in seinem Land die Todesstrafe | |
wieder einzuführen. Dies betonte er in der Nacht zum Dienstag in einer Rede | |
vor Anhängern in Istanbul sowie im Gespräch mit CNN. Voraussetzung sei ein | |
verfassungsändernder Beschluss des Parlaments, sagte Erdoğan in seinem | |
ersten Interview nach dem gescheiterten Militärputsch dem | |
US-Nachrichtensender CNN. „Wenn sie (die Parteien) bereit sind, das zu | |
diskutieren, dann werde ich als Präsident jede Entscheidung des Parlaments | |
billigen.“ | |
Er kündigte zudem weitere Konsequenzen nach dem gescheiterten Putsch von | |
Teilen des Militärs an. Am Mittwoch werde es Sitzungen des Nationalen | |
Sicherheitsrats und des Kabinetts geben, sagte Erdoğan vor | |
Regierungsanhängern an seinem Wohnsitz in Istanbul. Dabei werde eine | |
„wichtige Entscheidung“ fallen, die er noch nicht verraten wolle. | |
In seiner Rede in Istanbul bekräftigte er seine Bereitschaft zur | |
Wiedereinführung der Todesstrafe. Deren Abschaffung im Jahr 2004 sei kein | |
Hindernis. „So wie diese Unterschriften getätigt worden sind, können sie | |
auch zurückgenommen werden. Es reicht, dass unser Parlament das | |
entscheidet. Es sind keine Gesetze, die man nicht verändern kann.“ | |
Erdoğan verwies dabei bei CNN auf einen Wunsch seines Volkes nach der | |
Höchststrafe. „Warum sollte ich sie (die Putschisten) auf Jahre hinweg im | |
Gefängnis halten und füttern? – das sagen die Leute.“ Die Menschen wollten | |
„ein schnelles Ende“ der Putschisten, zumal sie Angehörige, Nachbarn oder | |
Kinder verloren hätten. | |
## Unterstützung von rechts | |
Die ultrarechte Oppositionspartei MHP hat ihre Unterstützung für eine | |
mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe zugesagt. „Wenn die | |
(Regierungspartei) AKP dazu bereit ist, sind wir es auch“, sagte MHP-Chef | |
Devlet Bahceli am Dienstag bei einer Fraktionssitzung in Ankara. „Auch wir | |
würden das befürworten und das Nötige ohne Bedenken tun.“ Die MHP sei nicht | |
dagegen, die Todesstrafe etwa bei Putsch-, Kriegs- oder Terrorgefahr | |
anzuwenden. „Die Putschisten sollen nie wieder Tageslicht sehen.“ | |
Mit der Unterstützung der MHP hätte die AKP ausreichend Stimmen, um ein | |
Referendum für eine entsprechende Verfassungsänderung zu beschließen. Dann | |
würde eine einfache Mehrheit im Volk reichen, um die 2004 abgeschaffte | |
Todesstrafe wieder einzuführen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat | |
angekündigt, dass er eine solche Verfassungsänderung unterzeichnen würde. | |
Erdoğan hatte am Sonntag angekündigt, mit der Opposition über eine | |
Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe beraten zu wollen. | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte daraufhin am Montag deutlich gemacht, | |
dass bei einer Rückkehr zur Todesstrafe für die Türkei kein Platz in der | |
Europäischen Union wäre. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte | |
erklärt: „Kein Land kann Mitgliedstaat der EU werden, wenn es die | |
Todesstrafe einführt.“ Auch der Europarat kündigte für diesen Fall an, dass | |
die Türkei dann nicht mehr Mitglied sein könne. | |
## Auslieferung Gülens | |
Massive Kritik an Erdoğans Auslegung der Demokratie übte Martin Schulz, | |
Präsident des Europäischen Parlaments. „Die Sprache, die da gewählt wird, | |
ist ja verräterisch“, sagte er in den ARD-Tagesthemen am Montag. | |
„Säuberung“, „Metastasen ausmerzen“, das ist ja nicht die Sprache der | |
parlamentarischen Demokratie, sondern die eines autoritären Herrschers, und | |
was wir erleben, ist, dass Erdoan versucht, das Land der AKP und sich | |
selbst endgültig und definitiv zu unterwerfen.“ | |
Nach CNN-Angaben erklärte Erdoğan zudem, er werde die USA in den kommenden | |
Tagen offiziell um die Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen ersuchen. | |
Gülen lebt in den USA im Exil; er bestreitet Erdoğans Vorwürfe, in den | |
Putschversuch verwickelt zu sein. Bisher ist in den USA nach Angaben des | |
Außenministeriums noch kein offizieller Antrag der Türkei auf Auslieferung | |
Gülens eingegangen. | |
Die EU-Staaten riefen unterdessen die türkischen Behörden eindringlich zur | |
Zurückhaltung auf. „Es muss alles dafür getan werden, weitere Gewalt zu | |
vermeiden“, heißt es in einer am Montag von den Außenministern in Brüssel | |
verabschiedeten Erklärung. Es gehe jetzt darum, neue Opfer zu vermeiden und | |
wieder Ruhe herzustellen. | |
Seit dem Putsch am Freitag sind nach Angaben von Regierungschef Binali | |
Yildirim 7.543 Verdächtige festgenommen worden, darunter 6.038 Soldaten und | |
100 Polizisten, 755 Richter und Staatsanwälte sowie 650 weitere Zivilisten. | |
Mehr als 13.000 Staatsbedienstete wurden suspendiert, darunter 7.899 | |
Polizisten und 2.745 Justizbeamte. | |
19 Jul 2016 | |
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