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# taz.de -- Präsidentschaftswahlkampf in den USA: Zusammenleben unter Waffen
> Seit Dallas herrscht Unruhe in den USA. Der laxe Umgang mit Waffen
> entzweit das Land. Das polarisiert auch im Wahlkampf.
Bild: In Teilen der USA wird das Recht auf Waffenbesitz höher bewertet als das…
Mitte Juli wurden die USA erneut von Unruhen erschüttert, die den
Präsidentschaftswahlkampf noch weiter polarisieren. Polizisten haben an
zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei Afroamerikaner aus bisher
ungeklärten Gründen erschossen. Von beiden Taten tauchten Filmaufnahmen in
den sozialen Medien auf. Daraufhin erschoss ein schwarzer Heckenschütze
fünf weiße Polizisten in Dallas, die während eines bis dahin friedlichen
Protests gegen rassistische Gewalt im Dienst waren.
Anders als in vielen europäischen Ländern, in denen Parteien Migranten
verteufeln und das politische Gravitationszentrum nach rechts ziehen, lenkt
der zunehmend in den Mittelpunkt tretende Themenkomplex Diskriminierung und
Gewalt US-Innenpolitik eher nach links. Er stützt Hillary Clinton und
drängt Donald Trump an den Rand.
Trumps Übernahme der Republikaner – befeuert durch seine Versprechen,
mexikanische Einwanderer mithilfe einer Mauer von den USA fernzuhalten, und
Muslimen „für eine gewisse Zeit“ die Einreise ins Land zu untersagen –,
ging einher mit dem Aufstieg rechtspopulistischer, gegen Einwanderer
hetzender Parteien in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und anderen
europäischen Ländern. Auch der Brexit zeigt, wie ausgeprägt und
tiefgreifend isolationistisches Empfinden in England ist.
Während 87 Prozent der Briten weiß sind, sind es in den USA nur 62 Prozent.
Die weiße US-Bevölkerung nimmt ab. Und das weiße Amerika ist politisch
gespalten. Wie der Politikwissenschaftler Michael Tesler in der Washington
Post erklärte, gibt es innerhalb der weißen Community seit Kurzem
divergierende Ansichten über sogenannte Rassenthemen – was die Rechten
schwächt.
In den sechziger Jahren „stimmten weiße Demokraten und weiße Republikaner
beim Thema ‚Rasse‘ weitgehend überein“, weshalb „aufkommende Spannungen
zwischen ethnischen Gruppen die rassistischen Demokraten“ in die Arme der
Republikaner treiben konnten. Aktuellen Meinungsumfragen zufolge haben
weiße Demokraten und Republikaner unterschiedliche Ansichten zum Beispiel
bei der Frage, ob Afroamerikaner von der Polizei systematisch ungerecht
behandelt werden.
## Demokratische Partei auch Option für Latinos
Liberale Weiße fühlen sich traditionell der Demokratischen Partei
zugehörig. Seit sie unter Präsident Lyndon B. Johnson 1964 das
Bürgerrechtsgesetz implementiert hat, ist sie auch zur politischen Heimat
für Afroamerikaner geworden. In jüngster Zeit ist die Demokratische Partei
auch vermehrt für Latinos zur Option geworden, die von der
Anti-Einwanderungspolitik der Republikaner verschreckt werden.
Trump spaltet seine eigene Partei. Er erhielt nur 45 Prozent der Stimmen in
den innerparteilichen Vorwahlen zum Präsidentschaftskandidaten der
Republikaner. Er ist nicht in der Lage, seine Partei auf einheitlichen Kurs
zu bringen, geschweige denn, unabhängige Wähler oder solche von den
Demokraten abzufischen.
So ist es weniger der Rückgang der weißen Bevölkerung, der die politische
Strömung in den USA beeinflusst. Die Konzentration nichtweißer Wähler in
der Demokratischen Partei bringt ihre weiße Stammwählerschaft dazu, eine
beeindruckende Koalition einzugehen.
