# taz.de -- Glücksspiel im Internet: Vom Gaming zum Gambling | |
> Glücksspiel ist mehr als Roulette und Poker. Online handeln vor allem | |
> Jugendliche mit Skins: digitalen Waffen aus dem Spiel „Counter-Strike“. | |
Bild: Waffen aus dem Spiel Counter-Strike werden zum Wetteinsatz in Onlinekasin… | |
Mit 14 hat Christian Winkler angefangen, im Internet um sein Glück zu | |
spielen. Zwei Jahre lang handelte der Junge aus dem österreichischen | |
Kärnten mit virtuellen Waffen. Bezahlt hat er sie mit echtem Geld – | |
Taschengeld und seinen Ersparnissen. Am Ende hatte er 1.200 Euro verloren, | |
„viel Geld für einen 16-Jährigen“, sagt er selbst. | |
Christian Winkler, der sich auf seinem Spieler-Account „Tactical Idiot“ | |
nennt, ist einer von Hunderttausenden, die in Onlineglücksspielen | |
sogenannte Skins als Währung einsetzen. Skins sind Waffen, mit denen auch | |
Winkler gehandelt hat: digitale Messer, Pistolen und Gewehre. | |
Sie stammen aus dem Online-Taktik-Spiel „Counter-Strike: Global Offensive“, | |
kurz CS:GO. Es ist eines der meistgespielten Onlinespiele. Ein Team von | |
Terroristen kämpft darin gegen eine Antiterroreinheit. Die Waffen aus dem | |
Spiel dienen nicht nur als Statussymbol in der CS:GO-Community, sondern | |
auch als Wetteinsatz zum Beispiel in Onlinekasinos. | |
Wer CS:GO spielt, bekommt gelegentlich solche Waffen über die | |
Internetvertriebsplattform „Steam“ geschenkt. Steam ist der größte | |
Onlinemarktplatz für Games und gehört ebenso wie CS:GO zum | |
milliardenschweren US-Konzern Valve. Im „Waffeninventar“ des Steam-Accounts | |
eines Spielers lagern zig virtuelle Messer und Gewehre. Zum Teil legen | |
Spieler sie wie Aktien an. | |
## Virtuelle Waffenkisten ab ein paar Cent | |
Auf Steam können die Spieler virtuelle Waffenkisten ab ein paar Cent | |
kaufen, die passenden Schlüssel kosten durchschnittlich 2,20 Euro. Beim | |
Öffnen der Kiste wird per Zufallsprinzip ein Skin ausgewählt – mit ein | |
wenig Glück erhält der Spieler einen seltenen Skin, der hunderte Dollar | |
wert ist – mit Pech nur einen einfachen Skin unter einem Dollar. Die | |
virtuellen Waffen können aber auch einfach direkt bei Steam gekauft werden. | |
Auf weiteren Drittanbieterseiten können die Spieler Skins kaufen, aber auch | |
ihre eigenen Skins verkaufen – ein richtiger Markt eben. Die Skins gibt es | |
in einer großen Preisspanne. Zum Verkauf stehen etwa laut | |
Produktbeschreibung ein „fabrikneues“ Klappmesser für gut 131 US-Dollar | |
oder ein „einsatzerprobtes“ und „mit lebhaften arktischen Farben | |
lackiertes“ Sturmgewehr für gut 7 US-Dollar. | |
Der 21-jährige Alexander Hugo besitzt eine sehr teure virtuelle Waffe: ein | |
Scharfschützengewehr mit Drachenmuster, im Marktwert von 1.000 Dollar. Hugo | |
war Manager eines deutschen Teams während zweier CS:GO-Weltmeisterschaften. | |
Warum sein Drachengewehr so begehrt ist? „Weil es besonders schön aussieht | |
und sehr selten ist“, meint Hugo. Außer der Optik böte es im Spiel | |
keinerlei Vorzüge. Ein reines Statussymbol eben, wie ein teurer Autolack, | |
erklärt er. | |
Mittlerweile haben sich die bemusterten Waffen aus dem Counter-Strike-Spiel | |
zu einer Währung entwickelt. „CS:GO Skins werden ähnlich der Kryptowährung | |
