# taz.de -- Die Wahrheit: Die Motten kriegen | |
> Biologie und Komik: Die lustige Tierwelt und ihre ernsthafte Erforschung | |
> (11) – heute mit den Licht umschwirrenden Motten. | |
Bild: Selbst der Ball wird im Endspiel der EM 2016 von Faltern umschwirrt | |
Marlene Dietrich sang 1930: „Männer umschwirr’n mich /Wie Motten um das | |
Licht / Und wenn sie verbrennen, / Ja dafür kann ich nicht.“ Aber man kann | |
versuchen zu verstehen, warum sie das tun – die Motten. Der Spiegel wusste | |
über sie, die in Paris das Endspiel der EM 2016 störten, sogleich zu | |
berichten: „Dass Motten das Licht anfliegen – das weiß man doch. Im Stade | |
de France war über Nacht dennoch das Flutlicht an geblieben, und jetzt ist | |
die Bescherung da: Zahlreiche Falter tummeln sich auf dem Spielfeld.“ | |
Der französische Naturforscher Réaumur hatte es 1748 „eigentümlich“ | |
gefunden, dass „gerade die Motten, die nur in der Nacht fliegen und den Tag | |
fürchten, das Licht in unseren Wohnungen suchen“. Noch merkwürdiger war für | |
ihn, dass die Eintagsfliegen, die nach Sonnenuntergang schlüpfen und vor | |
Sonnenaufgang sterben, die also „dafür bestimmt sind, niemals das Licht | |
dieser Welt zu erblicken, für einen leuchtenden Gegenstand eine so starke | |
Neigung haben“. | |
Die englischen Insektenforscher Kirby und Spence gingen 1843 davon aus, | |
dass der Flug der Insekten um die Flamme eine Art Sport und Belustigung für | |
sie sei. Der Schweizer Psychiater Forel gab 1901 zu bedenken, dass die im | |
Freien fliegenden Insekten sich zwar von diesem künstlichen Lichtpunkt | |
täuschen lassen, nicht jedoch unsere „Hausinsekten“, die sich über mehrere | |
Generationen daran gewöhnt haben – wie die Stubenfliege. | |
## Licht lockt auch Fische an | |
Der kanadische Biologe Romanes meinte 1886, dass die wild lebenden Insekten | |
sich an das Sonnen- und Mondlicht gewöhnt hätten, im Übrigen wies er darauf | |
hin, dass auch Fische nachts von einer Lichtquelle angelockt werden. | |
Experimente mit einer elektrischen Lampe unter Wasser zeigten, dass noch | |
viele andere Meerestiere davon angezogen werden. Einige Forscher erklärten | |
dieses Phänomen damit, dass es sich bei den Tieren wie bei den Pflanzen um | |
einen „Phototropismus“ handeln müsse. | |
1985 wurde die auf dem Land lebende amerikanische Biologin Sue Hubbell | |
davon überrascht, dass Hunderte kleine Frösche die erleuchteten Fenster | |
ihres Hauses zu erklimmen versuchten. Das war ihr neu, aber sie dachte | |
nicht groß darüber nach. Ganz anders der Prager Wissenschaftshistoriker | |
Emanuel Rádl, der 1903 einen Aufsatz mit dem Titel „Der Flug der Tiere in | |
die Flamme“ veröffentlichte. Darin wies er nach, dass das keine | |
„willkürliche“ Reaktion auf das Licht, sondern eine „reflektorische“ s… | |
und dass dabei eine krumme Flugbahn die Regel wäre: „einmal, weil das | |
Insekt sich nach der Flamme orientieren muss“, und zum anderen, weil es | |
„mit einer tangentialen Kraft von dieser Orientierung fortgetragen“ werde. | |
Dem scheint auch der Eifel-Förster Peter Wohlleben in seinem kürzlich | |
erschienenen Buch über „Das Seelenleben der Tiere“ zuzustimmen, wenn er von | |
einer „immer enger werdenden spiralförmigen Flugbahn“ der Insekten spricht, | |
die für viele „schließlich im Zentrum“ bei einer Kerze oder einer heißen | |
Glühbirne tödlich endet. | |
Aber auch, wenn die Insekten nicht verbrennen, sind die künstlichen | |
Lichtquellen lebensgefährlich für sie: Hierzulande bauen dort in der Nähe | |
gern Spinnen ihre Netze auf, und in den Tropen lauern Geckos an Lampen. | |
Doch die Insekten sind nicht auf den Kopf gefallen, wenn man so sagen darf. | |
Folgt man Emanuel Rádl, der lange über das Problem nachgedacht hat, dann | |
sind sich mindestens die Mücken, aber auch einige Nachtschmetterlinge der | |