Außerdem gibt es Berichte, wonach die Videos von den Schüssen auf Philando
Castile und Alton Sterling so erschütternd sind, dass sie weiße
Konservative dazu brachten, ihre Haltung zu überdenken. Matt Lewis,
Kolumnist beim konservativen Daily Caller, gestand in einem Text: „In
Zeiten von Facebook und Smartphones muss man feststellen, dass
Polizeigewalt gegen Afroamerikaner ein weit verbreitetes Problem ist. Ich
wuchs auf mit dem Bewusstsein, dass die Polizei immer recht hat. Im Zweifel
für die Polizei. Das war, bevor jeder mit eigener Kamera filmte.“
Ähnlich äußerte sich der konservative Radiotalkmaster Erick Erickson in
seiner Sendung. Er erklärte, dass seine ideologischen Bundesgenossen „eine
Neukalibrierung“ bräuchten. Er wäre stets der Überzeugung gewesen, dass
„die Polizei aufgrund der hohen Gewaltrate junger schwarzer Männer
untereinander allen Grund dafür hätte, enorm achtsam zu sein, wenn sie mit
ihnen zu tun haben“.
Erickson fordert Konservative nun auf, darüber nachzudenken, wohin diese
Logik geführt hat: „Glauben Sie, dass ein schwarzer Autofahrer eher
‚stichprobenartig‘ von der Polizei kontrolliert wird als ein weißer? Wenn
Sie nun mit ‚Nein‘ antworten, sind Sie noch nicht in der Realität
angekommen.“
## Trump setzt auf Nostalgie
Lewis und Erickson sind jüngere Republikaner, die ihrer Partei dabei helfen
wollen, in einem immer bunter gemischten Land zu überleben. Dem entgegen
setzt der 69-jährige Trump in seinem Wahlkampf ganz offen auf Nostalgie,
die von ebenfalls älteren Weißen goutiert wird. Nach den Schüssen in Dallas
nahm er das Law-and-Order-Mantra wieder auf, mit dem schon Richard Nixon
1968 seine Präsidentschaftswahlkampagne bestritten hatte.
Er verteidigt nur die Polizei, hat aber keinerlei Reformvorschläge. Zwar
war Trump vorsichtig genug, die beiden ermordeten Afroamerikaner nicht als
bösartig oder gefährlich zu verunglimpfen. Aber er ist nicht in der Lage
oder einfach nicht interessiert daran, emotional und sachkundig darüber zu
sprechen, dass Afroamerikaner vor Polizeiübergriffen geschützt werden
müssen.
Während also der Umgang mit ethnischen Minderheiten eine Herausforderung
für Trump darstellt, ist es für Clinton die Waffengesetzgebung. Die Schüsse
in Dallas waren nicht einfach nur ein schamloser Angriff auf unschuldige
Polizeibeamte. Es war bereits die vierte Massenschießerei an einem
öffentlichen Ort in diesem Jahr. Das linksliberale Magazin Mother Jones
unterhält eine Datenbank, nach der es während der Präsidentschaft Barack
Obamas 35 Massenerschießungen gegeben hat, mehr als doppelt so viele wie
unter seinem Vorgänger. Die Rufe aus dem linken Lager nach einer schärferen
Waffengesetzgebung werden nach jedem Massaker lauter, und das versetzt
Hillary Clinton in eine knifflige Situation.
Die Demokraten sind bezüglich ihrer Einstellungen zur Waffenpolitik tief
gespalten. Seit 2000 haben sie das Thema lieber unter den Tisch gekehrt.
Die unter Bill Clinton verabschiedeten strengeren Waffengesetze machen
Teile der Partei dafür verantwortlich, dass Al Gore im Wahlkampf 2000 knapp
gegen George Bush Jr. unterlag.