Bitcoin als Internetwährung genutzt“, sagt Hugo. Dieser virtuelle Markt ist | |
ein Milliardengeschäft. | |
Einem Report des kalifornischen Forschungsinstituts Eilers & Krejcik Gaming | |
zufolge würden im Skin-Wetten-Markt dieses Jahr rund 7,4 Milliarden Dollar | |
eingesetzt. Das ist zwölf mal mehr als die Summe, die die etablierten | |
Anbieter von Onlinewetten und -kasinos wie bet365 oder Ladbrokes zusammen | |
einnehmen. | |
## Im Netz herrscht Wilder Westen | |
In Deutschland wie in Österreich, der Heimat des Teenagers Christian | |
Winkler, ist das Glücksspiel für unter 18-Jährige verboten, egal ob offline | |
oder online. Während in Deutschland der analoge Glücksspielmarkt streng | |
reguliert ist, herrscht im Netz Wilder Westen. Die Behörden kommen den | |
technologischen Entwicklungen kaum hinterher. | |
Wer mit seinen Skins glücksspielen will, muss sich mit seinem Steam-Account | |
auf illegalen Drittanbieter-Seiten anmelden. So registrieren sich | |
Jugendliche in Sekundenschnelle auf diesen Glücksspielseiten, ohne | |
nennenswerte Altersverifikation. „Wenn überhaupt, muss man einfach nur | |
bestätigen, dass man 18 ist“, sagt Christian Winkler. Er kennt Kinder in | |
den unteren Klassen seiner Schule, 10- bis 11-Jährige, die 100 US-Dollar | |
pro Woche für Skins investieren. | |
„Onlineglücksspiele sind, soweit sie im Ausland gehostet sind, sehr | |
schwierig zu kontrollieren – dies gilt auch für andere rechtswidrige | |
Inhalte, deren Server im Ausland stehen“, sagt Otto Vollmer von der FSM, | |
der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Anbieter. Die FSM ist ein | |
Verein zum Jugendmedienschutz, der Unternehmen bei der Alterseinstufung | |
ihrer Onlineprodukte unterstützt. „Viele Gambling-Angebote sind im Ausland | |
gehostet – auch wenn sie deutschsprachig auftreten. Deswegen stellt sich | |
die Frage, wie diese Seiten rechtlich einzuschätzen sind und ob ein | |
Einschreiten überhaupt de facto möglich ist“, meint Vollmer. | |
Den Bremer Psychologen Tobias Hayer würde es wundern, wenn im Bereich des | |
Onlineglücksspiels mit virtuellen Waffeneinsätzen keine gefakten Accounts | |
oder Wettmanipulationen auftauchen. | |
## Der Glücksspielmarkt im Web wächst enorm | |
„It’s all about money“, meint er. Seit dem ersten Online-Poker 1995 bis | |
heute wächst der Markt an Glücksspielen im Netz enorm, Forscher wie Hayer | |
kommen mit Studien kaum nach. Er betrachtet „die Verschmelzung zwischen | |
Gaming und Gambling mit etwas Sorge“. Denn dadurch würden gerade junge | |
Menschen angesprochen. | |
Etwa 1 Prozent der Erwachsenen in Deutschland, rund 500.000 Menschen, und | |
etwa 3 Prozent der Jugendlichen sind glücksspielsüchtig. | |
Der 16-jährige Christian Winkler sagt, wie die Sucht bei ihm funktionierte: | |
„Wenn ich meine eingekauften Skins beim Zocken verloren hab, hat mich das | |
irgendwann kaum noch geärgert. Ich bin abgestumpft. Aber das tolle Gefühl, | |
wenn ich Skins gewonnen habe, das ist immer geblieben.“ Das Problem ist | |
laut Glücksspielforscher Hayer: „Je früher Kinder und Jugendliche mit | |
Glücksspielen anfangen, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie auch für | |
