# taz.de -- Marieluise Beck über ihren Rückzug: „Bremen macht sich klein“ | |
> Die Bremer Grüne Marieluise Beck sitzt seit 30 Jahren im Bundestag. | |
> Obwohl sie es gern getan hätte, wird sie 2017 nicht erneut kandidieren. | |
Bild: Will „nicht erneut in eine Kampfkandidatur gegen maßgebliche Kräfte d… | |
taz: Frau Beck, Sie hätten gern noch einmal für den Bundestag kandidiert, | |
wollen jetzt aber nicht mehr und haben in einer Erklärung an den Bremer | |
Landesverband der Grünen geschrieben, „nicht erneut in eine Kampfkandidatur | |
gegen maßgebliche Kräfte des Bremer grünen Establishments“ zu gehen. Wer | |
ist Ihnen in den Rücken gefallen? | |
Marieluise Beck: Es geht hier nicht um eine Dolchstoßlegende. Ich habe zur | |
Kenntnis genommen, dass führende Leute aus der Partei entschiedenen | |
Widerspruch gegen eine erneute Kandidatur angemeldet haben. Mehr gibt es | |
dazu nicht zu sagen. | |
Trifft Sie die Kritik, Bundestagsabgeordnete sollten sich mehr um | |
Wahlkreis-Interessen kümmern? | |
Selbstverständlich müssen Abgeordnete auch Interessen ihres Wahlkreises | |
vertreten. Niemand kann mir im Ernst vorwerfen, ich wäre für Bremen nicht | |
aktiv gewesen. Gleichzeitig haben Abgeordnete ein bundespolitisches Mandat. | |
Wir vertreten die gesamte Bevölkerung, nicht nur den Wahlkreis, und wir | |
sind für das ganze Spektrum der Politik zuständig. In der Tat es so, dass | |
Außenpolitiker in ihren Wahlkreisen oft einen schweren Stand haben, weil | |
sie sich weniger für lokale Belange einsetzen können. Aber die Grünen sind | |
als Menschenrechts- und Europa-Partei angetreten. Unser Spruch war: Die | |
Erde hat keinen Notausgang. Bremen macht sich selbst klein, wenn es nicht | |
mehr international denkt. | |
Ihr Bundestagsmandat geht bis Sommer 2017 – was haben Sie danach vor? | |
Ich habe über die letzten zehn Jahre ein großes Netzwerk zu Bürgerrechtlern | |
und der demokratischen Opposition in Osteuropa aufgebaut, insbesondere nach | |
Russland und in die Ukraine. Diese Arbeit werde ich fortsetzen, so gut das | |
ohne Mandat möglich ist. Alles andere wird sich zeigen. | |
Ärgert es Sie manchmal, wenn osteuropäische Staaten die EU nur als | |
Beutegemeinschaft betrachten? | |
Auch die deutsche Haltung zur EU ist nicht selbstlos. Die britische | |
Bevölkerung hat sogar für den Austritt aus der EU votiert. Man sollte nicht | |
immer mit dem Finger nach Osten zeigen. Aber es stimmt, in Polen und Ungarn | |
verstärken sich die autoritären Tendenzen. Offensichtlich läuft die | |
demokratische Transformation dieser Gesellschaften nicht gradlinig. Aber | |
auch Nigel Farage kämpft in Großbritannien seit Jahren gegen die | |
innereuropäische Freizügigkeit. Wir dürfen den Populismus, die | |
Infragestellung des Rechtsstaates, die Stimmungsmache gegen Einwanderung in | |
Polen und Ungarn nicht anders bewerten als in Großbritannien und oder bei | |
uns. | |
Winkt die EU zuviel mit Förderung? Macht die Europäische Union in Osteuropa | |
ihre politische Werteordnung hinreichend deutlich? | |
Im Kern zielen die Förderprogramme der EU auf den Aufbau demokratischer | |
Institutionen und einer modernen Infrastruktur. Das ist vernünftig. Darüber | |
hinaus gibt es Förderung für zivilgesellschaftliche Initiativen und | |
kulturelle Zusammenarbeit. Dabei muss man ganz Europa im Blick haben. Es | |
ist töricht, wenn die EU den Wettbewerb um die Kulturhauptstadt Europas | |
aufruft, die russischen Freunde aus der Uralstadt Perm sich aber nicht | |
bewerben können. Die Spaltung Europas, die durch Stalin, Roosevelt und | |
Churchill auf Jalta besiegelt wurde, ist immer noch nicht überwunden. Wie | |
das Meer von EU-Fahnen auf dem Maidan gezeigt hat, empfinden das die | |
Menschen in der Ukraine stärker als wir. Die Bürgerbewegungen in den | |
autoritären Staaten kämpfen darum, dass ihre Länder demokratischen, | |
freiheitlichen und rechtsstaatlichen Werten entsprechen. | |
Sie unterstützen diese Bürgerbewegungen – gibt das auch manchmal Konflikte | |
mit EU-Institutionen? | |
Ich sehe die Zögerlichkeit eher in Teilen der deutschen Politik. Sie hat | |
den Hang, autoritäre Strukturen im Namen der Stabilität zu stützen und | |
Bewegungen von unten, also die Unruhe, die aber Freiheit bedeutet, wie eine | |
Gefahr zu behandeln. Das war schon in der Spätphase der Ostpolitik so. | |
Vor 25 Jahren haben Sie dafür gestritten, den Bosniern auch militärisch zu | |
Hilfe zu kommen, um dort einen Völkermord zu verhindern. Heute scheint das | |
ehemalige Jugoslawien nicht nur wirtschaftlich ein hoffnungsloser Fall, | |
sondern auch unter den Gesichtspunkten von Demokratie und Menschenrechten. | |
Stellt das nicht den Sinn von Militärinterventionen infrage? | |
Immerhin wird dort nicht mehr geschossen und gestorben. Und mehr noch, in | |
allen ex-jugoslawischen Republiken hat sich eine demokratische | |
Zivilgesellschaft entwickelt. Ja, die Transformationen sind sehr viel | |
zögerlicher, als wir gehofft haben und brauchen mehr Zeit. Aber dennoch: | |
War es nicht richtig, dass die NATO mit einem Mandat der UN den Massakern | |
und Vertreibungen in Bosnien ein Ende bereitet hat? Die Frage der | |
Intervention ist immer konkret. Nicht zu intervenieren bedeutet ja nicht, | |
dass der Krieg nicht stattfindet. Das sehen wir derzeit in Syrien. | |
Marieluise Becks ausführliche Erklärung an den Landesverband der Grünen zu | |
ihrem Verzicht auf eine weitere Kandidatur für den Bundestag findet sich im | |
Internet unter [1][www.marieluisebeck.de]. | |
14 Aug 2016 | |
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[1] http://www.marieluisebeck.de/ | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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