vielfältigen Gefahren durchaus gewärtig, die von den künstlichen | |
Lichtquellen ausgehen: Zwar „fliegen sie in mannigfaltigen, mehr oder | |
weniger kreisförmigen Bahnen um das Licht als Mittelpunkt,“ aber sie | |
„bleiben bis auf mehrere Meter entfernt“ davon. Nach vielen Experimenten, | |
mit Bienen, Marienkäfern, Wanzen und anderen Insekten, kam er zu dem | |
Schluss, „dass ein solches Tier ganz mechanisch einen Lichtstrahl im Fluge | |
fixieren wird, so wie wir ganz reflektorisch bei geschlossenen Augen die | |
Hände ausstrecken“. Das war für ihn eine ausreichende „physiologische | |
Erklärung“, die „psychologische“ (Neugier, Spaß, Gewöhnung etc.) lehnt… | |
ab. | |
## Der Mond als Orientierungsmarke | |
Auch das Wissensmagazin des WDR neigt zu einer physiologischen Erklärung: | |
„In der freien Natur gibt es kein künstliches Licht … Für das Insekt sieht | |
es so aus, als stünde der Mond immer an der gleichen Stelle. Daher ist er | |
eine prima Orientierungsmarke. Kommt das Insekt aber in die Nähe einer | |
Laterne, dann ist diese plötzlich aus seiner Sicht der hellste Punkt. Es | |
orientiert sich nun an der Lampe. Dadurch wird es von seiner geraden | |
mondabhängigen Flugbahn abgelenkt. Nun versucht das Insekt einen bestimmten | |
Winkel zur Lampe zu halten. Da diese aber viel näher ist, endet das für das | |
Insekt damit, dass es die Laterne umkreist und schließlich seinen Abstand | |
immer mehr verringert, bis es in die Laterne hineinfliegt.“ | |
So erklärt sich vielleicht auch die „krumme Flugbahn“, die laut Rádl „d… | |
Regel“ sein soll. Nun kommt aber der Wissensblog von n-tv und meint: „Das | |
ist bisher noch nicht eindeutig geklärt. Theorien gibt es jedoch viele.“ | |
Der Nachrichtensender entschied sich für die des Münchner Insektenforschers | |
Ernst-Gerhard Burmeister: „ ,Falter können nicht anders, als zum Licht zu | |
fliegen', sagte er. ,Und das, obwohl sie Licht gar nicht attraktiv finden. | |
Es ist der UV-Anteil des Lichts, der sie anzieht.‘ Die Lichtquelle, so | |
Burmeister, sei dann das Einzige, was die Tiere sehen – ein Tunneleffekt. | |
Drumherum herrscht für die Insekten absolute Finsternis. Je stärker der | |
Kontrast zwischen der Lichtquelle und der Beleuchtung der Umgebung ist, | |
desto mehr Insekten lockt eine Lichtquelle in der Regel an. Die Falter | |
werden geblendet; ihr Orientierungsvermögen fällt aus.“ Bumm. | |
Zwei Wiener Wissenschaftler, Höttinger und Graf, haben die Opfer gezählt: | |
„In den Sommermonaten werden etwa 150 Insekten pro Straßenlampe und Nacht | |
getötet. Eine zwei Meter hohe blau-weiße Leuchtschrift aus drei Buchstaben | |
zog im Stadtgebiet von Graz innerhalb eines Jahres 350.000 Insekten an.“ | |
## Umstellung auf gelbes Licht | |
Burmeister plädiert zum Schutz der Nachtschwärmer für eine | |
Straßenbeleuchtung mit weniger UV-Anteilen: „Konkret bedeutet das, von | |
weißem auf gelbes Licht umzustellen.“ Für die BRD würde das bedeuten, die | |
Straßenbeleuchtung von Quecksilberdampflampen auf Natriumdampflampen | |
umzustellen – so wie es in der DDR überall der Fall war. | |
Man hat sich oft gefragt, wie es sein konnte, dass es in der DDR so viele | |
Vögel und andere Tiere gab, die im Westen längst verschwunden waren – trotz | |
aller Umweltschutzgesetze, Filter- und Kläranlagen, Naturschutzgebiete und | |
zig Millionen D-Mark teuren Renaturierungen? Man hat dort die Vogelnahrung | |
Insekten nicht derart – mit immer mehr künstlichem Licht – ausgerottet. | |
Wenn man irgendeinen Ostler fragt, wie das möglich war, kommt sofort die | |
Antwort: „Kein Geld!“ Gemeint ist damit, dass nicht alles in der DDR | |
flächendeckend kultiviert und illuminiert werden konnte. | |
8 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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