Die Strategie, das Thema hintan zu stellen, war erfolgreich. Die Übernahme
des Kongresses gelang 2006 mithilfe zahlreicher waffenfreundlicher
Kandidaten. Sogar Obama hat das Thema heruntergespielt. Wahrscheinlich war
das der Grund, weshalb er 2008 sechs Staaten für sich gewinnen konnte, in
denen mindestens ein Drittel der Bevölkerung Waffen besitzt.
Das änderte sich einen Monat nach Obamas Wiederwahl, als in einer
Grundschule in Connecticut 20 Kinder ermordet wurden. Obama schwenkte
danach um und drang im Kongress auf ein Gesetz, das Schlupflöcher schließt,
durch die es Waffenkäufern möglich war, einer Überprüfung ihres
Führungszeugnisses zu umgehen. Aber er scheiterte an dem Einspruch der
Republikaner.
## Hillary Clinton geht auf Risiko
Entgegen ihrer sonst eher zurückhaltenden Vorgehensweise, riskiert Hillary
Clinton nun einen Wahlkampf, in dem sie sich ausdrücklich für die
Reglementierung von Waffenbesitz ausspricht. Sie setzt darauf, dass sich
der Wind in den Bundesstaaten, die sie noch für sich gewinnen muss,
aufgrund der zahlreichen Gewalttaten entsprechend gedreht hat.
Wohlwissend um dieses heikle Thema, hält sie dennoch weitgehend an der von
den Republikanern blockierten Sicherheitsüberprüfung von Waffenkäufern
fest. Laut Umfragen findet das Vorhaben auch ungeteilte Unterstützung in
der Bevölkerung. Aber diese Rechnung ist ohne die National Rifle
Association gemacht. Die Waffenlobby nämlich ist bekannt dafür, noch am
Wahltag waffenfreundliche Wähler zu mobilisieren.
Clinton geht das Risiko ein, weil jede Massenerschießung die Medien
tagelang in Atem hält und neue Empörung hervorruft. Jahrelang hat der
Medienrummel einer Änderung der Gesetzgebung eher entgegengewirkt, auch,
weil diese Schießereien so jenseits der Vorstellungskraft waren, dass die
Gemüter sich schnell beruhigten und die Aufmerksamkeit auf anderes
gerichtet wurde. Aber nun waren es bereits vier Schießereien im ersten
Halbjahr 2016. Wenn das so weitergeht, muss man mit weiteren Gewalttaten in
der heißen Wahlkampfphase im Herbst rechnen. Das Thema weiterhin zu
ignorieren wäre nicht vertretbar.
Bisher hat Clintons Meinung über Waffen ihr bei den Vorwahlen nicht
geschadet, während Trumps Umgang mit den verschiedenen ethnischen Gruppen
im Land seine Kandidatur eher aufs Abstellgleis befördert. In seiner
Analyse einer Umfrage vom Juni kommt Harry Enten vom Online-Politikmagazin
[1][Five Thirty Eight] zu dem Schluss, dass Trump sich nicht genügend
Stimmen weißer Wähler gesichert hat, um den Verlust nichtweißer Wähler zu
kompensieren.
Die Ergebnisse einer neuen Umfrage in Iowa – einem Bundesstaat mit hohem
Waffenbesitz, den Obama vor vier Jahren für die Demokraten gewinnen konnte
– sind allerdings ein Warnsignal für Clinton: Laut Umfrage liegt Trump zwei
Punkte vorn.
Man sollte eine Umfrage nicht zu hoch bewerten, und es ist zudem unsicher,
inwieweit die Haltung Iowas in der Waffenfrage ausschlaggebend sein wird.
Doch täte Hillary Clinton gut daran, in ihrer Wahlkampagne das Problem zu
benennen, dass in Teilen der USA das Recht auf Waffenbesitz immer noch
höher bewertet wird als das friedliche Zusammenleben aller Ethnien.
Aus dem Englischen von Sylvia Prahl
22 Jul 2016
## LINKS
[1] http://fivethirtyeight.com/
## AUTOREN
Bill Scher
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