Glücksspiele mit echtem Geld suchtanfällig werden.“ | |
In den USA wehren sich nun die ersten Wettopfer. Am 23. Juni reichte | |
Michael John McLeod Klage gegen die Firma Valve ein. Der | |
Counter-Strike-Spieler gab an, selbst die Skins bei Valve gekauft und sie | |
als Glücksspielwährung eingesetzt zu haben. Als Minderjähriger und später | |
Erwachsener habe er dadurch viel Geld verloren. Der CS:GO-Konzern Valve | |
profitiere indirekt von den illegalen Glücksspielen, da er diese | |
„Kasino-Chips“ verkaufe und nichts gegen das Gambling unternehme. | |
## Drei Anbieter flogen schon als Betrüger auf | |
Anfang Juli reichten eine Mutter und deren minderjähriger Sohn aus Florida | |
zu der bereits existierenden Klage eine weitere hinzu, die sich neben der | |
Firma Valve auch gegen die Glücksspielseite „CS:GO Lotto“ richtet. | |
Nahezu zur selben Zeit flogen drei Anbieter von Glückspielseiten mit Skins | |
als Betrüger auf. YouTube- und TwitchTV-Stars, mit jeweils mehr als einer | |
Million Abonnenten, filmten sich dabei, wie sie auf Glücksspielseiten mit | |
Skins wetteten. Ihre Fans schauten ihnen dabei zu, wie sie Beträge im | |
fünfstelligen Bereich gewannen. Jetzt stellte sich heraus, dass diese | |
Männer die Eigentümer der Kasino-Seiten waren, auf denen sie spielten und | |
für die sie Werbung machten. | |
Mitte Juli erschien eine knappe Stellungnahme von Valve, dem als sehr | |
verschwiegen geltenden Konzern: Valve habe nichts mit diesen | |
Glücksspielseiten zu tun, und fordere diese nun auf, zu schließen. Anfragen | |
der taz zum Gespräch blieben unbeantwortet. Tatsächlich ist jetzt ein | |
Großteil der Anbieterseiten von Glücksspielen mit Skins down. | |
## Valve verdient an Skins | |
Vom Skin-Markt profitiert vor allem Valve. Kurz nachdem das | |
Softwareunternehmen die virtuellen Waffen 2013 in einem Update einführte, | |
verzeichnete das Spiel CS:GO steile Zuwächse. | |
Das Wirtschaftsmagazin Bloomberg legte in einer Recherche im April offen, | |
dass Valve von jedem auf dem Marktplatz Steam verkauften Skin 15 Prozent | |
der Transaktionskosten erhält. Die Spieleranzahl von CS:GO steigerte sich | |
innerhalb von zwei Jahren um 1.500 Prozent. Heute spielen 380.000 Leute | |
weltweit zu jeder Zeit das Spiel gleichzeitig. | |
Das ist es auch, was Cristian Winkler, den 16-Jährigen aus Österreich, in | |
die Sucht gezogen hat. „Weil viele Freunde von mir gegambelt und anfangs so | |
viel gewonnen haben, wurde ich da auch hineingezogen. Wert war’s die Sache | |
aber nicht.“ Christian Winkler hat aufgehört zu spielen. Ins Kasino zu | |
gehen, würde ihn schon reizen, „aber das ist ja leider erst ab 18“. | |
Nicht nur Kontrollen der Webseiten, sondern die – alte – Forderung nach | |
mehr Medienkompetenz sei sinnvoll, Kinder und Teenager vor der Gefahr der | |
Glücksspielsucht zu schützen, sagt der Onlinejugendschützer Vollmer. | |
Jugendliche müssten zu mündigen Nutzern werden, mit Unterstützung vor allem | |
der Eltern und Schulen. | |
Dazu müssten diese sich aber erst mal dafür interessieren, was ihre Kinder | |
am Bildschirm so treiben. | |
16 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Bigna Fink | |
Henri Zeiseler | |
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